Wenn heute schon morgen ist

Sind Zeitreisen möglich?

Foto: Fundraisingnetz CC BY 2.0
Foto: Fundraisingnetz CC BY 2.0

Es brummt, mystischer Nebel steigt auf. Inmitten des Schauspiels sitzt ein Mensch, der hektisch fast unendliche Zeichenkolonnen eingibt. Das Schild am oberen Ende der Apparatur zeigt das Jahr 2050 in grünen, wild blinkenden Zahlen an. Nur noch ein Tastendruck wird benötigt, bis Maschine und Mensch in der Zukunft angekommen sind.

Es könnte so einfach sein. Ist es jedoch nicht, sagt der Physikprofessor Uwe Hartmann. „Es muss viel realistischer gedacht werden, um überhaupt über Zeitreisen sprechen zu können“, erklärt Hartmann. „Wenn wir Signale von einem weit entfernten Planeten hier auf der Erde erhalten, bedeutet das für uns Physiker bereits einen Blick in die Vergangenheit.“ Auch für den Philosophieprofessor Ulrich Nortmann, der wie Hartmann an der Universität des Saarlandes lehrt, ist das Thema nicht eindimensional: „Die zeitliche Ordnung der Dinge ist ein wichtiger Orientierungsrahmen im menschlichen Leben.“

Kleinste Teilchen und Intervalle

Ein wenig enttäuschend ist es schon, phantastische Zeitmaschinen im Kopf zu haben und dann bei Signalen aus dem Weltraum zu landen. Mit dem Kleinen anzufangen, um im Großen zu landen, ist jedoch normal für Physiker. 1971 flogen die amerikanischen Physiker Joseph C. Hafele und Richard E. Keating in einem Linienflugzeug zweimal um die Welt, mit vier superexakten Atomuhren an Bord. Sie wollten die „spezielle Relativitätstheorie“ testen, nach der durch die höhere Beschleunigung die Atomuhren im Flugzeug langsamer laufen müssten. Tatsächlich war später am Boden mehr Zeit vergangen als in der Luft. Die Menschen waren im Flugzeug in die Zukunft gereist.

Jetzt aber zu glauben, dass man beim nächsten Transatlantikflug praktisch in einer Zeitmaschine sitzt, ist voreilig: Die Reise in die Zukunft spielte sich bei Hafele und Keating im Bereich einiger Nanosekunden ab. Genauer betrachtet ist jedoch schon der Ansatz falsch. „Bei Tests wird immer die Beschleunigung und das Abbremsen unterschlagen. Wenn die Werte in die wesentlich kompliziertere ‚allgemeine Relativitätstheorie‘ eingesetzt werden, heben sich die Effekte komplett auf“, erläutert Professor Hartmann. Dafür lassen sich in der Quantenmechanik schon kleinste Elemente zwischen mehreren Orten bewegen, ohne diese zu durchqueren, quasi beamen. Den Menschen allerdings wird die Quantenmechanik auch in näherer Zukunft nicht quer über den Planeten schicken können. Bisher versagen bei größeren Objekten Theorie und Praxis.

Foto: Dave Nakayama CC BY 2.0
Eine Replik des Delorean, der Zeitmaschine aus dem Film „Zurück in die Zukunft“. Foto: Dave Nakayama CC BY 2.0

Baustellen der Wissenschaft

Praktisch ist die Zeitreise zwar eine reine Zukunftsvision, in den Köpfen der Menschen ist sie jedoch schon fast möglich. „Jeder Mensch ist neugierig – man will nicht nur aus dem Geschichtsbuch etwas über die Dinos lernen, sondern selbst hautnah erfahren, wie es sich in deren Gesellschaft vor vielleicht 100 Millionen Jahren so gelebt hätte“, erklärt Ulrich Nortmann.

Der Philosophieprofessor würde am liebsten direkt in die Zukunft einsteigen, um zu sehen, wie es mit der Artenvielfalt weitergegangen sein wird; vor allem mit seinen Lieblingstieren, den Schneeleoparden. „Reisen in die Vergangenheit, und vor allem solche, bei denen wir in der Vergangenheit irgendetwas anrichten würden, werden uns jedoch durch bestimmte Denknotwendigkeiten versperrt“, sagt er. „Schon mit dem Eintritt in die Vergangenheit würde sich die tatsächliche Gegenwart durch die eigene Existenz zu einer früheren Zeit und deren Auswirkungen ändern.“

Tatsächlich ist das Problem unter dem Namen „Großvaterparadoxon“ ein Dauerbrenner in der Diskussion. Was wäre, wenn man in die Vergangenheit reisen könnte und dort den eigenen Opa umbrächte? Eine Frage, zu der es nach unserem heutigen Verstehen keine plausible Antwort geben kann. Ganz vom Tisch ist die Betrachtung der Vergangenheit jedoch nicht. „Ein Grundprinzip der Physik ist die zeitliche Abfolge von Ursache und Wirkung. Bei einer Reise in die Vergangenheit kein Problem. Bei einer Reise in die Zukunft wäre die Wirkung ohne die Ursache vorhanden – das passt nicht zur heutigen Physik“, erläutert Professor Hartmann. „Doch bei einer Reise in die Vergangenheit müsste die in jeder Sekunde zunehmende Unordnung in unserem System umgekehrt werden – was momentan absolut unmöglich erscheint.“

Was ist das Sein?

Physik ist nicht alles. Zeitreisen würden unsere derzeitige Gesellschaft vollkommen verändern. „Wir sind einfach neugierig“, erklärt Professor Nortmann unser Bestreben nach Neuem. „Schon die Entwicklung der eigenen Enkel sehen zu können wäre großartig.“ Aber das wäre eben erst der Anfang. Schließlich ist die Welt voller Unsicherheiten. Wer heute eine Entscheidung trifft, kann nie wissen, welche Konsequenzen morgen daraus erwachsen.

„Gerade in der Politik wäre es hilfreich, das 'Fenster in die Zukunft' zu besitzen“, sagt der Philosophieprofessor. Man hätte mehr Wissen, um sich gezielter für den Umweltschutz einzusetzen: „Mit dem Wissen der zukünftigen Entwicklungen könnte die Politik fundierter handeln.“ Nortmann wüsste gerne, was die Zukunft für ihn bereithält. Ein sich Verlieren in den Zeiten, zwischen morgen, heute und übermorgen, fürchtet er aber nicht. „Auch bei Zeitreisen wäre die Zeit nicht variabel. Jeder Mensch hätte seine eigene Zeit, und das Bewusstsein davon würde nur im extremen Fall verloren gehen.“

Sind Zeitreisen möglich? Der Dokumentarfilm auf Youtube widmet sich dieser Frage.

Starre Realität mit Platz für Träume

Praktisch nicht umzusetzen, theoretisch höchst problematisch – von einer Zeitreise, die durch einen einfachen Tastendruck auf ein surrendes Gerät in Gang gesetzt werden kann, ist die Realität Lichtjahre entfernt. Für Reisen in die Vergangenheit wurde schon eine Lösung ersonnen: Parallel-Universen. Jede Änderung in der Vergangenheit würde einfach ein neues Universum mit den neuen Gegebenheiten eröffnen, erklärte schon früh der deutsche Physiker Kurt Mahr.

„Das ist alles wildes Lesen im Kaffeesatz. Ich bin davon überzeugt, dass die Zeit als Konstante eine sehr gute Erfindung der Natur ist und lebe gerne damit“, kommentiert der Physiker Hartmann. So muss sich wohl auch der Philosoph Nortmann damit begnügen, die Entwicklung der Schneeleoparden nur in der Gegenwart miterleben zu können. Dafür bleibt der Menschheit die Unsicherheit erspart, dass heute schon morgen sein könnte und der Weg nach vorvorgestern nur einen Tastendruck entfernt ist.


In Zusammenarbeit mit fluter.de, dem Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung

Adrian Bechtold
ist 25 Jahre alt und Jurist und freier Journalist. Er lebt in Deutschland und der Schweiz

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Oktober 2012
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