Tanzkritik Tanz Sehen als Denkweise

Der Niedergang der Tanzkritik wird seit geraumer Zeit schon beklagt. Einer, der sich mit diesem Befund nie zufrieden gegeben hat, ist der belgische Autor und Denker Jeroen Peeters. Zeitgenössischer Tanz war und ist für ihn ein reiches Feld der Anschauung und des Erlebens, das er unermüdlich mit den Mitteln der Sprache bestellt – seit nun schon fast 20 Jahren.
Peeters hat regelmäßig Rezensionen für die Tagespresse geschrieben, war Dramaturg für Meg Stuart oder Performer bei deufert&plischke und ist einer der Gründer der legendären flämischen Internet-Plattform sarma für Tanz- und Choreografie-Denken. Sein Ethos besteht darin, zwar durchaus über die Werke aktueller Künstlerinnen und Künstler zu schreiben, aber niemals ohne sie und an ihnen vorbei. Insofern ist er auch kein Kritiker, dessen Auftrag in der Bewertung bestünde. Sondern er ist Denker und manchmal auch Chronist. Im langjährigen und engen Austausch mit Choreografen wie Vera Mantero, Boris Charmatz, Philipp Gehmacher, Kattrin Deufert und Thomas Plischke, Jennifer Lacey oder Meg Stuart begleitete er Arbeits- und Denkprozesse, analysiert kritische Strategien – oder vielleicht müsste man treffender sagen: Strategien der Kritik – und stellt sich selbst als „professioneller Zuschauer“ zwischen die unterschiedlichen Regimes des Theaters, des Sehens, des Verstehens und der Wahrnehmung.
Nun hat Peeters, dessen Wirkungskreis sich auf ganz West- und Mitteleuropa sowie Skandinavien erstreckt, wichtige Texte aus den vergangenen 15 Jahren in einem Buch zusammengestellt: Through the Back. Es handelt sich dabei zumeist um Artikel in Fachzeitschriften, die er ins Englische gebracht, überarbeitet, aktualisiert und um ein Vorwort und ein Schusskapitel ergänzt hat. Der Untertitel dieser Jeroen-Peeters-Anthologie umreißt das eigentliche Thema: „Situating Vision“ meint, dass schon die Kulturtechnik des Sehens eben gerade keine Universalie ist, keine unhinterfragte Konstante eines künstlerischen Weltzugangs. Sondern dass dieses Primat der Sichtbarkeit, das dem Theater als Institution bereits vorausliegt, dem Tanz eine ganz eigene Aufgabe zuweist. Denn, so Peeters im Einleitungskapitel, „This practice of looking is itself discursive, as it is formed by a history of media and images and thus also situated in the realm of cultural intelligibility.“ („Diese Praxis des Sehens ist selbst schon diskursiv, und sie ist durch eine Geschichte der Medien und Bilder gegangen; somit situiert sie sich im Bereich der kulturellen Lesbarkeit.“)
Bilder sehen uns an

Mit dem Rücken – der Titel verweist auf den großen blinden Fleck unserer visuellen Kultur, nämlich das strukturell Unsichtbare, welches allem Sichtbaren beigegeben ist. Ohne technische Hilfsmittel oder komplizierte Medienkonstrukte können wir eigentlich nur sehr wenig sehen, vor allem von uns selbst. Der Rücken bleibt immer im Verborgenen, ebenso das Innere. Dem Raum der Sichtbarkeit steht also ein mindestens ebenso großer Raum des Unsichtbaren, des Nicht-Sehbaren gegenüber. „Human vision thrives on an ‚aesthetics of disappearance‘, it overlooks looking itself and ignores the mediation of the visual act“ („Das menschliche Sehen verfolgt eine ‚Ästhetik des Verschwindens‘; dabei übersieht es das Sehen als solches und übergeht die Vermittlungen des Seh-Aktes.“), wie Peeters das nennt.