Wer lernt Deutsch? Individuelle Sprachlernfaktoren
Der Lerner – (k)ein unbekanntes Wesen?

Wer lernt Deutsch? Individuelle Sprachlernfaktoren
Wer lernt Deutsch? Individuelle Sprachlernfaktoren | Illustration: Melih Bilgil

Beim Spracherwerb stehen „äußere“ Aspekte wie politische und soziale Anforderungen in Wechselwirkung mit „inneren“ Faktoren, die den einzelnen Lernenden charakterisieren. Was bringt jeder Deutschlernende individuell mit in den Sprachunterricht? Und wie sollten sich DaF- und DaZ-Lehrer darauf einstellen?

Abstract

Individuelle Lernerfaktoren spielen für den Lernerfolg eine erhebliche Rolle. Guter Unterricht von Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) entsteht nicht zuletzt dadurch, dass sich Lehrende auf ihre Lernenden einstellen und die Unterrichtsinhalte und Vorgehensweisen individuellen Bedürfnissen anpassen. Hierzu gehört ein regelmäßiger Austausch über Ziele, Interessen, Erfahrungen, Emotionen, kognitive Voraussetzungen und Ambitionen zwischen Lehrenden und Lernenden. Faktoren wie Motivation, Angst, Begabung und Lernstil sind von besonderer Bedeutung.

Ganz unterschiedliche Personen lernen aus ganz unterschiedlichen Gründen Deutsch und bringen je eigene Voraussetzungen und Erfahrungen mit. Wie erfolgreich DaF oder DaZ gelernt wird, ist in hohem Maße von Faktoren abhängig, die sich individuell stark unterscheiden können. Manch einer lernt mit geringem Aufwand Deutsch, während andere mit scheinbar gleichen Voraussetzungen im gleichen Unterricht erhebliche Schwierigkeiten haben und viel langsamer lernen.

Affektive Faktoren wie Motivation und Angst oder kognitive Faktoren wie Begabung und Lernstil können solche Unterschiede erklären. Während affektive Faktoren relativ instabil, situationsabhängig und daher veränderbar sind, sind kognitive Lernerfaktoren tief in der Persönlichkeit verankert, also recht stabil, und können deshalb anscheinend nicht oder nur sehr eingeschränkt im Unterricht beeinflusst werden.

LERNMOTIVATION AUFRECHT HALTEN

Motivation ist ein Faktor, der erheblich mitbestimmt, wie schnell und erfolgreich Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache gelernt werden kann. Es ist aber nicht einfach, die unterschiedlichen Komponenten einer Motivation für das Sprachenlernen zu erfassen. Die individuelle Lernbiographie, Einstellungen zu Sprache und Kultur, aber auch äußere Umstände wie das sozio-kulturelle Lebensumfeld sind hierfür mit verantwortlich. Auch muss zwischen einer Ausgangsmotivation und einer Motivation zum Weiterlernen unterschieden werden.

Für die Entscheidung zum Erlernen der Fremdsprache im Allgemeinen und zu DaF im Besonderen sind unterschiedliche Beweggründe verantwortlich: Wenn Deutsch als Teil des schulischen Lehrplans gewählt oder gelernt werden muss, können Motivation und Lernbereitschaft äußerlich bleiben – was nicht bedeuten muss, dass das Lernen unmotiviert erfolgt. Lehrende sollten aber wissen, was Lernende dazu gebracht hat, am DaF- oder DaZ-Unterricht teilzunehmen.

Wer Sprachen wie Deutsch außerhalb der Schule freiwillig lernt, kann weitere Beweggründe haben: Interesse an der mit der Sprache verbundenen Kultur zum Beispiel, aber auch berufsbezogene Ziele, familiäre und andere private Gründe oder die Ambition, eine (weitere) Fremdsprache beherrschen zu wollen. Welche Komponenten dabei zusammenkommen und wie sie gewichtet sind, ist von Lerner zu Lerner höchst unterschiedlich. Deutsch wird oft aus sogenannten instrumentellen Beweggründen gelernt: Die Sprache gilt als nützlich. Oft soll Deutsch in kurz- oder langfristiger Perspektive berufliche Chancen verbessern, weil mit Deutschkenntnissen – auch in Kombination mit Sprachen wie Englisch – ein breiteres sprachliches Profil nachgewiesen werden kann.

Generell ist die Motivation, eine Sprache wie Deutsch zu erlernen, umso höher, je wünschenswerter und erreichbarer die angestrebte Sprachkompetenz ist. Neuere Untersuchungen stellen auch das persönlichkeitsbildende Moment des Sprachenlernens hervor: Wenn Lernende Fremd- bzw. Zweitsprachenkenntnisse als Teil eines idealen Selbstbilds betrachten, scheint das eine anhaltende Motivation für das Weiterlernen zu bewirken.

UNTERRICHT INDIVIDUELL ANPASSEN

Dementsprechend sollte auch der DaF- und DaZ-Unterricht immer auf die anhaltende Motivierung der Lernenden ausgerichtet sein. Hierzu sollte er möglichst genau und methodisch vielfältig auf die Zielgruppe eingehen, etwa durch die bewusste Auswahl von Unterrichtsgegenständen, Medien und Techniken oder durch Förderung der Lernerautonomie und Lernberatung. Lernende sollten dabei unterstützt werden, realistische Lernziele festzusetzen und ihre Lernfortschritte zu reflektieren, denn Erfolgserlebnisse motivieren zum Weiterlernen. Wenn es gelingt, Deutschlernende anhaltend zu motivieren, kann dies in erheblicher Weise den erfolgreichen Fremdsprachenerwerb unterstützen. Leider kann Sprachunterricht auch zur Demotivierung und zur Behinderung des Lernprozesses beitragen. Hier kommt oft Angst als weiterer affektiver Faktor ins Spiel. Die Forschung hebt hier die Sprechangst hervor – und die Angst, Fehler zu machen, was oft mit Angst vor der Lehrkraft oder vor Misserfolg generell verbunden ist.

BEGABUNG ODER EIGNUNG?

Als sehr wichtiger Faktor für erfolgreichen Fremdsprachenerwerb gilt außerdem die Begabung, die durch äußere Einflüsse wenig veränderbar erscheint. Die hartnäckige und verbreitete Meinung, wonach es auf die Begabung für das Sprachenlernen ankommt, kann dazu führen, dass im Unterricht wenig zur Förderung vermeintlich unbegabter Lernender getan wird. Aus Forschungsperspektive erweist sich das Konzept der „Fremdsprachenlerneignung“ als fruchtbarer. Diese Eignung für das Fremdsprachenlernen ist grundsätzlich bei jedem Lernenden, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, vorhanden.

Studien konnten nachweisen, dass Lernende mit bestimmten kognitiven Merkmalen erfolgreicher beim Fremdsprachenlernen abschneiden als andere. Hier geht es um die Fähigkeiten, Laute in Verbindung mit ihrer schriftlichen Form zu identifizieren und zu behalten, grammatische Funktionen von Wörtern innerhalb eines Satzes zu erkennen, grammatische Muster induktiv zu erkennen sowie um die allgemeine Fähigkeit des Auswendiglernens.

Auf Basis neuerer Gedächtnistheorien heben neuere Arbeiten die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses als wichtigen Lernfaktor hervor. Außerdem scheinen Lernende dazu zu neigen, entweder auf Gedächtnis- oder auf Analysefähigkeiten zurückgreifen – wobei beides erfolgreich ist. Problematisch wird es, wenn beide Fähigkeitsmerkmale beim Lernenden nicht ausreichend vorhanden sind. Für die Lehrpraxis gilt es zu bedenken, dass solche Prädispositionen beim Lernenden mit Unterrichtsvariablen wie dem Lehrstil in Wechselwirkung stehen. Deshalb profitieren Lerner mehr von einem Unterrichtsstil, der ihrem Eignungsprofil entspricht. Auch wird er als zufriedenstellender empfunden.

LEHRSTIL UND LERNSTIL ANEINANDER ANPASSEN

Ähnliches gilt manchen Forschungen zufolge für die „Lernstile“: Sie sollen die grundlegende Art und Weise beschreiben, wie Menschen an Probleme herangehen, Lernprozesse planen und Erkenntnisse gewinnen. Zum Lernstil werden unterschiedliche Prädispositionen und Präferenzen gerechnet: Dispositionen bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen (z.B. ganzheitlich vs. analytisch), Wahrnehmungspräferenzen (z.B. visuelle, auditive, haptische, kinästhetische Lernstile) und stärker persönlichkeitsbasierte Dispositionen (z.B. Ambiguitätstoleranz, Risikobereitschaft, Extrovertiertheit vs. Introvertiertheit).

Aus Sicht der Unterrichtspraxis wird Lernstilen häufig großes Potenzial zugesprochen. Allerdings ist die Frage, ob es überhaupt so etwas wie einen Lernstil gibt, der unter anderem unterschiedliche Lern- und Lernertypen ausbildet, in der Forschung nicht unumstritten. Einigkeit besteht allerdings darin, dass es keinen Lernstil gibt, der per se einem anderen Lernstil überlegen ist.

Wichtig für den DaF- und DaZ-Unterricht ist auf jeden Fall die Erkenntnis, dass Lernschwierigkeiten auftreten, wenn der vom Lehrenden bevorzugte Lehrstil von den Präferenzen und Dispositionen des Lernenden deutlich abweicht. So sollten auch Deutschlehrende immer erwägen, ob sie nicht vielleicht ihren eigenen Lernstil, der sie zu erfolgreichen Sprachenlernern – und letztlich ja auch zu Sprachlehrern – gemacht hat, unbewusst in ihrem Unterrichtsstil bevorzugen. Lehrerinnen und Lehrer mit akademischer Ausbildung etwa neigen dazu, den visuellen Stil überzubetonen, weil sie sich selbst viel durch Lesen und Schreiben angeeignet haben.

Eindeutig regionale oder sogar nationale und durch Gender erklärbare Lernstilpräferenzen indes hat die Forschung bisher nicht ausreichend nachgewiesen.
 

Literatur

Dörnyei, Zoltán: The Psychology of the Language Learner. Individual Differences in Second Language Acquisition. Mahwah, NJ / London: Lawrence Erlbaum 2005.
 
Riemer, Claudia: „Warum Deutsch (noch) gelernt wird – Motivationsforschung und Deutsch als Fremdsprache“. In: Barkowski, Hans, Silvia Demmig, Hermann Funk und Ulrike Würz (Hrsg.): Deutsch bewegt. Entwicklungen in der Auslandsgermanistik und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren 2011, 327–340.
 
Schlak, Tosten: „Fremdsprachenlerneignung: Tabuthema oder Forschungslücke? Zum Zusammenhang von Fremdsprachenlerneignung, Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenvermittlung“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 19 (2008), 3–30.
 
Wicke, Rainer: Aktiv und kreativ lernen. Projektorientierte Spracharbeit im Unterricht Deutsch als Fremdsprache, Ismaning 2004.

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