Tipps für den Deutschunterricht mit Pflegekräften
Die Szenario-Technik, Teil II

Pflegekräfte
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Erfolgreich die Szenariotechnik im berufsbezogenen Deutschunterricht für Pflegekräfte einsetzen. Wie kann das gelingen? Fünf Tipps für die Anwendung der Szenariotechnik in berufsbezogenem Deutschunterricht zum Training der sprachlich-kommunikativen Kompetenzen. Zweiter Teil: Tipps drei bis fünf.

Von Dr. Neda Sheytanova

TIPP 3: Bestimmung der sprachlich-kommunikativen Anforderungen: Sprachhandlungen identifizieren und Sprachregister beachten

Nun kennen Sie schon einige Kommunikationssituationen am Arbeitsplatz der Pflegekräfte und entschieden sich für ein Szenario mit drei Handlungsschritten in folgender logischen Abfolge:
Pflegekräfte_Dienstübergabe
Schritt 1: Dienstübergabe bei Schichtwechsel | Neda Sheytanova
Pflegekräfte Mobilisation
Schritt 2: Mobilisation in das Querbettsitzen und in den Rollstuhl | Neda Sheytanova
Pflegekräfte Körperpflege Rollstuhl
Schritt 3: Körperpflege im Bad | Neda Sheytanova
Die drei Zielsituationen beschreiben die Aufgaben bzw. die beruflichen Anforderungen, denen die Lernenden in ihrem Arbeitsalltag gewachsen sein müssen.
  • Was wird in diesen Situationen gesprochen und wie wird kommuniziert?
  • Welche sprachlich-kommunikativen Kompetenzen brauchen die Lernenden, um die bestimmten beruflichen Situationen effektiv bewältigen zu können?
Damit die Lehrkräfte die Lernenden sprachlich auf die Handlungsschritte im Szenario vorbereiten können, werden die Sprachhandlungen in den bestimmten Situationen abgeleitet und die sprachlich-kommunikativen Anforderungen unter Berücksichtigung der Sprachregister bestimmt.

Die sprachliche Analyse in relevanten Situationen in Pflegealltag ergibt folgende wesentliche Sprachhandlungen:
Grafik
Grafik | © Neda Sheytanova
Als nächstes ist eine Betrachtung der rein sprachliche Aspekte notwendig: Welcher Wortschatz und welche fachsprachlichen Ausdrücke werden in der konkreten Situation gebraucht? Welche Grammatik soll beherrscht werden, um die Sprachhandlungen adäquat ausführen zu können? Welche Sprachstrukturen sollen im Unterricht geübt werden?

Dennoch bedeutet gelungene Kommunikation nicht nur das Beherrschen des Fachwortschatzes und die grammatikalisch korrekte Ausführung der Sprachhandlungen. Eine wichtige Rolle spielen vielmehr die verschiedenen Sprachregister[1], die Körpersprache, die Proxemik (das Raumverhalten) sowie die Intonation.

In der hier bestimmten Handlungskette findet man folgende Sprachregister:
  • Patientensprache: Kommunikation mit Patienten/Bewohnern
  • Expertensprache: Intradisziplinäre Kommunikation mit Kollegen
So verwenden die Pflegekräfte in der Dienstübergabe, wenn über den aktuellen pflegerischen Stand der Patienten im Kollegenkreis berichtet wird, vor allem medizinische Fachbegriffe z.B. Adipositas und adipöser Patient. Bespricht man die Diagnose mit dem Patienten, z.B. in der Patientenversorgung, um pflegerische Maßnahmen zu erläutern, wird Adipositas durch Übergewicht ersetzt. Der adäquate Sprachgebrauch bedeutet auch das Vermeiden von Ausdrücken wie: „Sie sind zu fett und sollen unbedingt abnehmen!“, dafür aber eine höfliche Ausdrucksweise z.B. durch Empfehlungen zu den Ernährungsweisen und durch höfliche Fragen und Bitten statt Imperative bei der Anleitung des Patienten zu bestimmten Aktivitäten.

Für die Erstellung eines Szenarios bedeutet das: Bei der Bestimmung der sprachlich-kommunikativen Anforderungen, die sich in den Handlungsschritten eines Szenarios ergeben, werden interkulturelle, geschlechts- und altersspezifische sowie arbeitsplatz- und hierarchiespezifische Aspekte, aber auch die Identifikation von Text- und Gesprächssorten berücksichtigt.

TIPP 4: Ausformulierung der Kann-Beschreibungen

In der Erstellung eines Szenarios für Ihren berufsbezogenen Kurs sind Sie nach der Identifizierung der Sprachhandlungen und der Bestimmung der sprachlich-kommunikativen Anforderungen in den Situationen schon einen großen Schritt weiter.

Die Sprachhandlungen, die Sie identifiziert haben, bilden die Grundlage zur Formulierung der Kann-Beschreibungen, wobei zur Orientierung auf die Sprachstufen der GER-Matrix zurückgegriffen wird. Durch die Hinzunahme der GER-Ebenen wird die Art und Weise der Kommunikation in den einzelnen Situationen definiert[2]:
  • Wie gut werden die Sprachhandlungen in den einzelnen Handlungsschritten ausgeführt?
Folgendes Beispiel veranschaulicht den Unterschied in den Kann-Beschreibungen zwischen B1 und B2 Sprachniveau nach GER:

Situation: Dienstübergabe

B1: Der/Die Teilnehmende kann …
  • innerhalb einer Dienstübergabe den aktuellen pflegerischen Status des Patienten und die daraus resultierenden Änderungen in der Pflegeplanung vorstellen, wenn auch Schwierigkeiten in der Wortwahl auftreten, die das Verständnis nicht zu sehr beeinträchtigen
  • auf die situativen Anforderungen routinemäßig, nach bekannten Sprachmustern und möglichst reibungslos reagieren und agieren.
B2: Der/Die Teilnehmende kann …
  • innerhalb einer Dienstübergabe den aktuellen pflegerischen Status des Patienten und die daraus resultierenden Änderungen in der Pflegeplanung detailliert und nachvollziehbar vorstellen.
  • adressatengerecht und flexibel auf die situativen Anforderungen reagieren und agieren.
Die ausgearbeiteten Kann-Beschreibungen bilden auch die Bewertungskriterien, wonach die Sprachleistung in den Handlungssituationen gemessen wird. Es ist zu empfehlen, die Bewertungskriterien stets transparent zu halten. Die Lernenden können durch Beobachterrollen und mithilfe von Beobachtungsbögen in die Bewertung miteinbezogen werden.

Für das Szenario bedeutet das: Je nach Lernstand einzelner Lernenden können die Sprachanforderungen und damit auch die Erwartungen an die Sprachleistung in den Situationen angepasst werden. Unter- und Überforderungen sollen vermieden werden, denn beides führt zu Frustration und zu Verweigerung der aktiven Teilnahme am Szenario.

Zugleich bietet das Szenario die Möglichkeit, binnendifferenzierend zu arbeiten, indem die Rollenkarten je nach Sprachbedarf flexibel gestaltet werden können (S. TIPP 5)

TIPP 5: Erstellung der Rollenkarten

Nach der Vervollständigung der relevanten Kann-Beschreibungen für alle Sprachhandlungen auf den gewünschten Sprachstufen in den Situationen Ihres Szenarios haben Sie wichtige Voraussetzungen erfüllt. Ihre nächste Aufgabe ist die Ausformulierung der Rollenkarten, in denen die Situationen, die handelnden Personen und ihre Aufgaben genau beschrieben werden.

Binnendifferenzierend können die Rollenkarten auch noch Redemittel enthalten, die eine Hilfestellung beim ersten Einüben des Szenarios im Unterricht und/oder für schwächere Lernenden darstellen.
Check-Liste Szenarien
Check-Liste Szenarien | © Neda Sheytanova
Ein Didaktisierungsbeispiel: Vorbereitung auf den Handlungsschritt „Dienstübergabe“

HINWEIS DER REDAKTION
Tipps für den Deutschunterricht mit Pflegekräften: Die Szenario-Technik, Teil I

 

Literatur

  • [1] Unter Sprachregister versteht man die Angemessenheit der Ausdrucksweise gegenüber der/dem Kommunikationspartner*in in einer konkreten Kommunikationssituation, d.h. die Berücksichtigung der Sprachnormen (z.B. sprachliche Höflichkeit) und den adäquaten Sprachgebrauch (z.B. Adipositas – Übergewicht - Fettleibigkeit). 
  • [2] Die Orientierung zu den Sprachstufen erfolgt nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER), wobei GER nicht präskriptiv ist, sondern nur einer Strukturierung dient. Es empfiehlt sich die Hinzunahme der vom Deutschen Industrie- und Handelskammer überarbeiteten Fassung „Arbeitsplatz Europa“: https://www.dihk-verlag.de/arbeitsplatz_europa_deutsch.html, letzter Abruf 14.02.2021
  • Szenarien im berufsbezogenen Deutschunterricht Deutsch als Zweitsprache, Anne Sass, Gabriele Eilert-Ebke, Herausgeber passage gGmbH, Hamburg 2014, https://www.deutsch-am-arbeitsplatz.de/fileadmin/user_upload/PDF/BD_Szenarien_2014_web.pdf; letzter Abruf: 16.02.20121.
  • Ein Tag Deutsch in der Pflege, https://www.ein-tag-deutsch.de/; letzter Abruf 16.02.2021.  

 

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