Radovan Charvát


Ist die Arbeit eines Übersetzers für Sie ein Traumberuf? Warum sind Sie Übersetzer geworden?
Ich wollte eigentlich schon gegen Ende meines technischen Studiums lieber Bücher übersetzen, aber dies ist mir erst viel später gelungen. Heute bereue ich keinesfalls, dass ich schon lange nichts – oder nur wenig – mit Technik zu tun habe. Technik hat mich immer irgendwie begrenzt, das rein logische Denken im Leben hat mich weniger interessiert als die Literatur und die Möglichkeit, mehr mit den klugen Gedanken zu tun zu haben, die sich nicht nur um das Rationale drehen. Ich glaube, die Welt wird sich allmählich anders entwickeln, denn die Technik wird für immer mehr Leute einfach nur eine Last.
Ihr beliebtes deutsches Buch, deutscher Autor, und warum?Ich mag sehr den Krabat von Otfried Preussler, der Tschechisch unter dem Namen Čarodějův učeň erschienen ist. Er basiert auf einer sorbischen Volkssage und erzählt die Geschichte des gleichnamigen Jungen, der Lehrling eines Zaubermeisters wird und sich gegen diesen behaupten muss. Am Ende siegt die Liebe über die dunklen Mächte, was eine faszinierende und völlig überzeugende Aussage eines sehr weisen Mannes ist, denn anders kann es im Leben nicht funktionieren, WENN man den Mut hat, der Liebe zu folgen. Preussler ist in Liberec (früher Reichenberg) 1923 geboren und hat die sorbische Lausitz sehr gemocht, auch unsere Riesengebirge. Seine Sprache ist von einer Magie, die ohnegleichen ist.
Woran arbeiten Sie gerade und was hat Sie an diesem Text am meisten gefangengenommen?
Ich übersetze gerade Die Ringe des Saturn von Winfried Georg Sebald. Der Roman aus dem Jahre 1995, geschrieben als eine Folge der durch die Wallfahrt des Autors Anfang der Neunzigerjahre an der ostenglischen Küste entlang hervorgerufenen Beobachtungen, Erinnerungen und Assoziationen, wächst allmählich zu einem hinreißenden Gespinst von Überlegungen über die Vergänglichkeit, Untergang und den langen Schatten der Vergangenheit an, die nicht aufhört, unser Leben weiter zu beeinflussen. Im Ganzen ist er etwas wie ein Essai noir über den tragischen Charakter der menschlichen Geschichte, gleichzeitig hört er aber nicht auf, mit der Breite und Fülle der Motive zu faszinieren, die das Sebald‘sche Weltbild der Melancholie bilden, dessen unübersehbarer Bestandteil auch das Schicksal des Autors gewesen ist.
Januar 2012
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