Vegane Speisen im Mittelalterflair

Foto: © Claudia Czaplinski

(K)ein Anachronismus?

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Die Belegschaft, Foto: © Claudia Czaplinski

„Zurück in längst vergangene Zeiten, will unsre Zunft euch all begleiten.“ So steht es im Aushang der Mittelalterschänke Zauberkessel in Walsrode. Und in der Tat: Sobald der Gast über die Schwelle geschritten ist, fühlt er sich um Jahrhunderte zurückversetzt. Er betritt ein verwinkeltes Gewölbe und wird vom Schankweib, das hinter der Theke zwischen Tonkrügen und Zinnbesteck wirtschaftet, mit einem freundlichen: „Seid gegrüßt!“ empfangen. Mitten in einer norddeutschen Kleinstadt wurde ein Stückchen Mittelalter geschaffen.

Fast drei Jahre Eigenarbeit und viel Liebe zum Detail stecken in der Schänke, die seit 2009 jeden Mittwoch sowie Freitags- und Samstagsabends ab 17.00 Uhr geöffnet hat. Neben den Inhabern (Roland Tietsch und Nicoletta Kracke GbR) sorgt ein zehnköpfiges Team aus drei Generationen dafür, dass in Küche und Gaststube alles gut läuft. Und in einem Punkt ist der Zauberkessel sogar ein echtes Unikat: Es ist die einzige Mittelalterschänke in Deutschland, in der ausschließlich veganes Essen serviert wird.

Fleisch nur für den Adel

Historisches Flair und veganes Essen, wie passt das zusammen? „Sehr gut sogar“, ist Roland Tietsch überzeugt. „Im Mittelalter war es eher unüblich, dass Fleisch auf den Tisch kam. Das war fast ausschließlich dem Adel vorbehalten.“

Diese Tatsache hält die Küche allerdings nicht davon ab, den Besuchern auf Wunsch ein fürstliches Menü zu servieren. Kleines Beispiel: Als Vorspeise gibt es ein rustikales Fladenbrot mit Schmalz, anschließend ein Burgunder Ragout mit Maronenbeilage, als Nachtisch folgt eine Mandelspeise mit Karamell und Kirschen. Dabei werden tierische Erzeugnisse komplett durch vegane Produkte ersetzt.

Foto: © Die Mittelalter Schänke Zauberkessel
Der Biergarten, Foto: © Die Mittelalter Schänke Zauberkessel

Dass beim gemeinen Volk seinerzeit wenig bis gar kein Fleisch auf den Tisch kam, leuchtet den meisten ein. Doch wie authentisch sind Rezepte, die als Fleischersatz Tofu oder Saitan enthalten? „Authentischer als viele denken“, so Nicoletta Kracke. „Die Menschen haben schon damals einen Fleischersatz kreiert. Der bestand aus Getreideschrot und war dem, was wir heute als Saitan kennen, gar nicht so unähnlich.“ Rezepte von damals absolut originalgetreu nachzukochen, sei aber unmöglich. „Vieles lässt sich mit den heutigen Ernährungsgewohnheiten und Geschmäckern einfach nicht mehr vereinbaren“, so Nicoletta.

„Was für ein Tier ist Saitan?“

Die Betreiber leben selbst übrigens konsequent vegan – aus ethischen Gründen. Dennoch sind sie überzeugt, dass sich die vegane Ernährungsweise positiv auf die Gesundheit auswirkt.

Und wie sehen das die Gäste? „Einige sind natürlich erst mal skeptisch“, sagt Nicoletta, „und besonders Männer wollen nur ungern auf ihr Steak verzichten.“ Manchmal kommt es auch zu lustigen Missverständnissen: „Da fragt jemand, bevor er ein Saitanschnitzel bestellt, was für ein Tier dieses Saitan denn sei“, erzählt Nicoletta lachend. Meistens sind Besucher aber neugierig und aufgeschlossen, und auch viele Skeptiker sind hinterher positiv überrascht. „Wir wollen hier niemanden missionieren“, erklärt Nicoletta, „aber wir freuen uns natürlich, wenn wir jemandem, der noch nie vegan gegessen hat, einmal zeigen können, wie lecker eine rein pflanzliche Mahlzeit sein kann. Und einem guten Gespräch über die Vorzüge veganer Ernährung sind wir nie abgeneigt.“

Der Zauberkessel ist jedoch noch weit mehr als eine Schänke mit veganer Speisekarte. Neben dem normalen Restaurantbetrieb finden dort auch Konzerte, Lesungen oder Märkte statt, auch Bauchtänzerinnen oder Gaukler unterhalten die Gäste. Nicoletta betreibt neben der Schankstube den kleinen Laden „Manigfalta Medieval“, wo es von Gewandungen über Schmuck oder Kochgeschirr alles gibt, was das Herz des Mittelalterfreundes begehrt.

Songwünsche für die Harfe? Ja, gerne!

Von der Familie Tietsch steuern gleich mehrere Mitglieder ihre Talente bei, um aus dem Zauberkessel echte Erlebnisgastronomie zu machen. Manuela Tietsch bringt als Schriftstellerin ihre Geschichten unter die Leute. Außerdem schneidert sie Gewandungen, mit denen sie nicht nur die Belegschaft ausstattet, sondern auch mal eine Modenschau veranstaltet. Dann verwandeln sich das Gewölbe oder der Rittersaal in einen richtigen Catwalk.

Foto: © Die Mittelalter Schänke Zauberkessel

Der Blick in den Rittersaal, Foto: © Die Mittelalter Schänke Zauberkessel

Für die Livemusik ist Taran Tietsch zuständig: Abend für Abend gibt der junge Mann sein Können an der Harfe zum Besten. Diese Musik hat ihn sein ganzes Leben lang begleitet, bereits als Kind hörte er seiner Mutter gerne zu, wenn sie die Saiten anschlug. Vor etwa acht Jahren hat er dann selbst mit dem Spielen begonnen, einige Kurse und Workshops besucht und sich dann sein eigenes Instrument gebaut. Sein Repertoire umfasst etwa 40 Stücke, darunter zehn Eigenkompositionen. Taran nimmt übrigens auch gern Songwünsche entgegen, vorausgesetzt, er beherrscht eine Harfenversion für das gewünschte Stück. „Die Harfe ist wesentlich vielseitiger, als manch einer glauben mag“, so der junge Musiker. „Man kann darauf durchaus auch Stücke von Metallica spielen.“

Seine Freundin Sarah arbeitet ebenfalls im Zauberkessel, und zwar als Bedienung. Nun sind Freitag- und Samstagabende nicht unbedingt bevorzugte Arbeitszeiten für junge Leute, die das Wochenende vielleicht gerne anderweitig verplanen. Doch das sehen die zwei ganz locker: Wenn Taran sich mal einen freien Abend gönnen will, springt entweder Manuela ein, oder im Notfall kommt die Musik ausnahmsweise vom Band. Sarah ergänzt: „Davon abgesehen mag ich die Arbeit hier unheimlich gern. Ich liebe die Atmosphäre, das Auftreten als Schankmagd, den Mittelalter-Slang, und die Leute hier kommen immer sehr positiv auf einen zu.“

Keine Ausnahmen

Inzwischen hat der Zauberkessel ein buntes Stammpublikum: Jugendliche und ältere Leute sind dabei genauso vertreten wie Veganer, Vegetarier und überzeugte Fleischesser. Viele Mittelaltergruppen aus der Region haben die Schänke zu ihrer Stammkneipe auserkoren, und auch aus Berlin oder Leipzig reisen die Leute an. Im „Rittersaal“ wurden schon mehrfach Hochzeiten, runde Geburtstage oder Firmenfeiern ausgerichtet.

Doch auch beim üppigsten Ritterschmaus kommt kein Fleisch auf den Tisch. „Natürlich haben manche Leute uns schon gefragt, ob wir nicht mal eine Ausnahme machen und ein zünftiges Spanferkel am Spieß servieren könnten“, so Roland. „Aber das würde ja nicht nur gegen unser Geschäftsprinzip verstoßen, sondern in erster Linie gegen unsere Überzeugung.“

Janika Rehak

Copyright: Goethe-Institut Prag
Oktober 2012