Operettenrevival in Berlin
„Der Jazz, der Dreck, der Sex und das Subversive“

Seit Barrie Kosky die Intendanz der Komischen Oper Berlin übernommen hat, geht es rund. Denn der umtriebige Australier macht Schluss mit Klischees der ernsten Muse. Und damit trifft er den Nerv einer Zeit, die wieder reif für die Operette zu sein scheint.
Barrie Kosky hat an der Komischen Oper eine Ära der neuen Leichtigkeit ausgerufen. Seit dem Beginn seiner Intendanz im Sommer 2012 gräbt er Operetten aus, und zwar am liebsten solche, die in den 1920er Jahren in Berlin uraufgeführt wurden. Bislang am überzeugendsten gelangen ihm Paul Abrahams Ball im Savoy, mit dem er das Revival des Operetten-Genres eröffnete, und Eine Frau, die weiß, was sie will von Oscar Straus, die bei ihrer Premiere im Februar 2015 das Publikum zu stehenden Ovationen hinriss. Mit der verstaubten Biederkeit, die man mit diesem Genre sonst oft assoziiert, haben seine schrillen, grellbunten Inszenierungen nichts zu tun. Stattdessen mischt er hemmungslose Lust am Kitsch mit virtuosem Witz. Koskys Operetten-Aufführungen mit der Schauspielerin Dagmar Manzel, den Geschwistern Pfister, der Musical-Darstellerin Katharine Mehrling oder dem Schauspieler Max Hopp sind inzwischen Kult in der Hauptstadt. Und Albernheit, Ohrwürmer und sexuelle Mehrdeutigkeiten auf der Bühne wurden ein neues Markenzeichen der Komischen Oper.
Wissenschaft und Unterhaltung
Da versteht es sich von selbst, dass auch das wissenschaftliche Symposium, das 2015 zum Thema Kunst der Oberfläche – Operette zwischen Bravour und Banalität veranstaltet wurde, keine trocken-papierene Angelegenheit sein durfte, sondern das Publikum zugleich unterhalten wollte. Katharine Mehrling räkelte sich zum „Theodor-Jazz“ lasziv auf einem Flügel oder verballhornte besonders kryptisch formulierte Ausschnitte aus Theodor Adornos Schriften in breitem hessischen Dialekt. Das ist lustig – aber auch etwas wohlfeil. Denn es greift deutlich zu kurz, Adorno zum Buhmann zu stilisieren, dessen Kritik am Jazz und an der leichten Muse die Spaltung der Musik in eine „ernste“ und eine „unterhaltende“ Sphäre gefestigt habe.Einig waren sich die Teilnehmer einer Podiumsrunde zum Thema E- und U-Musik in der Feststellung, dass die Trennung der Sphären in Deutschland säuberlicher vollzogen worden sei, als in anderen Ländern. Barrie Kosky sieht darin vor allem eine bis heute nachwirkende Folge jenes brutalen Kahlschlags, den das Genre durch den Nationalsozialismus erlitten hat. Denn die Berliner Operette und die Jazz-Operette, die in den 1920er und 1930er Jahren am Metropoltheater Erfolge feierte, war eine meist von jüdischen Künstlern geprägte Kunstform. Ihre entscheidenden Protagonisten wurden von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben – wie die Sängerin Fritzi Massary und der Komponist Paul Abraham – oder ermordet.