Christoph Cierpka sorgt als Regisseur und Autor dafür, dass internationale Filme ins Deutsche synchronisiert werden – und dabei auch kulturelle und politische Anspielungen nicht verloren gehen. Wie macht er das? Ein Blick hinter die Kulissen eines Schattengewerbes.
Herr Cierpka, Sie arbeiten seit über 20 Jahren in der Synchronisation, haben Filme wie „The Hateful 8“ und „Django Unchained“ von Quentin Tarantino oder zuletzt „Girl on the Train“ von Tate Taylor ins Deutsche übertragen. Was reizt Sie daran?
Vieles. Die Arbeit im Team und mit der Sprache, die Möglichkeit, in unterschiedliche Kulturen einzutauchen. Jeder Film hat einen bestimmten Kontext – politisch, sozial, kulturell. Und bei der Synchronisation wird nicht nur eine Originalversion in die deutsche Sprache übersetzt, sondern es geht uns auch darum, kulturelle Hintergründe, sprachliche Nuancen zu übertragen. Außerdem habe ich das Glück, schöne Filme bearbeiten zu können, und zwar meist so, wie ich es gerne möchte.
Wo haben Sie Ihr Handwerk gelernt?
Synchronregie kann man nicht studieren, es ist ein „Anlernberuf“. Die meisten Autoren und Regisseure im Synchronbereich sind Schauspieler, die lange als Sprecher gearbeitet haben. Ich selbst war zuvor Regieassistent und Produktionsassistent, hatte aber schon immer Verbindungen zu der Branche, weil mein Eltern eine Synchronfirma hatten. Nach und nach bin ich dann in die Synchronisation gewechselt, als Texter und Regisseur. Dass Schreiben und Regie in einer Hand liegen, ist üblich.
Was mussten Sie für Ihren Beruf mitbringen?
Unter anderem ein Interesse für Sprachen und Kultur. Dabei muss man die Originalsprache, aus der heraus man synchronisiert, nicht notwendigerweise verstehen. Es hilft natürlich sehr, man begreift Feinheiten besser, kennt vielleicht auch die jeweilige Landeskultur. Wenn man die nicht kennt – was oft der Fall ist –, braucht man eine sehr gute Rohübersetzung, die auch Bedeutungsnuancen, kulturelle und politische Hintergründe einbezieht.
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Foto (Ausschnitt): © Ula Brunner
Synchronaufnahmen in den Rekorder Studios in Berlin-Kreuzberg
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Foto (Ausschnitt): © Ula Brunner
Synchronisation bedeutet Teamarbeit.
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Foto (Ausschnitt): © Ula Brunner
Diskussion mit dem Tonmeister: Ist die Aufnahme lippensynchron?
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Am Mischpult
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Kreative Auseinandersetzungen mit den Synchronsprechern ...
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Foto (Ausschnitt): © Ula Brunner
... und dem Cutter.
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Das Dialogbuch
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In der Regel dauert die Synchronregie ein bis zwei Wochen.
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Foto (Ausschnitt): © Ula Brunner
„Synchronisation findet in Deutschland auf einem hohen Niveau statt“, sagt Christoph Cierpka.
Erklären Sie uns das doch bitte genauer!
Beispiele sind asiatische, aber auch osteuropäische Filme, wo es oft subtile Anspielungen auf politische Situationen gibt, die ein deutsches Publikum nicht auf Anhieb versteht. Ich ergänze in so einem Fall etwa im Text eine Information, die im Original nicht da ist, um es klarer zu machen. Als Dialogautor sitze ich dann stundenlang vor dem Monitor und versuche, die Rohübersetzung so anzupassen, dass sie möglichst lippensynchron wirkt. Manchmal bin ich verzweifelt, weil ich denke, das ist der ideale Satz, aber er ist einfach nicht synchron und ich formuliere eine Variante. Aber im Studio, mit der Kunst der Schauspieler und Cutter, findet man dann oft doch die Ideallösung.
Häufig tauchen in den Originalfassungen auch Sprachvarietäten auf, für die es kein Adäquat im Deutschen gibt. Wie lässt sich eine Figur, die einen Dialekt oder African American English spricht, glaubhaft synchronisieren?
Die verschiedenen Sprachfärbungen vom Englischen ins Deutsche zu übertragen, ist ein Riesenproblem. Ich habe 2012 Django Unchained von Quentin Tarantino synchronisiert. Das Englisch in den Dialogen der Sklaven weicht zum Teil auch grammatikalisch von der Standardsprache ab. Dieses „Black American“ haben wir in ein einfaches Deutsch übersetzt. Schwierig wurde es aber bei dem Plantagenbesitzer Calvin Candie. Leonardo DiCaprio spricht in der Rolle ein „Southern American“, ein eigentümlicher Singsang, der Teile des „Black American“ aufgreift. Dafür gibt es kein sprachliches Adäquat im Deutschen. In solchen Situationen orientiere ich mich stärker an der Figurencharakterisierung. Gerade in dem Spiel DiCaprios gibt es viele Charaktereigenschaften – Verschlagenheit, Trunksucht – mit denen wir arbeiten konnten, damit die Figur in der Synchronfassung glaubhaft bleibt. Dabei ist natürlich auch die Besetzung wichtig, einen deutschen Schauspieler zu haben, der die Persönlichkeit des Originals trifft – auch wenn seine Stimme ein ganz anderes Timbre hat. Man fragt sich: Kommt diese Stimme aus dem Gesicht?
Foto (Ausschnitt): © Ula Brunner
Wie Deutschland zur Synchronnation wurde
Während in den meisten Ländern fremdsprachige Filme im Original mit Untertiteln gezeigt werden, sehen die Deutschen am liebsten synchronisierte Filme. Warum ist das so?
In kaum einem anderen Land wird so viel synchronisiert wie in Deutschland. Ganz unumstritten ist das allerdings nicht – die Synchronisation wird oft auch als „Schattengewebe“ bezeichnet. Gerade in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ging die sprachliche Bearbeitung eines Films oft mit einer politischen Hand in Hand: In „Casablanca“ aus dem Jahr 1942 wurde etwa aus einem Film gegen den Nationalsozialismus eine harmlose Romanze. Wie manipulativ kann die Synchronisation sein?
Der Synchronisation wohnt natürlich eine große Manipulationskraft inne. Man glaubt zwar, die Bildebene gibt alles vor – aber das stimmt nicht. Solche Neufassungen wie bei Casablanca sind machbar. Auch heute noch wird aus Gründen der Political Correctness manches abgeschwächt oder umformuliert – etwa bei den sogenannten „Airline Versions“. In Filmen, die während eines Langstreckenfluges gezeigt werden, darf nichts gesagt werden, was für bestimmte Kulturkreise oder Religionen nur entfernt anstößig sein könnte. Allerdings wird dabei nichts politisch „verdreht“. Die Synchronisation ist ein Schummelgewerbe, das stimmt. Aber im Kern wollen wir nah am Original bleiben. Wir können versuchen, würdevoll eine deutsche Fassung herzustellen, die wesentliche Aussagen des Originals transportiert. Aber hundertprozentig ist das nur selten zu schaffen.
Filmliebhaber werfen der Synchronisation außerdem vor, sie führe zu einer kulturellen Uniformität. Auch deswegen sieht gerade das jüngere Publikum gerne Filme im Original.
Bei Django haben viele Leute gesagt: Wir sind froh, dass der Film synchronisiert wurde, weil man ihn im Original so schlecht versteht. Englisch und Französisch sprechen viele noch ganz passabel, bei anderen Sprachen wird es schon schwierig. Untertitel wiederum lenken ab vom eigentlichen Film und sind hierzulande knallhart im Arthouse-Bereich verankert. In Deutschland findet die Synchronisation – trotz allem, was man ihr vorwerfen kann – auf einem sehr hohen Niveau statt. Synchronisation fällt nur auf, wenn sie richtig schlecht ist. Im Grund genommen ist unser Job, nicht aufzufallen. „Ich hab gar nicht gemerkt, dass der synchronisiert war“: Das ist das höchste Kompliment, das wir kriegen können.
Foto (Ausschnitt): © Ula Brunner
Christoph Cierpka, Jahrgang 1963, ist seit 1995 als Dialog-Autor und Synchron-Regisseur für die deutsche Sprachfassung von über 120 Kinofilmen verantwortlich. 2009 wurde er für seine Synchronregie von Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra (Matteo Garrone, Italien 2008) mit dem Deutschen Preis für Synchron ausgezeichnet. Christoph Cierpka lebt in Berlin.