„Manche Uhren ticken anders!“

Magdalena Wagner
Eine vergleichbare Werkstatt ist in Regensburg nicht zu finden. Foto: © Magdalena Wagner

Erich Gerlach ist Uhrmacher. In einer Seitengasse in der Regensburger Altstadt betreibt er einen kleinen Laden, wie er nur noch selten zu finden ist. Zahlreiche Uhren aus den verschiedensten Jahrzehnten ticken dort in gleichmäßigen, aber verschiedenen Rhythmen vor sich hin.

Zur vollen Stunde rührt sich etwas in der gemütlichen Werkstatt. Während die kleinen Uhren ganz hell läuten, brummen die größeren Uhren schwerfällig vor sich hin, wenn der große Zeiger die zwölfte Ziffer erreicht. Eine wohlige Atmosphäre verbreiten die Uhren, beruhigend legen sich ihre Geräusche über den Verkaufstresen und die Werkbänke. Wenn Erich Gerlach an den kleinen und großen Kunstwerken liebevoll zu schrauben beginnt, scheint es fast als würde die Zeit stehen bleiben, obwohl sie doch so präsent wie kaum irgendwo weiterläuft. Besonders alte und besondere Uhren hat Erich Gerlach unter seinen filigranen Händen: „Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viele alte Uhren es allein in Regensburg gibt.“

Neue Uhren sind von Computern gemacht, alte Uhren fordern Kreativität

Eine vergleichbare Werkstatt ist in Regensburg nicht zu finden. „Deshalb ist die Auftragslage auch gigantisch“, erzählt der Uhrmacher, der in einer Uhrmacherfamilie aufgewachsen ist und mit seinem karierten Hemd und der ledernen Weste auch so aussieht, wie man sich einen Uhrmacher vorstellt. „Schon mein Urgroßvater arbeitete in diesem Beruf, mein Großvater und auch mein Vater.“ Als sein Vater dann von Norddeutschland nach Bayern zog, entschied sich Erich Gerlach eine Ausbildung als Werkzeugmacher, die ihm schon fest zugesagt wurde, nicht aufzunehmen und dafür mit seinem Vater zu kommen und in dessen Fußstapfen zu treten. Nach den Gesellenjahren war Gerlach zunächst in Werkstätten in Köln und Wuppertal tätig. 1998 eröffnete er dann zusammen mit seiner Kollegin Cora Schmittmann, einer Goldschmiedin, das Geschäft im Scheugässchen.

Zahlreiche Uhren aus den verschiedensten Jahrzehnten ticken dort in gleichmäßigen, aber verschiedenen Rhythmen vor sich hin. Foto: © Magdalena Wagner

Manchmal verbringt der Uhrmachermeister zehn bis zwölf Stunden am Tag zwischen den Schrauben, Federn, Zahnrädern und Uhrzeigern: „Wenn ich nur während der Öffnungszeiten arbeiten würde, würde ich verhungern, auch wenn das Geschäft boomt“. Es ist faszinierend zuzusehen, wie Erich Gerlach Schritt für Schritt in kaputte Uhren neues Leben einhaucht. „Besonders gefällt mir, alte Uhren wieder zum Laufen zu bringen“, erzählt der Uhrmacher mit leuchtenden Augen. „Moderne Uhren wurden von Computern gemacht und so kann man bei ihnen nur Ersatzteile austauschen. Alte Uhren aber fordern Kreativität. Es macht Spaß mit Kollegen die Schritte zu besprechen, welche für die Reparatur notwendig sind und sich zu überlegen, welche Alternativen man noch hat, wenn ein Reparaturschritt schief geht. Ich freue mich jedes Mal wieder, wenn ich morgens in die Werkstatt komme und die Uhr, die ich am Abend repariert habe, immer noch tickt.“

Ein Handwerksberuf wie jeder andere

„Was mich interessiert ist die tickende Uhr“, philosophiert der Uhrmacher, „die Zeit an sich ist für mich dabei nicht entscheidend. Mein Beruf ist ein Handwerksberuf wie jeder andere und mich faszinieren die alten Materialien und die Technik der Uhrwerke.“ Über die versreichende Zeitmacht er sich dabei nie Gedanken. Auch ein besonderes Zeitgefühl kann Erich Gerlach nicht bestätigen: „Ich höre, ob eine Uhr richtig tickt, aber leider kann ich nicht einschätzen, ob eine oder vielleicht schon zwei Minuten vergangen sind.“

Erich Gerlach. Foto: © Magdalena Wagner

Die Uhren seien wie „Musik“ für ihn: „Jede Uhr hat einen anderen Klang und ihren eigenen Rhythmus. Allein das ist es, was mich bewegt und begeistert. Kennen Sie das Kinderlied mit den tickenden Uhren? Daran muss ich oft dabei denken“, lacht der Uhrmacher und stimmt das Lied an: „Große Uhren machen tick-tack, tick-tack, kleine Uhren machen ticke-tacke, ticke-tacke.“

Magdalena Wagner

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Oktober 2012