Citizen Science
Bürger schaffen Wissen

Laien arbeiten als Hilfswissenschaftler an Forschungsprojekten mit oder entwickeln eigene Projekte – das ist die Idee von Citizen Science. Ein Trend, der sich auch in Deutschland durchsetzt.
Sie beobachten Schmetterlinge, fangen Fliegen oder überwachen ihre Gesundheit mit einer Smartphone-App. Die Rede ist von Citizen Scientists, von Bürgerwissenschaftlern. Sie sammeln wichtige Daten oder unterstützen auf andere Weise Wissenschaftsprojekte. In den USA und Großbritannien hat man den Nutzen, den die Zusammenarbeit von Laien und Wissenschaftlern nicht nur für die Forschung, sondern auch für Wirtschaft, Politik und nicht zuletzt für den Alltag bringen kann, schon seit längerem erkannt.
Inzwischen gibt es auch in Deutschland eine zunehmende Zahl an Bürgerwissenschaftsprojekten. Eines davon ist das vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei geleitete Forschungsvorhaben Verlust der Nacht. Die Idee: Eine Smartphone-App leitet Hobby-Astronomen zu bestimmten Sternen und fragt, wie hell diese sind. Auch geben die Bürgerwissenschaftler an, wie viele Sterne sie insgesamt sehen und welcher Stern der lichtschwächste ist. Weltweit soll dank der Mitarbeit der Laien-Forscher auf diese Weise die Helligkeit des Himmels bestimmt werden.
Einen Überblick über Citizen-Science-Projekte geben die Websites Buergerschaffenwissen.de und Citizen-science-germany.de. Das Konzept ist im Grunde nicht neu. So rief bereits im Jahr 1900 die National Audubon Society die amerikanischen Bürger zum Christmas Bird Count auf: einer nationalen Vogelzählung, die seitdem jedes Jahr stattfindet.
Es geht vor allem um Masse
Für den Kunsthistoriker Hubertus Kohle ist die Beteiligung von Laien an der Wissenschaft ebenfalls nichts Neues. Verändert habe sich aber, dass man einige Projekte mithilfe digitaler Medien „viel besser organisieren kann“ und zudem über das Internet weit mehr potenzielle Teilnehmer erreiche. Und genau das sei bei den meisten Citizen-Science-Projekten entscheidend. Gehe es doch dabei selten um das Finden einer neuen Weltformel, sondern in erster Linie um Masse. Das heißt: um die Erhebung möglichst vieler Daten, die dann als Grundlage für die weitere Forschung oder Anwendung dienen.Das ist bei dem von Hubertus Kohle an der Ludwig-Maximilian-Universität München geleiteten Projekt Atigo, einem der wenigen deutschen geisteswissenschaftlichen Citizen-Science-Projekte, nicht anders. Artigo ist ein so genanntes game with a purpose, ein Spiel mit Zweck, bei dem es darum geht, Kunstwerke mit Schlagworten zu beschreiben. Der wissenschaftliche Nutzen von Artigo: jedes Schlagwort, das von mindestens zwei verschiedenen Spielern verwendet wird, landet als Suchbegriff in der kunsthistorischen Datenbank Artemis. Und der Nutzen für den Spieler: Unterhaltung und kunsthistorische Bildung. Erfährt man doch nach jedem Spieldurchgang Titel, Künstler und weitere wichtige Daten.
Natürlich könnte man auch ein rein wissenschaftliches Team mit der Schlagwort-Eingabe beauftragen. Aber bei den rund 50.000 Kunstwerken, die in Artemis erfasst sind, dürfte das Jahrzehnte dauern. Auf die Idee, das Ganze an die „Crowd“ zu delegieren, kam Hubertus Kohle durch James Surowieckis Buch Die Weisheit der Vielen. Der Autor vertritt darin die Grundthese, Gruppen seien oft klüger als Einzelne. „Ein tolles Konzept“, findet der Kunsthistoriker, das ihm und seinem Team inzwischen zu mehr als acht Millionen Schlagworten verholfen hat.
Entwickelt in der Waschküche
Dass auch ein Einzelner mit einer guten Idee viel bewirken kann, zeigt ein anderes Citizen-Science-Projekt: die Ein-Dollar-Brille. Es handelt sich dabei um eine schnell herstellbare Brille, die für die weltweit schätzungsweise 150 Millionen Menschen gedacht ist, die eine Brille bräuchten, sich aber keine leisten können.Entwickelt wurde die Brille von dem Erlanger Mathematik- und Physiklehrer Martin Aufmuth. Auch ihn brachte ein Buch auf die Idee: Out of Poverty von Paul Polak. Er schreibt, dass es eine Brille geben müsste, die sich auch ein „Ein-Dollar-Arbeiter“ leisten kann. Als Aufmuth kurz darauf in einem Ein-Euro-Shop Brillen entdeckte, fragte er sich, warum es so etwas nicht auch in Afrika gebe. In seiner Waschküche experimentierte er daraufhin mit Fahrradbremskabeln oder anderen Materialien und landete schließlich bei einem robusten und einfach herstellbaren Modell aus Federstahldraht.
Der eigentliche Clou ist aber gar nicht die Brille, sondern die zugehörige Biegemaschine. Diese enthält inklusive verschiedener Linsen alle Materialien und Werkzeuge, mit denen sich innerhalb von zehn bis 30 Minuten eine Brille herstellen lässt. Die Menschen in Afrika und Südamerika in der Herstellung zu unterrichten, sie zu „Ein-Dollar-Brille-Optikern“, das ist auch das eigentliche Ziel, das Aufmuth und seine rund 30 ehrenamtlichen Mitarbeiter des Vereins EinDollarBrille verfolgen. Eine einfache Idee, die bereits mehr als 1.000 Menschen geholfen hat. Auch das ist Citizen Science.