Digitalisierung geschützter Werke
„Das Urheberrecht bremst Bibliotheken aus“

Frau in Bibliothek
Frau in Bibliothek | Foto (Ausschnitt): Colourbox.com

Ein unzeitgemäßes Urheberrecht macht Bibliotheken immer mehr Probleme, ihrem Auftrag gerecht zu werden. Dr. Arne Upmeier, ehemaliger Vorsitzender der Rechtskommission im Deutschen Bibliotheksverband, hält klare, allgemeine Regelungen für unverzichtbar.

Herr Upmeier, inwiefern macht das geltende Urheberrecht Gedächtnisorganisationen die Arbeit unnötig schwer?

Der Kernauftrag von Bibliotheken, Archiven und Museen ist es ja, die ihnen anvertrauten Bestände möglichst vielen Menschen bestmöglich zur Verfügung zu stellen. Es macht volkswirtschaftlich und gesellschaftlich wenig Sinn, wenn viel Geld und Sorgfalt in den Aufbau von Sammlungen gesteckt werden und dann der Zugang der Bürger wegen einiger nicht mehr zeitgemäßer Regelungen im Urheberrecht erschwert oder unmöglich gemacht wird.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Ein gutes Beispiel sind die „verwaisten Werke“. Nahezu jedes Buch, jedes Dokument und jedes Kunstwerk, das nach etwa 1920 geschaffen wurde, unterliegt potenziell dem Urheberrecht. Das Problem ist, dass die Digitalisierung eines geschützten Werkes nur mit Einwilligung aller Rechteinhaber erlaubt ist.

Stellen Sie sich aber beispielsweise eine typische Zeitungsseite vor: Jedes Bild und jeder Artikel hat eigene Rechteinhaber und die Zeitung als Gesamtwerk auch. Es ist praktisch unmöglich, jeden Rechteinhaber aufzutreiben, zu kontaktieren und die nötige Erlaubnis zu erbitten. Eine Digitalisierung ist hier nur möglich, wenn bewusst der Bruch von einzelnen Urheberrechten in Kauf genommen wird. Ohne Digitalisierung sind aber viele kulturelle Schätze für das Internetzeitalter nahezu verloren.

Regeln für die Digitalisierung verwaister Werke

Ist die EU-Richtlinie zu verwaisten Werken, die im September 2012 beschlossen wurde, ein Fortschritt?

Es ist jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Die neue EU-Richtlinie gibt allerdings nur den Rahmen vor, den der nationale Gesetzgeber ausfüllen kann. Wir in Deutschland haben damit immer noch keine Regelung, die eine Digitalisierung von verwaisten Werken erlaubt.

Der Ball liegt jetzt im Bundesjustizministerium, das einen Vorschlag für eine nationale Umsetzung erarbeiten muss. Schon seit einiger Zeit liegt hierzu ein gemeinsamer Vorschlag des Börsenvereins der deutschen Buchhandels und des Deutschen Bibliotheksverbands vor. Anders als in der Richtlinie kommt in diesem Vorschlag den Verwertungsgesellschaften eine wichtige Rolle zu. Ich bin sehr gespannt, wie sich das Justizministerium hier entscheidet.

Wie würden Sie die aktuelle Situation für Bibliotheken beschreiben?

Die Situation ist ärgerlich: Die Bibliotheken bleiben notgedrungen unter ihrem Potenzial, und die Bürger werden nicht so gut versorgt, wie sie das erwarten dürften. So ist es auch frustrierend, wenn Wissenschaft und Forschung unnötig ausgebremst werden, beispielsweise weil der Gesetzgeber keine Fernleihe von E-Books zulässt.

Bibliothekstantieme als übertragbares Erfolgsmodell

Was könnte die Lage verbessern?

Es müsste beispielsweise allgemeinverbindlich geregelt sein, dass für das Ausleihen eines E-Books die gleichen Regeln gelten wie beim Buch in gedruckter Form. Eine allgemeine gesetzliche Regelung muss übrigens keinesfalls zu Lasten der Autoren und Verlage sein. Ähnlich pauschal wie die Nutzungen könnte und sollte auch eine faire Entlohnung der Rechteinhaber geregelt sein.

Bei der sogenannten Bibliothekstantieme, die den Verleih von gedruckten Büchern belohnt, praktizieren wir so etwas schon seit vielen Jahren erfolgreich. Dieses Erfolgsmodell ließe sich auch auf andere Nutzungen übertragen.

Wie bewerten Sie, dass die EU-Kommissarin Neelie Kroes im Herbst 2012 eine rasche Reform der Copyright-Richtlinie gefordert hat?

Das ist tatsächlich ein sehr bedeutender und auch überfälliger Schritt. Die Copyright-Richtlinie stammt unverändert aus dem Jahr 2001. Vieles, was Internet und Digitalisierung heute bieten – etwa Web 2.0 oder Cloud Computing –, war damals noch unbekannt. Diese Möglichkeiten können derzeit wegen der Richtlinie nicht voll ausgenutzt werden. Die EU-Kommissarin hat aber leider noch sehr wenig gesagt, in welcher Hinsicht die Richtlinie geändert werden soll.

Generalüberholung des Urheberrechts fällig

Auch international werden Urheberrechtsregelungen für Bibliotheken diskutiert …

Ja, Bibliotheksverbände weltweit fordern internationale Urheberrechtsregelungen speziell für Bibliotheken. Es ist ein großer Erfolg, dass die World Intellectual Property Organization (WIPO) derzeit sehr ernsthaft einen Welturheberrechtsvertrag für Bibliotheken diskutiert.

Tatsächlich ist vieles von dem, was in Deutschland selbstverständlich ist, in anderen Ländern nicht erlaubt. Mit einem Welturheberrechtsvertrag wäre es viel einfacher, Wissen dort zur Verfügung zu stellen, wo es am dringendsten gebraucht wird – etwa in den Ländern der „Dritten Welt“. In jedem Fall dürfte es aber noch mindestens ein, zwei Jahre dauern, bis konkrete Ergebnisse vorliegen.

Sehen Sie Bewegung für die Anpassung des deutschen Urheberrechts?

Ich rechne für das Frühjahr 2013 fest mit einem Gesetzgebungsvorschlag zu den verwaisten Werken. Eventuell wird es auch noch etwas Bewegung beim Zweitverwertungsrecht geben, das Autoren wissenschaftlicher Beiträge erlauben würde, ihr Werk nach einer gewissen Frist auch unabhängig von ihrem ursprünglichen Verlagsvertrag zu verbreiten. Das wäre ein großer Schritt für Wissenschaft und Forschung.

Und vielleicht gibt es nach den Bundestagswahlen einen erneuten Vorstoß für die eigentlich fällige Generalüberholung unseres althergebrachten Urheberrechts. Es bleibt jedenfalls spannend.

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