Dokumentarfilm Liebe, D-Mark und Tod - Mittwochskino

Liebe, D-Mark und Tod ©filmfaust _ Film Five

Mi, 24.04.2024

19:30 Uhr

Goethe-Institut Peru

Regie: Cem Kaya 2022, 102 min

Der erste Teil von Cem Kayas Dokumentation über die Geschichte der Türken in Deutschland heißt „Liebe“, und damit ist Vielerlei gemeint: Die Sehnsucht nach zuhause, Traurigkeit, Hoffnung, der Zusammenhalt in unfreundlicher Umgebung, also all das, was den Gefühlshaushalt der Migranten bestimmte. Insbesondere aber ist mit der Liebe ihre Beziehung zur Musik gemeint, denn Musik war für die meisten von ihnen ein Mittel, das die Gefühle besänftigte, gleichzeitig Unterhaltung bot und Geselligkeit herstellte.

Was man dabei hört, ist großartige türkische Musik, die in Deutschland allerdings wenig Verständnis fand. Die verächtliche Haltung gegenüber den Türken wird ausführlich durch alte Radio- und TV-Beiträge dokumentiert, „ein nötiges Übel“ ist dabei noch die freundlichste Bezeichnung für die Arbeiter, die für die Wirtschaftswunder-BRD dringend gebraucht wurden. Im Archivmaterial sieht man die Härte der Bedingungen, mit denen diese zurechtkommen mussten. Sie hatten die schlimmsten Jobs und die geringste Bezahlung, sie konnten kein Deutsch, also konnten sie sich nicht wehren.

Ihre Unterkünfte waren anfangs Schlafsäle für zwölf und mehr Personen, was dazu führte, dass man sich kennenlernte. Schnell war klar, wer ein Instrument spielen konnte, und der wurde aufgefordert, das zu tun. Denn ein Unterhaltungsangebot in Deutschland gab es für Türken nicht, wenn man von den Bordellen mal absah. Die Musik war das Einzige, was allen zugänglich war, also gab es jedes Wochenende Heimatabende mit improvisierten Konzerten, Gesang, Tanz. Türkische Lieder entstanden in Deutschland, man sang von falschen Versprechen, von der Arbeit, bald auch von Protest.

Cem Kaya hält sich mit den Themen Liebe, Geld und Tod an einen zeitlichen Ablauf, er beginnt mit den ersten Ausreisen aus der Türkei 1955, wechselt dann zum Anwerbeabkommen BRD-Türkei 1961. Die Bilder sind schwarzweiß, die Arbeiter steif und hoffnungsvoll. Ihre Musik nahmen sie auf Kassetten auf, die im Gemischtwarenladen verkauft wurden, bis die Nachfrage so groß wurde, dass reine Kassettenshops entstanden und dazu eigene, äußerst erfolgreiche Labels wie Türküola in Köln.

In den 1970er Jahren sorgte die wirtschaftliche Rezession für Massenentlassungen, da sieht man die Türken schon bunt und kämpferisch, es gab Streiks, Forderungen, auch Solidarisierung von deutschen Kollegen. Diese Geschichte von Einwanderung und Arbeiterbewegung lässt Kaya von Immigranten erzählen und von damaligen Musikern kommentieren. Aus etlichen davon wurden Popstars, sie gaben Konzerte von riesigem Ausmaß, waren berühmt in der Türkei und bei den Türken in Deutschland – bloß die deutsche Bevölkerung wusste nichts davon. Eine Überschneidung der Kultur gab es nicht.

Man sieht in Kayas Film türkische Zentren von Alltag und von Nachtleben, inzwischen verlagert von Köln nach Berlin, so bekommt man ein bisschen Mauerstadt-Nostalgie. Zu Archivbildern von wild durchtanzten Hochzeiten sprechen Musiker über zunehmenden Reichtum, zunehmenden Erfolg. Der stellte sich auch dadurch her, dass es jetzt Rockbands gab, die zweisprachig sangen. Deren Musik schwappte in den deutschen Kommerz, in den folgenden Jahren wuchs zudem eine Generation von deutsch-türkischen Rappern heran, die identitätsstiftend für ein Publikum jeder Herkunft wirkten.

Die Fremdenfeindlichkeit wird nicht ausgelassen. Kaya verweist auf den Hass der Rechtsextremisten, auf die Anschläge, man sieht zwei Parallelgesellschaften auf Distanz, heute wie damals. Nur und gerade die Musik ist eine Sache, bei der inzwischen ein kulturelles Crossover stattfindet: Es gibt Austausch und Begeisterung. So entdeckt Kaya mit seinem Film nicht nur die lang ignorierte Vergangenheit der türkischen Musik in Deutschland, sondern er findet in ihr auch noch Hoffnung für die Zukunft.

Doris Kuhn (14.04.2023)

Kritiken, Empfehlungen, Presseschau:

„Die Musik türkischer Einwanderer ist vielen in Deutschland unbekannt. Der Film "Liebe, D-Mark und Tod" erzählt, wie sich darin die Geschichte der Migration spiegelt.“ (Die Zeit)

„So vermittelt der hervorragend montierte Film viel vom Lebensgefühl der Türken in Deutschland. Andererseits spart er aber Themen wie Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Missbrauch und Unterbezahlung der Gastarbeitenden nicht aus. Und er zeigt deutlich, wie schwer die Integration der neu hinzugezogenen Mitbürger*innen war. Zu sehr unterschieden sich die kulturellen Bedürfnisse, zu wenig war die deutsche Bevölkerung bereit, ihr Land als Einwanderungsland zu akzeptieren und die Einwanderer als gleichwertige Bürger anzuerkennen. Bis heute entwickelt sich dieses Verhältnis miteinander weiter. Nicht nur deswegen wäre eine Fortsetzung der Dokumentation sicherlich ein spannendes Unterfangen.“ (Jurybegründung, deutsche Film- und Medienbewertung)

„Der Film ist eine Wucht; wie er aufwendig zusammenrecherchierte Archivaufnahmen und kurze Interview-Auftritte der Größen des Genres montiert zu einer wechselvollen Geschichte türkischer Migration, ist atemberaubend. So ist Cem Kayas Film einerseits ein kluger, politischer Film und andererseits ein Blockbuster über die Kraft von Musik, der sich niemand entziehen kann.“ (Jurybegründung, Preis der deutschen Filmkritik)

„Durch die vielen Interviews gelingt den Machern ein großes Meinungsbild, das bunt wie ein Mosaik leuchtet und einen wirklich tiefgehenden Einblick in die deutsch-türkische gemeinsame Geschichte der Nachkriegszeit bis heute liefert. Die Montage von Cem Kaya selbst ist … in ihrem Timing genau auf den Rhythmus der vielen Musikstücke abgestimmt. Doch bei all der Power, die der Film in sich trägt, bleibt im Kern auch ein bewegender, fast stiller Blick auf die Menschen, mit denen alles begann.“ (FBW Pressetext)

Preise:
2022 Berlinale Panorama, Publikumspreis „Bester Dokumentarfilm“
2022 Dokfest München, Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts
2022 IndieLisboa, Indiemusic Schweppes Award
2022 Dokufest Prizren, Kosovo: Publikumspreis
2023 Preise der deutschen Filmkritik, „Bester Dokumentarfilm“ und „Beste Montage“
 

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