Dirigenten und Solisten
Die Dirigenten- und Solistenszene in Deutschland

Dirigenten und Solisten stehen bei Klassik-Konzerten oft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Viele konzertieren mittlerweile auf der ganzen Welt. Diese Internationalisierung hat auch Auswirkungen auf das Musikleben in Deutschland.

Gewandhausorchester Leipzig, Riccardo Chailly; Gewandhausorchester Leipzig, Riccardo Chailly; | Copyright: Gerd Mothes Die Dichte der Konzert- und Opernereignisse in Deutschland ist nach wie vor einzigartig in der Welt. Auf der Suche nach Lohn und Brot und der Aussicht auf eine Karriere strömen aus diesem Grund hochqualifizierte junge Musiker aus aller Welt an deutsche Musikhochschulen, in deutsche Opernhäuser- und Konzertagenturen, was die hiesigen Musiker unter verschärften Konkurrenzdruck setzt. Es gibt 84 öffentlich finanzierte deutsche Stadttheater mit Theaterorchester und -chor, dazu kommen etwa 30 Konzertorchester und 13 Rundfunkorchester. Insgesamt sind also rund 130 Generalmusikdirektorenstellen oder Chefdirigentenposten zu besetzen, nicht mitgerechnet die Chor- und Laienchordirigenten, die Leiter von freien Kammerorchestern und Spezialensembles der Alten und der Neuen Musik, die Kirchenmusikdirektoren und Blasmusikorchesterdirigenten. Vergleichbar hoch ist das Aufkommen an Solistenauftritten in den Abonnementsreihen der Konzert- und Opernhäuser, in den Kirchenkonzerten, bei Festivals.

Dabei ist die Internationalisierung des Musiklebens heute so weit vorangeschritten, dass, zum Beispiel, in der Festivalsaison 2010 in Bad Kissingen, wo seit 25 Jahren der "Kissinger Sommer" blüht (als eines der größten deutschen Festivals für Orchester- und Konzertmusik) von den 15 gastierenden Dirigenten nur drei aus Deutschland stammen und von den 50 auftretenden Pianisten nur 9 in Deutschland und Österreich geboren und ausgebildet worden sind. Die Elite der international gefragten Solisten wie auch der Dirigenten kommt heute vorwiegend aus Russland, Lettland, Großbritannien und Skandinavien, in einigen Genres (Gesang, Klavier) neuerdings auch aus China, Japan und Korea. Die Arbeitssprache in den Orchestern und auf den Bühnen ist in aller Regel englisch. Allerdings sind viele deutschsprachige, in Deutschland ausgebildete Dirigenten und Solisten von hohem Rang seit jeher aktiv auf internationalem Parkett. Franz Welser-Möst steht beispielsweise der Wiener Oper auch dem Cleveland Orchestra vor und Christoph Eschenbach wird nach Stationen beim National Symphony Orchestra in Washington und der Mailander Scala in der Saison 2019/20 zum Konzerthausorchester Berlin wechseln.

Musiker sind Reisende

Diese Liste lässt sich in die Vergangenheit verlängern, so prägte etwa Christoph von Dohnányi entscheidend das Musikleben in Cleveland, agierte Kurt Masur in New York als Chef der dortigen Philharmoniker. Umgekehrt geht es freilich auch in den deutschen Spitzenorchestern international zu. Nicht nur die Musiker kommen aus aller Herren Länder. Auch die Solisten, auch die Chefdirigenten: An der Spitze der Berliner Philharmoniker steht mit ab Sommer 2019 mit Kirill Petrenko ein Russe an der Spitze des besten deutschen Rundfunkorchesters in München mit Mariss Jansons ein Lette, an der des WDR-Sinfonieorchester mit Jukka-Pekka Saraste ein Finne und die großen Opernhäuser in Hamburg, Berlin und München werden derzeit gelenkt von einem japanischstämmigen Amerikaner, einem Argentinier und einem Russe. Ja, es ist, was zu Furtwänglers Zeiten noch selbstverständlich war, im 21. Jahrhundert geradezu die Ausnahme geworden: Dass ein deutscher Dirigent eines der wichtigen deutschen Orchester leitet.

Allerdings ist diese Internationalisierung des Musikbetriebs nichts Neues. Vor allem: Sie ist nicht nur eine Folge allgemeiner Globalisierung des Musikgeschäfts. Auch, wenn es historisch immer wieder eindeutig abgrenzbare nationale Stile und Schulen gibt in der Musik, so ist die Sprache der Musik seit jeher international. Spätestens seit dem 15. Jahrhundert brachte der Musikerberuf eine gewisse Mobilität mit sich. Musiker sind Reisende, grenzüberschreitend immer unterwegs dorthin, wo ihre Auftritte meist erwünscht sind und am besten bezahlt werden. Händel ging von Halle aus nach Italien und England, der junge Mozart reiste nach Mailand, Paris und London, Beethoven ging von Bonn nach Wien, Scarlatti von Italien nach Spanien, Rossini und Bellini von Italien nach Frankreich und die großen Solisten im 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Virtuosen, Franz Liszt oder Niccolo Paganini, sprachen nicht nur fließend mehrere Sprachen (so wie Daniel Barenboim heute), sie hatten auch mehrere Wohnsitze.

Dirigieren: ein junger Beruf

Der Dirigentenberuf ist der jüngste unter allen Musikerberufen. Er entstand im 19. Jahrhundert, als das bürgerliche Musikleben expandierte, als die großen Symphonien komponiert und entsprechend geräumige Konzerthallen und Opernhäuser gebaut wurden, mit tausend und mehr Plätzen. Bald weiteten sich Orchester aus zu gewaltigen Klangkörpern von 80 bis 120 Musikern. Carl Maria von Weber war einer der ersten Kapellmeister, die nicht mehr am Instrument sitzend, sondern vor dem Orchester stehend mit einer Notenrolle in der Hand dirigierte (1817). Ignaz von Mosel benützte zum ersten Mal so etwas wie einen Taktstock (1812). Hector Berlioz schrieb die erste Instrumentationslehre (1844). Die ersten Dirigenten waren zugleich Komponisten und Solisten in Personalunion. Oftmals waren sie zugleich auch Musiktheoretiker und Musikkritiker. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist die Arbeitsteilung so weit vorangeschritten, dass mit Eduard Hanslick der erste "vollberufliche" Musikkritiker auf den Plan trat und mit Hans von Bülow der erste reisende "Star-Dirigent", der nicht mehr an einen bestimmten Kapellmeisterposten gebunden war. Allerdings: Auch Hanslick spielte noch gut genug Klavier, um mit Liszt öffentlich vierhändig spielen zu können, und auch Hans von Bülow trat nebenbei auf als Pianist und als Komponist. Sein Nachfolger am Pult der Berliner Philharmoniker, Arthur Nikisch, war ein professionell ausgebildeter Geiger, dessen Nachfolger Wilhelm Furtwängler schrieb am liebsten groß besetzte Symphonien, er bezeichnete zeitlebens das Komponieren als seinen Hauptberuf. Erst mit Herbert von Karajan beginnt das Zeitalter der professionellen Nur-Dirigenten.

Nicht zufällig machte Karajan (der übrigens auch Komposition studiert und zunächst eine Pianistenkarriere begonnen hatte) die Ausbildung junger Dirigenten zu einem persönlichen Anliegen, er gab erstmals Meisterkurse, beschäftigte Assistenten und begründete 1969 den ersten Dirigentenwettbewerb. Mehr als 700 Dirigenten verdanken diesem Wettbewerb der Karajanstiftung ihren Start, darunter Valeri Gergiev und Mariss Jansons. Als Christian Thielemann 1984 gegen Karajans Willen von der Jury ausgemustert wurde, weil er den von den Statuten festgelegten Zeitrahmen überschritt, war dies zugleich das Ende des Wettbewerbs. Der Deutsche Musikrat gründete sechs Jahre später mit dem "Dirigentenforum" ein Förderprogramm mit Meisterkursen und Stipendien, das diesen Verlust allerdings nie ganz kompensieren konnte. Ein ernst zu nehmender Versuch, dies zu tun, ist der "Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerb", der zum ersten Mal 2004 in Bamberg ausgetragen wurde. Der erste Gewinner war der junge Gustavo Dudamel (Chef der Los Angeles Philharmonic). Zwei Jahre zuvor war in Frankfurt der nach Georg Solti benannte Dirigentenwettbewerb gegründet worden, hochkarätig besetzt und auch bestens dotiert, er findet im Turnus von zwei Jahren statt. Von den Preisträgern der vergangenen Jahrgänge hat allerdings bisher keiner Karriere gemacht.

Wettbewerbe als Sprungbrett?

Überhaupt bedeutet ein Preis in einem Wettbewerb noch nicht, dass ein Dirigent sich durchsetzen wird. Dies gilt in verschärfter Weise für die Wettbewerbe in den Solo-Sparten der Instrumentalmusik, zumal für die vielen teils traditionsreichen Solistenwettbewerbe in Deutschland, weniger für die auf internationalem Parkett. Wer als Geiger beispielsweise den Concours Reine Elisabeth in Brüssel gewonnen hat (oder als Pianist den Chopinwettbewerb in Warschau), der kann sicher sein, dass ihm Konzertengagements an großen Häusern angeboten werden. Gewinnt er den deutschen Louis-Spohr-Wettbewerb oder den Wettbewerb "Violine in Dresden", ist das nur eine vergleichsweise kleine Stufe auf dem Treppchen. Der mittlerweile wichtigste deutsche Nachwuchswettbewerb für junge Solisten aller Sparten ist der ARD-Musikwettbewerb in München, auch der Bechstein-Klavierwettbewerb, 2006 begründet, ist als Versuch zu werten, gleichzuziehen mit den großen internationalen Klavierwettbewerben in Brüssel, Bozen, Warschau und Moskau. Und außerordentlich viel für die Eliteförderung junger Musiker tun einzelne Musiker von Rang, darunter die große Geigerin Anne-Sophie Mutter, die selbstredend ihrerseits in aller Welt auftritt, wie andere Solisten auch.

Wie erwähnt, gibt es trotz aller Egalisierungstendenzen im internationalen Musikbetrieb doch immer noch so etwas wie nationale Schulen. Dabei wird die Frage heiß diskutiert, ob es sich um bewahrenswerte Traditionen handelt oder doch eher nur um Mythen. Tatsächlich lassen sich zum Beispiel Wurmfortsätze der legendären russischen Klavierschule bei Wettbewerben beobachten (etwa, wenn Schülers-Schüler von namhaften russischen Klaviererziehern wie Heinrich Neuhaus auftreten). Und der "alte deutsche" Klang, wie ihn Furtwängler kultivierte und Karajan auf die Spitze trieb, der ist in deutschen Orchestern wie dem Leipziger Gewandhausorchester oder der Staatskapelle Dresden heute noch lebendig und wird von Dirigenten wie Thielemann und Barenboim gepflegt und geschätzt.