50. Berliner Theatertreffen
„Ein Brennglas theatraler Entwicklungen“

1964 gegründet, hat sich das Berliner Theatertreffen bis heute als wichtigste Leistungsschau der deutschsprachigen Theaterszene behauptet. Es ist Branchentreff und Publikumsfestival gleichermaßen. Eine Zwischenbilanz zum 50. Theatertreffen.
Es ist ein festes Ritual: Jedes Jahr im Mai versammelt sich die deutschsprachige Bühnenwelt in Berlin, um die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen einer Saison aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu begutachten. Knapp drei Wochen lang werden die von einer unabhängigen Kritikerjury ausgewählten Produktionen beim hauptstädtischen Theatertreffen als Gastspiele präsentiert. Im Mai 2013 feierte das traditionsreiche Bühnenfestival, das von den Berliner Festspielen veranstaltet und von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wird, sein 50. Festival. Der leitende Redakteur der Fachzeitschrift Theater heute und mehrmalige Theatertreffen-Juror Franz Wille ist nicht der Einzige, der sich bei dieser Gelegenheit als „dankbarer Fan dieser Veranstaltung“ outete: „Hier habe ich einen wichtigen Teil meiner Seherfahrungen gemacht“, so Wille in einem Interview mit der taz. Ganz ähnlich äußert sich Matthias Lilienthal: „Viele von meinen ersten Seherfahrungen habe ich auch dem Theatertreffen zu verdanken“, sagt der ehemalige Chefdramaturg der Berliner Volksbühne und Ex-Intendant des Theater Hebbel am Ufer in der zum Jubiläum erschienenen Publikation Fünfzig Theatertreffen und konkretisiert: „Frühe Zadek-Inszenierungen hätte ich sonst verpasst.“
Schaufenster des Westens
Die Frage nach Sinn, Zweck und Attraktivität des Theatertreffens wäre damit bereits doppelt beantwortet – wiewohl das Festival im Jahr 1964 natürlich unter anderen historischen Bedingungen und Maßgaben ins Leben gerufen wurde. Im geteilten Berlin fungierte es während des Kalten Krieges gleichsam als Schaufenster des Westens. „Mit dem Berliner Theaterwettbewerb soll der Versuch gemacht werden, … durch eine Auswahl von Schauspielinszenierungen … nicht nur ein Bild vom Stand des deutschsprachigen Theaters zu geben, sondern auch die wegen der Isolierung der einzelnen Theaterstädte voneinander so notwendige Möglichkeit des Vergleichs zu schaffen“, ist in der Verfahrensordnung aus dem Gründungsjahr zu lesen. Wiederholte Einladungen auch an ostdeutsche Bühnen mussten freilich lange Zeit symbolischer Natur bleiben. Erst im Mai 1989, wenige Monate vor dem Fall der Berliner Mauer, durften Theater aus dem sozialistischen Teil des Landes zum Festival reisen.
Durchsetzung neuer Regie-Generationen
Doch auch in der mittlerweile veränderten historischen Situation – nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 – hat die Leistungsschau nichts von ihrer Relevanz verloren, sagt die Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer im Gespräch mit dem Berliner Stadtmagazin Tip: „Das Festival ist durch die vielen internationalen Festival-Kuratoren, Künstler, Intendanten und Journalisten, die sich die Aufführungen ansehen, längst zu einem Schaufenster des deutschsprachigen Theaters für die Welt geworden.“ Viele internationale Festival-Macher laden Inszenierungen ein, die sie dort gesehen haben. Eine wichtige Rolle spielte das Theatertreffen überdies immer wieder bei der Durchsetzung neuer Regie-Generationen – etwa in den 1960er-, 1970er-Jahren, als es darum ging, seinerzeit junge Künstler à la Peter Zadek, Peter Stein oder Claus Peymann gegen die Nachkriegsgrößen zu behaupten. Mit 21 Einladungen (Zadek) und je 17 Einladungen (Stein und Peymann) bildet dieses Trio übrigens bis heute die Spitzengruppe in puncto absoluter Theatertreffen-Präsenz.
Neue Programm-Segmente
Dass das Theatertreffen bis heute neue ästhetische wie strukturelle Entwicklungen abbildet, zeigen Nominierungen freier Dokumentartheater-Gruppen wie Rimini Protokoll oder internationaler Koproduktionen wie Gob Squads Performance Before Your Very Eyes in den letzten zehn Jahren. Doch das Berliner Theatertreffen ist laut Yvonne Büdenhölzer nicht nur „ein Brennglas“ theatraler Entwicklungen, ein „Karrierebeschleuniger“ für die eingeladenen Künstler sowie der „Branchentreff“ schlechthin, sondern auch ein veritabler „Talente-Campus“. Denn um sein Herzstück herum – die Präsentation der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen eines Bühnenjahrgangs – ist das Festival kontinuierlich gewachsen. 1965 etwa kam mit dem „Internationalen Forum“ eine Begegnungs- und Fortbildungsmöglichkeit für junge Bühnenangehörige aus aller Welt hinzu, während mit dem 1978 gegründeten „Stückemarkt“ eine Plattform für junge deutschsprachige Gegenwartsdramatik entstand.
Alleinstellungsmerkmal: Kritiker-Jury
Was sich über all die Jahrzehnte hinweg indes nicht verändert hat, ist das Auswahlverfahren durch eine – aktuell siebenköpfige – reisende Jury professioneller Theaterkritiker, die jeweils für drei aufeinander folgende Jahre im Amt bleiben. Dieses unabhängige Auswahlgremium und das sich aus dieser Konstellation ergebende Prozedere gilt als wichtiges Alleinstellungsmerkmal des Berliner Theatertreffens. Die Jury des Jubiläumsjahrgangs 2013 beispielsweise sichtete insgesamt 423 Aufführungen. Jeder Juror besucht im Schnitt zwischen 100 und 130 Theaterabende pro Saison. Die nach dem Mehrheitsprinzip getroffene Auswahl steht also auf stabilen Füßen – auch wenn beim Festival (auch dies gehört zu den festen Ritualen des Berliner Theatertreffens) natürlich immer wieder aufs Leidenschaftlichste über sie debattiert wird.