Welches Deutsch? Deutsch im DaF-Unterricht
Verschiedene Kontexte lehren

Verschiedene Kontexte lehren
Verschiedene Kontexte lehren | Illustration: Melih Bilgil

Wir leben im Zeitalter medialer Vielfalt und heterogener Lerninteressen. Welches Deutsch ist da in welchem Kontext sinnvoll? Und: Wie muss der DaF-Unterricht auf diesen Wandel der Kommunikationskultur und der genutzten Sprachstile reagieren? Einige Vorschläge.

Abstract

Durch den Wandel der Kommunikationskultur und die neue Vielfalt auch in den Medien genutzter Sprachstile kann sich der Unterricht in Deutsch als Fremdsprache (DaF) heute nicht mehr auf die Vermittlung einer Standardvarietät beschränken. Um bei den Lernenden das Bewusstsein für die „kommunikative Angemessenheit“ sprachlicher Äußerungen im jeweiligen Umfeld systematisch aufzubauen, sollten die verschiedenen Stile und Kommunikationsformen im DaF-Unterricht explizit thematisiert und verglichen werden.

Die Frage, welches Deutsch „den“ Lernenden im DaF-Unterricht vermittelt werden sollte, und was hier als „richtig“ oder „falsch“ gelten kann, muss heutzutage differenziert beantwortet werden. Natürlich sollte das in Grammatiken und Wörterbüchern kodifizierte und in wichtigen Textarten verbreitete schriftsprachliche Standarddeutsch in seinen nationalen Varianten nach wie vor eine wichtige Rolle im Sprachunterricht spielen. Es ist für viele formellere Kontexte etwa in Schule und Hochschule oder in vielen beruflichen und fachlichen Zusammenhängen immer noch funktional angemessen. Zudem wird es in den Printmedien verbreitet.

Allerdings werden diese formelleren Kontexte im öffentlichen Diskurs eher seltener werden. Schon jetzt müssen sie sich gegen eine Vielzahl dynamischer und variationsreicherer „Biotope“ behaupten.

VIELSTIMMIGKEIT ERNST NEHMEN

Vielfältige Arten von Weblogs etwa übernehmen heutzutage immer mehr Funktionen, die früher Printprodukten vorbehalten waren. So gibt es Kochblogs, politische Blogs, Sportblogs, literarische Blogs, satirische Blogs und viele weitere mehr. Die in ihnen genutzten Schreibstile sind vielfältiger, häufig informeller, teils spielerischer und kreativer. Dasselbe gilt für die sozialen Medien. Vielstimmigkeit macht sich breit.

Gerade diese neuen Kommunikationsformen sind aber auch für den allgemeinsprachlichen Unterricht von großem Interesse. Denn sie erweitern enorm die Möglichkeiten des direkten Austauschs mit anderen Lernenden und Deutschsprechern. Das Feld sprachlicher Register und Kommunikationsweisen, die auch im Fach DaF vermittelt werden müssen, ist dadurch unübersichtlicher geworden. Die Konsequenz der Sprachdidaktik kann nicht darin bestehen, die neuen Stile und Kommunikationsformen als „normwidrig“ oder „schlecht“ zu ignorieren. Vielmehr muss sie mit den neuen Kommunikationsweisen angemessen und explizit umgehen, ihre Eigenarten und ihren kommunikativen oder symbolischen Wert ernst nehmen – und entsprechend nutzen.

So erlauben etwa Weblogs und soziale Medien kommunikative Praktiken, die hochgradig interaktiv, kooperativ und multifunktional sind. Den Lernenden wird so eine viel größere Teilhabe ermöglicht, sie können in einem authentischen realen Kontext bedeutungsvoll handeln und sind in einen lebhaften kommunikativen Austausch eingebunden.

SPRACHSPIEL UND MÜNDLICHKEIT EINBEZIEHEN

Häufig finden sich in diesen neuen kommunikativen Räumen sprachspielerische Inszenierungen, Stilbrüche und Sprachwechsel („Code-Switches“), die bestimmte Effekte hervorrufen sollen. Dafür sollte der Unterricht sensibilisieren: Welche Effekte, welchen Grad der Nähe, welche Form der Ironie oder der Emotionalität erreiche ich mit welchen sprachlichen Mitteln?

Auch regionalsprachliche oder dialektale sprachliche Mittel werden hier häufiger – vor allem im südlichen deutschen Sprachgebiet. Ein solcher Sprachgebrauch ist in diesen Kontexten funktional und angemessen und sollte nicht am Maßstab des „korrekten“ formellen Standards abgewertet werden. Auch für diese mündlichen (formelleren und informelleren) Stile und Register gilt, dass sie im DaF-Unterricht anhand von sprachrealistischen Hörtexten und Dialogen thematisiert werden müssen.

Im deutschen Sprachraum sind aber auch formellere mündliche Stile häufig durch regionale Einflüsse geprägt. Das erkennt man am Wortschatz („Samstag“ / „Sonnabend“, „Brötchen“ / „Semmel“, „Aprikose“ / „Marille“), teilweise am Genus („das“ / „die“ Mail; „das“ / „die“ Cola) – und sehr häufig an der Aussprache. Daneben unterscheidet sich die standardnahe gesprochene Sprache durch eine ganze Reihe von Merkmalen von der geschriebenen Sprache, etwa durch die Abschwächung oder den Wegfall von Endsilben („das könn’ wir mach’n“; „ich mach’“), durch die Reduktion von Artikeln und Pronomina („ich hab’ ’ne tolle Nachricht“; „ich mach’s später“) und manchmal auch durch eine „mündlichere“ Wortstellung, etwa bei „weil“-Sätzen („ich kann das jetzt nicht machen weil das würde zu viel Zeit brauchen“). Selbst in recht formellen Kontexten finden sich solche Merkmale der Mündlichkeit, etwa in wissenschaftlichen Vorträgen und Prüfungsgesprächen. Für diese Merkmale sollten Lernende anhand authentischer Materialien sensibilisiert werden. Für den Spracherwerb bedeutet die Abschwächung von Endungen auch, dass manche grammatischen Unterschiede wie Adjektivendungen recht schwer zu hören sind und besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. In entspannten Gesprächssituationen sollten solche Merkmale keinesfalls als Abweichungen oder gar Fehler gewertet werden.

Mittlerweile gibt es eine Reihe von allgemein verfügbaren Sprachkorpora mit Hörbeispielen und ihrer Verschriftung, die man als Grundlage für authentische Übungen nutzen kann. Hierzu gehören das „Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch“ (FOLK) des Instituts für Deutsche Sprache (IdS) in Mannheim oder das Korpus zur gesprochenen Wissenschaftssprache „GeWiss“ des Herder-Instituts an der Universität Leipzig.

AUF BILDUNGS- UND BERUFSKONTEXTE VORBEREITEN

Da immer mehr DaF-Lernende mit dem Deutschen berufliche oder weiterführende Bildungsziele verbinden, sind in den letzten Jahren in vielen Kontexten auch berufs- und bildungsbezogene sprachliche Kompetenzen wichtig geworden. Hier ist es zentral, die fachlichen Voraussetzungen der Lernenden gut zu kennen: Über welche beruflichen oder fachlichen Handlungskompetenzen verfügen sie schon in ihrer Erstsprache?

Wenn entsprechende Kompetenzen und fachliches Wissen bereits vorhanden sind, kann darauf relativ schnell aufgebaut und gezielt mit der Vermittlung der deutschen Begrifflichkeiten begonnen werden. Trotzdem wird es notwendig sein, die DaF-Lernenden auf die spezifischen sozialen Praktiken, Arbeitsformen, sprachlichen Routinen und Handlungsformate vorzubereiten, die in den deutschsprachigen Ländern üblich sind und sich teils deutlich von anderen Ländern unterscheiden. Fehlt die fachliche Vorbildung, müssen die Lernenden nicht nur sprachlich-kommunikativ, sondern auch fachlich auf die Zielkontexte vorbereitet oder doch begleitend unterstützt werden. Hierfür ist die Zusammenarbeit von Sprachdozentinnen und Sprachdozenten mit Fachleuten von großer Relevanz.

Grundlagen für eine solche Vorbereitung auf Bildungs- und Berufskontexte bilden Bedarfsanalysen, die beschreiben, welche Themen und Handlungskompetenzen im Berufs- oder Bildungskontext zentral sind und welche Fertigkeiten, sprachlichen Routinen, lexikalischen und idiomatischen Mittel dafür vermittelt werden müssen.
 

Literatur

Becker-Mrotzek, Michael / Schramm, Karen / Thürmann, Eike / Vollmer, Helmut (Hgg.): Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen. Münster 2013.

Fandrych, Christian / Thurmair, Maria: Textsorten im Deutschen. Linguistische Analysen aus sprachdidaktischer Sicht. Tübingen 2011.

Moraldo, Sandro M. (Hg.): Einführung in die Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache. Rom 2011.

Reinfried, Marcus / Volkmann, Laurenz (Hgg.): Medien im neokommunikativen Fremdsprachenunterricht. Einsatzformen, Inhalte, Lernerkompetenzen. Frankfurt am Main 2012.

Schneider, Jan Georg: Sprachliche „Fehler“ aus sprachwissenschaftlicher Sicht. In: Sprachreport 1-2/2013, 30-37.

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