Wer lernt Deutsch? Herausforderungen für DaF und DaZ
Deutschunterricht mit neuen Zielen

Wer lernt Deutsch? Herausforderungen für DaF und DaZ
Wer lernt Deutsch? Herausforderungen für DaF und DaZ | Illustration: Melih Bilgil

In den vergangenen Jahren haben sich die sozioökonomischen Bedingungen für den Spracherwerb ebenso gewandelt wie individuelle Gründe und Ziele. Das hat grundlegende Auswirkungen auf den DaF- und DaZ-Unterricht. Welche Herausforderungen kommen dabei auf die Lehrerinnen und Lehrer zu?

Abstract

Deutsch lernen – und damit auch Deutsch lehren – hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten nicht nur quantitativ, sondern vor allem auch qualitativ enorm verändert. Neue Zielgruppen, neue Regionen, neue Förderprogramme, aber auch neue Gründe, Lernziele und Anwendungsfelder für den Spracherwerb erfordern eine ausdifferenzierte Methodik und Didaktik für Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Die Anforderungen an Lehrkräfte und ihren Unterricht steigen – sie müssen reagieren.

Im außerschulischen Kontext wird Deutsch heute nur noch selten aus Interesse an deutscher Literatur und Kultur gelernt. Der Erwerb der deutschen Sprache folgt eher wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessen. Für den DaF- und DaZ-Unterricht sind neben individuellen Zielen Mobilität, Qualifikation oder gesetzliche Vorgaben entscheidende Faktoren. Aspekte wie Arbeit, Studium, Familienzusammenführung oder Staatsbürgerschaft stehen im Zentrum der veränderten Motivation.

Diese Faktoren haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Beteiligten. Als Folge müssen DaF- und DaZ-Lehrende oder Sprachkursanbieter wie das Goethe-Institut ihre bewährten allgemeinsprachlichen Lernziele, aber auch ihre Unterrichtsgestaltung sowie ihre Kurs- und Prüfungsformate neu ausrichten. Neue Konzepte für Unterricht und Spracherwerb müssen entwickelt werden (und werden bereits entwickelt). Sie müssen zielgruppenadäquat auf die Lernenden und deren konkrete Lernziele bezogen sein. Sie müssen handlungsorientiert sein, die Erfahrungen der Individuen mit dem Erwerb von Sprachen nutzen oder solche Erfahrungen erst entwickeln. Sie müssen die Gründe und Motive für das Deutschlernen für den und im Unterricht reflektieren.

DEUTSCH IN DER SCHULE – ODER EBEN NICHT

Noch immer lernt eine große Mehrheit Deutsch in der Schule. Wo Deutsch als erste, zweite oder dritte Sprache in den Schulcurricula Pflichtfach oder Wahlpflichtfach ist, sind die Lernerzahlen nach wie vor hoch. In Kamerun etwa waren 2010 von knapp 202.000 Deutschlernern über 200.000 an Sekundarschulen. Wie schwierig es sein kann, trotz erheblicher Förderung Deutsch als Schulfach zu etablieren, zeigt aktuell das Beispiel Indien. Spezifische Förderprogramme, insbesondere die Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“ (PASCH), unterstützen die Weiterentwicklung des schulischen Deutschunterrichts.

In anderen Regionen allerdings spielt Deutsch in der Schule kaum eine Rolle. Beispielsweise nimmt in den skandinavischen Ländern (ausgenommen Dänemark) seine Bedeutung rapide ab. Wo die Zahl der Fremdsprachen im Curriculum gekürzt wird, entfällt der Deutschunterricht zudem oft zugunsten von Englisch. Die Folgen können dramatisch sein: Schlimmstenfalls wird dann die DaF-Lehrerausbildung ganz eingestellt und die Germanistikfakultäten der betroffenen Länder werden geschlossen.

Derart gegensätzliche Entwicklungen machen regionale oder länderspezifische Konzepte für die Unterstützung des schulischen Deutschunterrichts immer wichtiger. Die sprachliche und methodisch-didaktische Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften muss ein Schwerpunkt in der auswärtigen Sprachpolitik bleiben. Und sie muss ausgebaut werden – gerade durch die Einführung des Deutschen als Fremdsprache in Regionen, in denen es bislang nur wenig Deutschunterricht gab.

FÜR WISSENSCHAFT, STUDIUM – UND BERUF

Das Interesse an einem Studium in Deutschland nimmt weltweit zu. Das führt auch in Ländern ohne Deutsch im schulischen Curriculum zu einer wachsenden Nachfrage nach Deutschkursen, die auf ein Studium in Deutschland vorbereiten. Auch die Nachfrage nach den notwendigen Sprachnachweisen steigt. Prüfungen am Goethe-Institut oder für den Hochschulzugang (TestDaF) haben Konjunktur – Lernen für die Prüfungen inklusive.

Daneben entstehen ganz neue Sprachanforderungen: Bei englischsprachigen Studiengängen zum Beispiel sind Deutschkenntnisse für den Zugang zum Studium und für Lehrveranstaltungen an deutschen Hochschulen teilweise gar nicht mehr Bedingung. Im Alltag und für die Teilhabe am akademischen Leben ist Deutsch jedoch nach wie vor zwingend erforderlich. Ein neues Konglomerat von Alltags- und Fachsprachen entsteht, Kommunikationskompetenzen in mehrsprachigen Kontexten sind gefragt.

Auch im Rahmen von deutschen Hochschulprojekten im Ausland entstehen neue sprachliche Konstellationen. Für Studium, Wissenschaft und Beruf ist Deutsch dann nicht selten nur eine Sprache unter vielen. Im Verbund mit Englisch und der jeweiligen Landes- oder Regionalsprache entstehen dabei mehrsprachige Lern- und Verwendungszusammenhänge, die eine ganz besondere sprachpädagogische Herausforderung darstellen – und neue Chancen eröffnen: Die Mehrsprachigkeit im Wissenschaftskontext weist den jeweiligen Sprachen ganz bestimmte Funktionen in bestimmten Domänen wie Alltag, Studium, Wissenschaft oder Beruf zu. Gerade an diesen Funktionen müssen sich Unterrichtskonzepte und ‑inhalte orientieren.

Für den Kontext Migration gilt: Deutschkenntnisse sind eine Grundvoraussetzung. Aber in steigender Tendenz benötigen Zuwanderer auch hier domänenspezifische Sprachkompetenzen. Dies gilt besonders im Pflege- und Gesundheitswesen und in technischen Berufen, wo der Fachkräftemangel in den letzten Jahren zu einer gezielten Förderung der Einwanderung geführt hat. Neben gutem allgemeinen muss auch umfangreiches fachspezifisches Sprachwissen erworben werden. Aber auch das an die deutsche Sprache gebundene kulturelle Wissen muss ergänzend vermittelt werden.

HERAUSFORDERUNGEN FÜR DEN DEUTSCHUNTERRICHT

Die veränderten Rahmenbedingungen verändern die Anforderungen an den Deutschunterricht in den Herkunftsländern und in Deutschland gleichermaßen. Sprachangebote müssen sich unter anderem darauf einstellen, dass Deutsch gerade in Ländern, in denen Deutsch keine schulische Fremdsprache ist, in weitaus kürzerer Zeit erlernt werden muss: Oft steht nur ein Jahr zur Verfügung, um von „Null“ auf ein B2- oder C1-Niveau zu kommen.

Berücksichtigt werden muss auch, dass Deutsch im Sprachengefüge der Lernenden eine ganz unterschiedliche Stellung einnehmen kann. Als erste Sprachlern- oder sogar erste formelle Bildungserfahrung beginnt der DaF- oder DaZ-Unterricht dann gegebenenfalls mit dem „Lernen lernen“ und dem Erwerb schriftsprachlicher Kompetenzen. In anderen Fällen richtet er sich an Menschen, die bereits Englisch oder auch bereits zwei oder drei andere Fremdsprachen gelernt haben. Diese Kenntnisse und Lernerfahrungen gilt es zu nutzen.

In Entwicklungsländern oder Ländern wie China oder Brasilien, wo die Menschen oft fern von Orten leben, an denen Deutsch in nennenswertem Umfang und in ausreichender Qualität angeboten wird, gewinnen zudem neue, internetgestützte Lernformen eine große Bedeutung und stellen mitunter sogar die einzige Möglichkeit dar, um Deutsch zu lernen.

In anderen Fällen macht die Fokussierung des Spracherwerbs auf immer konkretere Ausbildungs- und Berufsziele Fachsprachen zu einem ganz wesentlichen Bestandteil des Unterrichts – und das teils auf niedrigem Kompetenzniveau.

Zunehmend findet Spracherwerb in einem schwer zu steuernden Zusammenspiel von informellen und durch Unterricht beförderten Prozessen statt: Deutschlernende haben häufig bereits unterschiedliche Formen des Sprachenlernens durchlebt. In Zeiten gesteigerter Mobilität gehen dem formellen Sprachunterricht mitunter lange Phasen des ungesteuerten Spracherwerbs voraus.

Eine weitere Herausforderung für den DaF- und DaZ-Unterrichts besteht in der großen Streubreite, welche die Voraussetzungen, Ziele und Motivationen der Lernenden innerhalb eines Kurses aufweisen können. In DaZ-Integrationskursen in Deutschland ist es zum Beispiel nicht ungewöhnlich, dass frisch Alphabetisierte mit ausgebildeten Fachkräften in der gleichen Klasse sitzen.

BINNENDIFFERENZIERUNG WEITERENTWICKELN

Diese neuen Konstellationen und Entwicklungen verlangen von den DaF- und DaZ-Lehrkräften ein angepasstes Unterrichtshandeln, das vorhandene Lernziele, spezifische Teilkompetenzen oder fachsprachliche Inhalte berücksichtigen muss. Auch gilt es, für ganz unterschiedliche Lernerpersönlichkeiten förderliche Lernumgebungen zu schaffen. Beim Planen, Handeln, Interagieren und Prüfen im DaF- und DaZ-Unterricht ist demnach diagnostische Kompetenz, Flexibilität und Einfühlungsvermögen gefragt, um das jeweilige Potenzial zu erkennen und zu fördern.

Seit langer Zeit bekannte didaktische Baukästen der (Binnen-)Differenzierung, offene Unterrichtsformen sowie ein Mix aus Präsenz- und virtuellem, Gruppen- und Individualunterricht erfahren eine ganz neue Aktualität. Es gilt, an diesen Ansätzen anzuknüpfen und sie weiterzuentwickeln – auch unter Nutzung der digitalen Medien.
 

Literatur

Hufeisen, Britta: Englisch im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart: Klett Edition Deutsch
1994.
 
Neuner, Gerhard; Hufeisen, Britta; Kursisa, Anta; Marx, Nicole; Koithan, Ute; Erlenwein, Sabine: Deutsch als zweite Fremdsprache. Berlin: Langenscheidt 2009.
 
Ohm, Udo; Kuhn, Christina; Funk, Hermann: Sprachtraining für Fachunterricht und Beruf. Fachtexte knacken – mit Fachsprache arbeiten. Münster u.a.: Waxmann 2007.
 
Schwerdtfeger, Inge Christine: Gruppenarbeit und innere Differenzierung. Berlin: Langenscheidt 2001.
 
Tönshoff, Wolfgang: Binnendifferenzierung im lernerorientierten Fremdsprachenunterricht. Teil I in: Deutsch als Fremdsprache 41/4, 227-231, Teil II in: Deutsch als Fremdsprache 42/1, 227-231, 2004/2005.

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