„Bachelorstudenten, nehmt euch Zeit!“


Schneller studieren, schneller ins Berufsleben. Der so genannte Bologna-Prozess, die Umstellung der Studiengänge auf das Bachelor- und Master-System, ermöglicht das. Schlecht sei das, meinte im August der Vorsitzende der deutschen Hochschulrektorenkonferenz: „Die Unternehmen brauchen Persönlichkeiten, nicht nur Absolventen!“ Und die Unternehmen selbst? Was für ein Zwischenfazit zieht man in den Personalabteilungen? Wie sehr schaut man dort auf interessante Hobbys, spektakuläre Reisen und soziales Engagement der Bewerber? Wie wichtig sind die Uni, der Abschluss und die Note? Vier große deutsche Unternehmen haben uns die Fragen beantwortet.

Dr. Nico Rose vom Medienunternehmen Bertelsmann:

Oberstes Kriterium bei der Auswahl unserer Bewerber ist die Praxiserfahrung. Auf Noten achten wir natürlich auch, an welcher Uni jemand studiert hat, ist uns dagegen nur in Ausnahmefällen ein Kriterium. Internationalität durch Studienaufenthalte oder längere Road Trips, aber auch Hobbys und soziales Engagement sind wichtige Zusatzaspekte bei einer Bewerbung. Wenn zwei Bewerber exakt gleich gut sind, einer davon aber zum Beispiel Chefredakteur der Abizeitung war, könnte genau das den Ausschlag dafür geben, dass wir uns für diesen Bewerber entscheiden. Allerdings gilt auch: Viele interessante Reisen gleichen nur selten eine schlechte Abschlussnote aus. Bachelorabsolventen sind – auch wegen G8 und der Abschaffung des Wehrdienstes – in der Regel viel jünger als Bewerber mit Diplom-, Magister- oder Masterabschluss. Wegen der engen Studienpläne haben die Absolventen von Bachelor-Studiengängen häufig auch weniger Zeit, Praxiserfahrungen zu sammeln. Deshalb rate ich Bachelorabsolventen gerne dazu, sich vielleicht auch noch einmal ein Jahr Zeit für Praktika oder Auslandsaufenthalte zu nehmen. Denn ob sie mit 22 oder mit 23 Jahren einsteigen, macht für uns keinen Unterschied – den Studenten tut ein solches ‚Gap Year‘ persönlich jedoch fast immer sehr gut.


Jela Götting vom Sportartikelhersteller Adidas:

Bei der Auswahl unserer Bewerber im Hochschulbereich achten wir erst einmal darauf, dass der Studiengang passt. Außerdem legen wir Wert darauf, dass die Bewerbung insgesamt stimmig ist. Wenn jemand in einem namhaften Unternehmen ein Praktikum gemacht hat, ist das besonders interessant für uns. Praxiserfahrung kann man zum Beispiel auch in einem dualen Studium oder in einem Fachhochschul-Studium erworben haben. Aber selbst ein Job als Kellner kann hier hilfreich sein. Auch Internationalität in jeglicher Form ist uns wichtig. Und auch soziale Interessen oder Hobbys interessieren uns. An welcher Uni jemand studiert hat und mit welcher Note er seinen Abschluss gemacht hat, spielt dagegen keine Rolle. Dass die Bewerber heute sehr jung sind, ist weder gut noch schlecht, sondern einfach anders. Wir stellen uns als Unternehmen darauf ein und setzen bei den Vorstellungsgesprächen andere Dinge voraus. Wir versuchen unserer Zielgruppe zu kommunizieren: Nehmen Sie sich Zeit, um Praxiserfahrungen zu sammeln – gerne auch in einem Urlaubssemester! 


Martin Rosendahl vom Druckfarbenhersteller Siegwerk:

Wir erwarten von unseren Bewerbern, dass sie ideal zu einem Profil passen. Wichtig sind dabei sowohl das fachliche Know How als auch die Persönlichkeit. Wir legen viel Wert auf soziale und interkulturelle Kompetenzen, weil die Bewerber auch in internationalen Teams arbeiten müssen. Auslandsaufenthalte im Rahmen der Schulzeit oder des Studiums, internationale Lebensläufe oder auch Aktivitäten wie eine Weltreise oder interessante Hobbys haben für uns eine ähnliche Wichtigkeit wie die Universität, die Abschlussnote oder die Dauer des Studiums. Wir stellen gerne Bachelorabsolventen ein. Allerdings sind wir teilweise überrascht, wie rudimentär ihre Kenntnisse sind. Wir versuchen deshalb, die Bachelorabsolventen weiter zu entwickeln, an uns zu binden und sie gegebenenfalls in einem zweiten Schritt bei einer Masterausbildung zu unterstützen. 


Ulrike Stodt von der Deutschen Bahn:

Uns ist es wichtig, dass die Bewerber ein großes Interesse am Unternehmen haben und von der fachlichen Qualifikation zur ausgeschriebenen Stelle passen. Auch auf Interkulturalität und Sprachkompetenzen legen wir bei unseren Mitarbeitern Wert. Auslandsaufenthalte sind ein Pluspunkt, aber keine Voraussetzung. Wenn man einen bunten Lebenslauf mit abwechslungsreichen Hobbys und Interessen hat, deutet das daraufhin, dass man auch viele Ideen im Kopf hat und Tatkraft mitbringt. Das ist interessant, aber nicht das entscheidende Auswahlkriterium. Wir waren schon immer offen gegenüber Bachelor-Absolventen. Sie sind zwar jünger als Diplom- oder Magisterabsolventen und in ihrer beruflichen Orientierungsphase häufig noch nicht so weit fortgeschritten. Andererseits sind sie meist sehr neugierig und offen gegenüber unterschiedlichen Fachbereichen. Insgesamt machen wir aber sehr gute Erfahrungen mit Bachelor-Absolventen.

Gesammelt von Janna Degener

Copyright: Goethe-Institut Prag
Oktober 2012