Lernumgebungen und Formen des Lernens: E-Learning-Angebote
Lernen ohne Ort?

Lernen ohne Ort?
Lernen ohne Ort? | Illustration: Melih Bilgil

Lernen im Klassenzimmer wird immer häufiger durch Online-Angebote ergänzt oder ersetzt. Welche Formen virtuellen Lernens haben sich entwickelt? Welche Rolle spielt dies für Lernraum und Lernumgebung? Und: In welchem Verhältnis stehen „analoges“ und „digitales“ Lernen zueinander?

Abstract

Moderne Formen des E-Learning schaffen vielfältige, räumlich und zeitlich weitgehend unbegrenzte Schauplätze. Attraktive, motivierende und effiziente Aufgabentypen und Lernwege lassen sich mit authentischen Materialien in quasi-authentischen Lernumgebungen verknüpfen. Der Widerspruch zwischen Präsenzunterricht und E-Learning löst sich auf. Mit der Nutzung von Computern und mobilen Endgeräten entstehen neue Formen des Sprachlernens und hybride Formen des Sprachlehrens. Im Beitrag soll gezeigt werden, wie mediengestütztes Lernen neue Lernumgebungen kreiert, wie diese für einen erfolgreichen Lernprozess genutzt werden können und wie der Präsenzunterricht durch Einbeziehung medialer Komponenten an Attraktivität gewinnt.

„E-Learning“, „Blended-Learning“, „virtuelle Lernumgebung“, „mediales Lernen“, „Online-Lernen“: Konzepte und Lernumgebungen des computergestützten Lernens sind ebenso vielfältig wie ihre Bezeichnungen. Nicht immer hält die Entwicklung methodisch-didaktisch sinnvoller Nutzungsweisen neuer Medien mit deren technischer Entwicklung Schritt, und nicht immer erweisen sich technische Neuerungen oder Nutzungsformen als sinnvoll. Lernen am Computer gibt es immerhin seit gut 20 Jahren. Und doch löst es noch immer konträre Reaktionen aus: Euphorie oder Skepsis. Beide gehen an der Realität vorbei. Versachlichung tut not.

ANALOGE UND VIRTUELLE LERNUMGEBUNGEN

Das Lernen mit dem Computer ist aufgrund technisch unzureichender Rahmenbedingungen in den 90er Jahren schlecht gestartet und bot so berechtigten Grund zu Skepsis und Ablehnung. Der Anfang war methodisch-didaktisch ein Rückschritt: Simple, behavioristisch ausgerichtete, meist auf CD gebrannte und zuhause installierte Übungstypen wurden von alleingelassenen Lernern bearbeitet. Der Kontrast zum längst eingeführten kommunikativen, lernerzentrierten, kreativen Deutschunterricht im Kursraum und in Projekten hätte nicht größer sein können.

Lernen, wie wir es kennen, findet traditionell in strukturieren Kursräumen statt. Ob diese auf den Lehrer ausgerichtet oder für eine Gruppenkommunikation konzipiert sind, wie damit das Verhältnis Lehrende – Lernende konstruiert ist, welche Lernmaterialien verwendet werden, wie gut es gelingt, authentische Materialien einzubeziehen sowie handlungsbezogene Kommunikations- und Sprachverwendungssituationen zu schaffen – das alles befördert oder behindert den Lernerfolg.

Dass der Spracherwerb in der Zielsprachenumgebung in der Regel einfacher und effektiver verläuft als in einer monolingualen, muttersprachlichen Umgebung, ist vielfach beschrieben und nachgewiesen. Genau hierin liegt die Chance und die Qualität des medialen Lernens und der Erweiterung des Präsenzunterrichts durch elektronische Medien. Kurz und etwas überspitzt gesagt: Mit medialen Lernangeboten holt man sich eine quasi-authentische Lernumgebung und die Zielsprachenkultur in den Unterricht. Denn zu den großen Vorteilen des E-Learning gehört die spannungsreiche Verknüpfung von gesteuertem und ungesteuertem Spracherwerb, von unterschiedlichsten „Schauplätzen“ des Lernens (vgl. den Beitrag von Udo Ohm), von traditionellen Sprachübungen und Erkundungen in simulierten Situationen der fremdsprachigen Umgebung. Ob und wie gut das gelingt, hängt jedoch sehr von der didaktisch-methodischen Ausrichtung, von den lerntheoretischen Grundlagen der mediengestützten Lernangebote und natürlich auch von der Medienkompetenz der Lehrenden und Lernenden ab.

Zu unterscheiden sind dabei wenigstens vier Konzepte des medialen, computergestützten Lernens: Offene oder geschlossene Lernplattformen (E-Learning), Angebote auf mobilen Endgeräten wie Tablets oder Smartphones (M-Learning) sowie lehrwerk- und unterrichtsergänzende Online-Materialien.

OFFENE UND GESCHLOSSENE LERNPLATTFORMEN

An Hochschulen und in Einrichtungen der Sprachvermittlung kommen häufig offene Lernplattformen zum Einsatz. „Moodle“, oder „Ilias“ sind verbreitete Angebote, die (zum Beispiel an Hochschulen) dazu genutzt werden, Lernprozesse zu organisieren. „Offen“ bezieht sich hier auf die Technologie (Code) und auch darauf, dass Lehrende und Lernende gleichermaßen Lehr- und Lernmaterialien (ungesteuert) einbringen können. In virtuellen Klassenräumen können Lernanleitungen hinterlegt und Lernmaterialien abgerufen sowie Lernergebnisse ausgetauscht werden. Solche Programme sind von ihrer ursprünglichen Konzeption her Lernmanagementsysteme (LMS): Sie erlauben die Bereitstellung und den Austausch von Unterrichtsmaterialien auch über große Distanzen hinweg, dienen der (zumeist schriftlichen) Kommunikation von Lernenden untereinander und ermöglichen einfache Aufgabentypen. Dass sie nicht speziell für den Sprachunterricht erstellt wurden, wirkte sich anfangs nachteilig aus. Inzwischen werden von Kursanbietern wie dem Goethe-Institut Erweiterungen entwickelt, die es ermöglichen, didaktisch anspruchsvolle und den Lernergruppen angemessene Aufgaben- und Übungstypen zu integrieren.

Demgegenüber haben (in der Technologie) geschlossene Lernplattformen, die speziell für die Sprachvermittlung entwickelt wurden, den Vorteil, dass komplexe Lernaufgaben für autonomes und insbesondere handlungsorientiertes Lernen auf hohem Niveau und in größerer Vielfalt entwickelt werden können. Wie in den Lernmanagementsystemen steht potenziell das ganze Internet als quasi-authentischer Lernraum zur Verfügung – insofern werden beide auch als offene Lernplattformen bezeichnet. So können beispielsweise Recherchen zu Wohnungssuche, Einkaufen, kulturellen Veranstaltungen, Formularen von Behörden, Bewerbungsunterlagen für Beruf und Studium oder wissenschaftlichen Themen ebenso in das Lernen einbezogen werden wie deren unmittelbare Bearbeitung. Geschlossene Lernplattformen erlauben zudem die Nutzung computerlinguistischer Korrektur- und Rückmeldesysteme oder die Integration von Wörterbüchern als Hilfen und Rückmeldung zum Lernerfolg.

Bei beiden Plattformtypen haben sich unterschiedliche Formen der Lernbegleitung und Lernberatung durch Tutoren oder mithilfe von virtuellen Klassenräumen etabliert; es ist zu beobachten, dass sich beide Formen an einander annähern. Sogenannte Web 2.0-Anwendungen ergänzen in Form von Projekten den Unterricht.

MOBILE UND UNTERRICHTSERGÄNZENDE E-LEARNING-ANGEBOTE

Im noch relativ jungen Segment des mobilen mediengestützten Lernens finden sich (noch) keine kurstragenden Angebote. Vielmehr scheint sich das „M-Learning“ als Ergänzung des Präsenzunterrichts oder von Lernplattformen zu eignen, etwa durch weit verbreitete, jedoch in ihrer Qualität sehr unterschiedliche, Wortschatzübungen und Spiele. Gerade Apps mit Wortschatz- oder Grammatikübungen sind meist von zweifelhaftem Wert. Demgegenüber zeigen erste Versuche mit Lernspielen wie „Das Geheimnis der Himmelsscheibe“ des Goethe-Instituts, dass mit solchen Angeboten das Deutschlernen attraktiver werden kann. Auch eignen sich mobile Endgeräte für kommunikative Ergänzungen des Präsenz- und des E-Learning-Unterrichts durch Chats oder ähnliche Formen der Kommunikation.

Während frühe Versuche von Verlagen mit E-Learning-Materialien gescheitert sind, werden heute vielfältige Ergänzungen zu Lehrwerken, wie kleine Einstufungs- und Lernforschrittstests, Lehrerhandreichungen, Übungsbücher oder Bild- und Tondateien, ins Internet gestellt. Diese hilfreichen Materialien können allerdings kaum als neue methodisch-didaktische Lernangebote und auch kaum als „E-Learning“ – im Sinne unterrichtstragender Angebote – bezeichnet werden. Allerdings entwickeln Verlage inzwischen auch interaktive und methodisch neue Formen der Ergänzung von Lehr- und Lernmaterialien. Hierbei handelt es sich um hybride Unterrichtsmaterialien aus Lehrwerk, Übungen, Tests, interaktivem Online-Lernraum und elektronischen Adaptionen von Lehrwerken für interaktive Whiteboards. Das Goethe-Institut geht einen vergleichbaren Weg, indem Tablets und Whiteboards mit dem Präsenzunterricht zu hybriden Lern- und Prüfungsangeboten verbunden werden.

ENTGRENZTE LERNUMGEBUNGEN

Nach gut 20 Jahren medialen Lernens zeigt sich ein insgesamt positives Bild: Der Mehrwert digitalen Lernens ist erheblich. Neue Lernräume und Lernumgebungen entstehen, der Einsatz von Technologien, die schon zum Alltag gehören, sowie spielerische Elemente motivieren Lernende. Mit dem Lernen „im Internet“ öffnet sich ein schier unendlicher (wenngleich unstrukturierter), quasi-authentischer Lernraum mit authentischen Lernmaterialien. Auch das Spektrum an Lernaufgaben, die das Lernen effizienter machen, erweitert sich erheblich. Schwer vermittelbare Themen, ob in der Grammatik oder der Landeskunde, lassen sich über authentische Quellen und mittels grafischer Animation, Verbildlichung oder spielerischen Elementen einfacher vermitteln und lernen. Lernende können ihren Spracherwerb orts- und zeitflexibel, selbstgesteuert, autonom und in dem ihnen angemessenen Tempo gestalten.

Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass „digitales“ Lernen vor den gleichen Herausforderungen wie das „analoge“ Lernen steht. Motivation, lernergerechte Unterrichtsmaterialien und Unterrichtsformen, methodische und didaktische Konzepte, reiche, vielfältige Schauplätze, individuelle Betreuung und individuelle Lernhilfen – wie gut solche Voraussetzungen erfüllt sind, entscheidet über den Erfolg: im analogen wie im virtuellen Lernen.
 

Literatur

Arnold, Patricia; Kilian, Lars; Thillosen, Anne; Zimmer, Gerhard: Handbuch E-Learning. Lehren und Lernen mit digitalen Medien. Bielefeld, Bertelsmann 2011.

Roche, Jörg: Handbuch Mediendidaktik. Ismaning, Hueber 2008.

Rösler, Dietmar: „Die Funktion von Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht“. In: Krumm, Hans-Jürgen; Fandrych, Christian; Hufeisen, Britta; Riemer, Claudia: Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch, 2. Halbband, (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Bd. 35.2), Berlin/New York: de Gruyter 2010, 1199-1214.

Top