Briefe aus Deutschland

Indienerfahrungsbericht / Karlsruhe

Jan Wagner      - Foto: Goethe-Institut
Foto: Soumya sankar Bose
indienerfahrungsbericht Sonderbar: Gerade einmal ein paar Monate ist es her, da saßen wir in Kolkata, allesamt Gäste des dortigen Goethe-Instituts, das wie eine Oase der Ruhe im Trubel, der Hitze, dem Lärm dieser riesigen und faszinierenden, alle Sinne fordernden Stadt liegt, saßen im Hof oder in einem der Studienzimmer in die Gedichte der Partner vertieft, während auf der anderen Straßenseite ein Banyanbaum seine Luftwurzeln um die Mauern eines verfallenen Hauses legte. Nur ein paar Monate also, und nun steht Sumanta Mukhopadyay auf einmal da, im kühlen deutschen Herbst, im Frankfurter Ostend – und nicht nur er, sondern auch seine Frau und sein Sohn, da die Familie noch ein paar Tage länger in Europa verbringen will. Und es ist schön, nun auch seine Familie kennenzulernen – zumal mir Gatus, der Sohn, schon aus Sumantas Lyrik bekannt war, er mir während unserer Diskussionen in Kolkata den Hintergrund eines Gedichts erklärt hatte, eines Gesprächs zwischen einem Vater und dessen kleinen Sohn – Gatus eben, der nun, wie ich höre, die gesamte Reisegesellschaft wie ein Ortskundiger durch Frankfurt leitet, seine Eltern und dazu noch den Dichter Sopa aus Sri Lanka, der mit vollem Namen Sivasothy Pathmanathan heißt und klugerweise ein paar Ohrenwärmer gegen die deutsche Kälte eingepackt hat. Seltsam auch, am Tag nach unserer Frankfurter Veranstaltung gemeinsam nach Karlsruhe zu reisen, diese gemächliche Stadt, deren fächerförmige, markgräfliche Anlage den größtmöglichen Kontrast zum unbändigen Kolkata zu bilden scheint; Karlsruhe, wo wir vier Lyriker – Sumanta, Sopa, Barbara Köhler und ich – in der Kunsthalle vor den Gemälden Baldungs, Grünewalds und Cranachs verharren, uns gemeinsam auf die Suche nach den gut versteckten, überraschend kleinen Caspar David Friedrich-Bildern machen und uns für Dürers Radierungen begeistern, für Ritter, Tod und Teufel; Karlsruhe, wo wir anschließend noch rasch die deutsche Küche in einer Schnellrevue aus Maultaschen, Leberkäse und Kürbissuppe präsentieren, einer Kürbissuppe übrigens, die mit ihrem Orange allein ausgereicht hätte, um das gesamte Prinz-Max-Palais zu erhellen. Dort nämlich sind wir am Abend zu Gast, um über die Freuden und Unmöglichkeiten des Übersetzens zu diskutieren, über das Fremde, den Klang, das Verstehen. Das stellt sich manchmal so unerwartet und beglückend ein wie der Anblick der leuchtend pinken Flamingos des Karlsruher Zoos, vor denen wir am späten Nachmittag plötzlich gestanden hatten, auf dem Rückweg zum Hotel, um uns vorzubereiten auf unsere Lesung; dieses pinke Flamingoleuchten im herbstlichen Dämmer, das einen innehalten läßt, denken läßt: aber ja, das ist es.

Jan Wagner
Karlruhe, den 6.Oktober 2016