Festival Offene Welt
Die Utopie des friedlichen Miteinanders

Seit Januar 2015 ist Tilman Gersch Intendant des Theaters im Pfalzbau in Ludwigshafen. Gleich Ende Februar stemmte er ein neues Festival, das sich sechs Tage lang und mit 39 Veranstaltungen den Themen Migration, Fremdheit und Ausgrenzung widmet.
Launig und ein bisschen harmlos fängt es an. Volker Staubs Klangcollage Ludwigshafen Sound Surround führt vor Ort lebende Musiker aus Korea, Togo und der Türkei rhythmisch mit Geräuschen der Industriestadt am Rhein zusammen. Es ist eines der vier Bürgerbeteiligungsprojekte des internationalen Festivals Offene Welt. Regisseurin Regina Wenig hat bei deutsch-italienischen Bürgern aus Ludwigshafen „Stimmen vom Rande Europas“ gesammelt, um dem „Gefühl Lampedusa“ näherzukommen. Und Dramaturgin Luise Rist erarbeitete mit Jugendlichen und Erwachsenen den Theaterworkshop Mahala International für Menschen mit Fluchterfahrung: syrische Kriegsflüchtlinge, politisch Verfolgte aus Ägypten, Roma aus Serbien und Albanien, Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia. Als Ludwigshafener Neubürger sind sie mit Begrenzung, Ausgrenzung und Entgrenzung besser vertraut als mit der deutschen Sprache. Die ersten, vorsichtigen Schritte auf die Workshop-Bühne sind rührend, die Suche nach einer gemeinsamen Sprache, komische Missverständnisse inklusive, macht hoffnungsfroh. Das gilt ebenso für das Volksfest, das die bunte Vielfalt der Stadt und ihrer Menschen, die hier aus 140 Nationen stammen, musikalisch und kulinarisch widerspiegelt, wie für das – überwiegend englische – Konzertprogramm des muslimischen Weltstars Sami Yusuf, der beherzt ein friedliches Miteinander einfordert.
Fremdheit, Migration und Ausgrenzung

Das von Jürgen Berger, Bernd Jestram, Intendant Gersch, Daniel Richter und Barbara Wendland glänzend kuratierte Festival zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es nicht nur große, staatstragende Erfolgsproduktionen zum Thema zu erleben gibt, sondern eben auch freie Theaterarbeiten und Kleinformatiges aus dem europäischen wie dem ferneren Ausland.
Gemeinsam berichten das Staatstheater Braunschweig und das rumänische Nationaltheater Marin Sorescu Craiova in der dokumentarisch erstellten zweisprachigen Produktion Erdbeerwaisen von der Situation verlassener rumänischer Kinder, deren Eltern sich aus wirtschaftlicher Not als Erntehelfer und Billigarbeiter in Westeuropa verdingen müssen. Indes zeigt die freie Frankfurter Theaterperipherie mit Ich rufe meine Brüder des tunesisch-schwedischen Autors Jonas Hassen Khemiri, wie sich Misstrauen, Verdacht und Radikalisierung gegenseitig unselig verbinden können.
Identität und Heimat

„Die Kenntnis des Anderen macht uns reicher und schöner“, sagte Tilman Gersch anlässlich der Eröffnung, und plädiert dafür, den Anderen wahrzunehmen, ihn auch in dem zu respektieren, was uns fremd erscheint. Ein humanistischer Anspruch, den diese Festival-Premiere eindrücklich beherzigt.