Essays

Moderne Sinhala-Dichtung

Liyanage Amarakeerthi schreibt über die Entwicklung der modernen Sinhala-Lyrik und ihre diversen Einflüsse – feministische, literarische und gesellschaftspolitische.

Die moderne Sinhala-Dichtung, die sich durch eine neuartige Sensibilität auszeichnet, entstand mit dem Abschied von höfischen und monastischen Traditionen. Siyabaslakara, das berühmte Poetik-Traktat aus dem 12. Jahrhundert, legte fest, dass der Gegenstand von Dichtung das Leben des Buddha zu sein hatte. Noch bis ins 19. Jahrhundert unterlagen fast alle Dichter diesem Diktat.

Die Ursprünge der zeitgenössischen Sinhala-Dichtung lassen sich zu Dichtern zurückverfolgen, die sich von dieser Konvention abwandten. Gajaman Noona (1758-1814), eine bedeutende Dich-terin, war eine wichtige Vorreiterin für die moderne Dichtung und deren Vorstellung, dass es bei Lyrik um das Erleben des Dichters geht. Mit ihrem Werk hielt der „subjektive Blick auf das individuelle Erleben“ Einzug in die Sinhala-Dichtung. Sie scheute sich nicht, auch ihrem eigenen sexuellen Begehren Ausdruck zu verleihen (bis dahin in der Sinhala-Dichtung unerhört). Als sie von ihrem Ehemann gebeten wird, ihm in seiner Abwesenheit treu zu bleiben, sagt Noona in einem berühmten Vers

„Geduldig werde ich auf dich warten, aber kann ich mir denn so sicher sein wie der Liebesgott waltet?“

In einem anderen Vers sagt sie „Ich bot meinen schönen, jungen Körper dem ehrwürdigen Mönch Sitinamaluwe an.“
(Zitiert in Diwaman Gajaman. Parakrama Kodithuwakku, 2012)

Es war ein schockierender Moment, der den Einzug einer gewissen poetischen Innovation markierte. Sie schrieb freizügig über die Avancen des Mönchs ihr gegenüber – was in der Tat einem Sakrileg gleichkam.

Noonas Werk führte eine zeitgenössische Qualität in die Literatur ein und inspirierte viele Männer und Frauen aus dem Volk, in die Welt der Sinhala-Dichtung einzutreten, die bislang die Domäne von Mönchen gewesen war. Von der Mitte des 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert vernachlässigten Sinhala-Dichter die poetische Ästhetik zugunsten des Unabhängigkeitskampfs. S. Mahinda, ein buddhistischer Mönch und ein bedeutender Dichter aus jener Zeit, sagt:

„In anderen Ländern stehen sogar auf den Köpfen der Menschen die Haare auf, wenn es darum geht, für die edle Freiheit zu kämpfen, aber Ihr, Sinhalesen, verschwendet keinen Gedanken daran; hat Eure Augäpfel der Blitz getroffen?“
(Mahinda Prabandha. Ed. Sunil Ariyarathne, 1987)

Die 1950er-Jahre legten den Grundstein für die zeitgenössische Sinhala-Dichtung unter dem Einfluss der europäischen Moderne. Der Freivers stieß mitten in eine literarische Tradition, die bislang die Prosodie und das Metrum als essentiellen Bestandteil von Lyrik erachtet hatte. Siri Gunasinghe (*1929), der an der Sorbonne studiert hatte und von Modernisten wie Elliot, Pound und den französischen Symbolisten inspiriert worden war, entwickelte ganz neue lyrische Formen. Kritisch untersuchte er die „Tradition“ und wendete sich gegen religiösen Dogmatismus, Provinzialismus und Nostalgie. In einem Gedicht schreibt er:

„Egal, wie lange wir auf einen König warten, es kommen nur Bettler.“
(Abinikmana, 1958)

Diese Aussage stieß in einer konservativen, politisch-intellektuellen Szene auf offene Ohren. Demgegenüber trauerte der ebenso bedeutende Dichter Gunadasa Amarasekara (*1929) der ‚Tradition‘ nach und wurde zu einem Verfechter des zeitgenössischen Sinhala Nationalismus.

In den Siebzigern befand sich Sri Lanka bereits im politischen Chaos. 1971 fand im Sinhala-dominierten Süden des Landes eine Jugendrevolte statt, gleichzeitig schossen zahlreiche tamilische militante Gruppen im Norden des Landes wie Pilze aus dem Boden. Die Dichtung bildete die sozio-politischen Turbulenzen ab. Parakrama Kodithuwakku (*1943), eine Schlüsselfigur der Dekade, kündigte den Charakter dieser neuen Dichtung an: “Lass mich aufstehen wie ein Penis 1”, schrieb er. Obwohl es sich hier um eine patriarchalische Metapher handelte, bedeutete dies, dass sich hier eine radikal neue lyrische Form durchgesetzt hatte. Ein anderer Vers aus der Feder desselben Dichters erinnert Frauenverächter daran, dass Frauen ein wesentlicher Bestandteil des neuen Befreiungskampfs sind: “Woman is not just a hole. 2 Frauen wie Monica Ruwanpathirana schlossen sich diesem neuen poetischen Kampf an und teilten die lyrische Sensibilität jener Epoche.

Nach den Siebzigern drückte „sozial sensible“ Dichtung oder „Protestdichtung“ weiterhin den Wunsch nach einer gerechten Gesellschaft aus: Man kritisierte das Kastenwesen, Klassenunterschiede, die Diskriminierung ethnischer Minderheiten, die Unterdrückung von Frauen, Jugendunruhen und so weiter. Diese Gedichte sind nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft Sri Lankas, sondern man kann daran auch erkennen, wie das poetische Denken auf diese sozialen Themen reagierte. Rathnashri Wijesinghe war einer dieser Dichter, die in den 1980er- und 1990er-Jahren für ihre gesellschaftliche Sensibilität bekannt waren.

Die poetischen Trends, die nach den 1950er-Jahren entstanden, koexistieren bis heute. Vor allem vier Dichter haben die formale und thematische Vielfalt der Sinhala Dichtung erweitert. Die Lyrik von Eric Ilayaparacchi, Ariyawansa Ranaweera, Nandana Weerasinghe und Lal Hegoda ist ein Modus der tiefgründigen, philosophischen Reflexion, bei der es gleichzeitig um sozial bedeutsame Themen geht. Mit ihnen wurde die Lyrik strukturell verfeinert, thematisch komplexer und ästhetisch ansprechender. Außerdem forderten sie die imaginäre und meditative Partizipation des Lesers. Sie waren starke Befürworter einer lyrischen Form, bei denen der ästhetische Anspruch wichtiger war als die sozialpolitischen Implikationen. Mit anderen Worten, Schönheit wird bei ihnen nicht für Politik versklavt. Denken Sie an die Verse von Ilayapracchi über die Bronzestatue des ehemaligen Premierministers Bandaranaike:

Unser Erbe ist in diesen Statuen
Die reglos bleiben mit ihrem Bronzeverstand
Ihr Blick ruht
auf den großen Gefahren
die auf ihr Vaterland zukommen.


Verweise

  1. Akikaru Putrayekuge Lokaya. 1974.
  2. Aluth Minihek avith. 1975.

Liyanage Amarakeerthi
unterrichtet an der Universität von Peradeniya. Er ist Romanautor und Literaturkritiker.

Übersetzung: Claudia Richter