Die Freude am Stil der alten Zeiten
Ein Gespräch über Vintage
Lucie Langerová schreibt einen Vintage-Blog, sie betreibt in Prag eine Mode- und Vintage-Boutique namens Radost, ist darüber hinaus Redakteurin der Zeitschrift Bohemia Living sowie eine sehr temperamentvolle Frau, die in der Internet-Gemeinde unter dem Namen Vivi bekannt ist. Auf ihrem Plattenspieler drehen sich Beatles-Platten, bei Regen schaut sie gerne Filme mit Marylin Monroe und Brigitte Bardot. Zu ihren Schätzen gehören ein Koffer voller Retro-Postkarten, alte Ausgaben der „ELLE“, eine alte kubanische Zigarren-Blechdose sowie Zeichnungen aus ihrer Kindheit.
Vivi, wie kamst du eigentlich zu deinem Spitznamen?
Mein Vintage-Blog hieß ursprünglich Viva Vintage, ganz im Sinne von „es leben die alten Zeiten, es lebe Vintage“. Die ersten zwei Buchstaben der beiden Worte sind „Vi“, und daraus entstand dann Vi-Vi. Diesen Namen trug dann das Maskottchen des Blogs, die kleine japanische Puppe Vivi, die man einst im Tuzex (die tschechoslowakische Variante des DDR-„Intershops“, Anm. d. Übers.) kaufen konnte. Eigentlich weiß bis heute niemand so recht, ob ich die Autorin des Blogs bin, oder die Puppe Vivi. (lacht)
Wie würdest du diesen Stil einem Laien erklären? Wo kommt er her und was zeichnet ihn aus?
Der Begriff „Vintage“ stammt eigentlich aus dem Weinbau, ursprünglich bezeichnete man damit besondere, auserlesene Weine. Nach und nach wurde der Begriff auf andere Bereiche übertragen und bezeichnet nun alles alte, hochwertige, das gleichzeitig charmant und originell ist. Im Bereich der Mode bezeichnet Vintage nicht nur tatsächlich alte Dinge, sondern auch neues Design, das von alten Zeiten oder bestimmten Mode-Ikonen inspiriert wurde. Aber Vorsicht – nicht jedes alte Kleidungsstück ist automatisch Vintage. Ein von Motten zerfressener, vergammelter Mantel zählt nicht dazu. Jedes Vintage-Teil muss luxusmäßig aussehen, auch wenn es schon viele Jahre alt ist. Wie ich sagte: Der noble Geist der alten Zeiten gepaart mit Originalität – das ist es, was an Vintage so geschätzt wird. Solche Schätze kann man unter Umständen auf dem Dachboden oder bei der Oma finden. Vergessene und verstaubte Sachen können dann plötzlich lebendig werden und die nächste Generation erfreuen.
Wenn man sich deine Boutique Radost und vor allem deinen Blog anschaut, dann wird einem klar, dass Vintage für dich nicht nur ein Geschäft, sondern eine Art Lebenseinstellung ist. Wie bist du eigentlich zu Vintage gekommen?
Schon als ich klein war, hat es mir Spaß gemacht, Omas alte Sachen zu entdecken oder auf dem Dachboden in alten Kisten zu stöbern. Vintage hat für mich einen unverwechselbaren Zauber. Es ist einfach schön, hin und wieder in die alten Zeiten zurückzukehren, als Kleidung und Accessoires, aber auch Puderdosen, Parfumflacons oder Haarkämme bis ins kleinste Detail durchdacht und liebevoll gestaltet waren. Das war noch echte Handarbeit, die den Dingen einen Wert verlieh – nicht wie heute, wo die Sachen leider oft nichts aushalten und nach kurzer Zeit weggeschmissen werden müssen.
Und welche Rolle spielen Vintage-Produkte in deinem Leben?
Ich liebe es, neue und moderne Dinge mit alten zusammenzufügen. Dadurch entstehen besondere und sehr originelle Kombinationen – das gilt sowohl für die Gestaltung von Räumen als auch für Mode und Kleidung. Ich ziehe gerne ein seidenes Vintage-Top an und schlüpfe dazu in Jeans und Turnschuhe. Die alten Sachen bekommen in der modernen Welt damit eine ganz andere Bedeutung, sie werden wiederverwendbar. Ich stehe nicht darauf, Sachen ins Regal zu stellen und ehrfürchtig daran vorbeizuschreiten. Mir gefällt es, wenn alte Dinge weiterhin ihren Zweck erfüllen – die wertvolle Karaffe meiner Urgroßmutter steht bei mir nicht in einer Vitrine, sondern sie dient als Blumenvase. Auch mein uralter Schreibtisch droht nicht zu verstauben – manchmal schreibe ich dort Briefe und höre dabei Reggae. Das größte Vergnügen ist es für mich, neue Dinge und Eindrücke mit alten zu verbinden, der Effekt, der sich dann einstellt, macht mir wirklich große Freude und Spaß.
Solche alten Teile sind bestimmt nicht einfach zu finden. Wo bekommst du beispielsweise die Sachen für deinen Laden her?
In meinem Geschäft ist die Mehrzahl der Dinge neu und folgt aktuellen Trends. Die Kategorie „Vintage-Kleidung“ ist allerdings sehr spezifisch. Die Einkäufe dafür gehören für mich zu den angenehmsten und abenteuerlichsten Beschäftigungen. In Tschechien steckt das Vintage-Geschäft noch in den Kinderschuhen, im Ausland kann man hingegen herrliche Originale bekommen. Die größte Freude habe ich an den Vintage-Dingen, die ich für mich oder für mein Geschäft bei Auslandsreisen entdeckt habe.
Und existiert irgendein konkreter Ort, an dem du Vintage-Produkte suchst oder gibt es vielleicht einen Club für Vintage-Liebhaber in Tschechien oder auch im Ausland, wo man als Anfänger mal hineinschnuppern könnte?
Ein konkreter Ort existiert nicht. Man muss ständig nach neuen Orten suchen, und natürlich habe ich in dieser Hinsicht auch ein gewisses Know-how. Mit einem offiziellen Club für Vintage-Liebhaber kann ich leider nicht dienen. Aber ich denke, dass mein Blog eine Art Treffpunkt für Vintage-Fans ist.
Was war die älteste Sache, die du seit der Eröffnung deines Geschäfts in den Händen hattest?
Die älteste Sache, die ich im Angebot hatte, war eine handgenähte Handtasche aus den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts; die war dann auch schnell weg. Ein paar solcher Stücke habe ich auch zu Hause – deponiert in einer großen gestreiften Hutschachtel. Manchmal setze ich mich davor hin und weide mich an den schönen Dingen: alte Vintage-Handschuhe, handgenähte, noble Handtaschen, antiker Schmuck oder alte Haarbänder. Kurz und gut – solche typischen Mädchenschätze eben.
Was für Schätze finden sich aktuell in deiner Boutique?
Die Boutique Radost funktioniert auch als E-Shop mit Damen-Mode und Vintage-Kleidung, wobei wir innerhalb von Tschechien und in die Slowakei versenden. Ich bemühe mich, meinen Kunden in meinem Geschäft immer wieder neue Sachen anzubieten, deshalb gibt es die meisten Teile nur in limitierten Kollektionen, die wir immer wieder erneuern. Momentan sind mir insbesondere Retro-Kleider ans Herz gewachsen, die liebe ich ganz einfach.