Herausforderungen für die Bildungseinrichtungen
DEUTSCH ALS FRÜHE ZWEITSPRACHE

Studien wie PISA und Iglu weisen seit 2001 für Deutschland einen Zusammenhang zwischen dem Schulerfolg und der sozialen Herkunft nach. Wer in Deutschland in einer sozial schwachen Familie – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – aufwächst, scheint in der Schulbildung benachteiligt zu sein. Besonders auffällig sind die Schwierigkeiten dieser Schüler im Sprachunterricht. Eine Studie der Universität Duisburg-Essen aus dem Jahr 2013 zeigt, dass der soziale Hintergrund eines Kindes einen größeren Einfluss auf seinen Sprachstand hat als ein Migrationshintergrund. Demnach ist eine geringere Bildung der Eltern ein größeres Hindernis als die Tatsache, dass eine zweite Sprache erlernt wird. Viele Erzieher gaben an, dass Eltern mit Migrationshintergrund wesentlich sensibler seien, was Sprachförderung anbelangt, als deutschsprachige Eltern mit geringem Bildungshintergrund.
 
Anders als der frühe Fremdsprachenerwerb in der Schule ist der Erwerb der zweiten Sprache bei kleineren Kindern vor allem durch die Alltagskommunikation in informellen Situationen geprägt. Kinder aus bildungsfernen Schichten, unter ihnen auch viele mit Migrationshintergrund, erhalten zu Hause oft nur unzureichende sprachliche Angebote auf Deutsch. Dies hat gravierende Folgen, wie die Sprachwissenschaftlerin Rosemarie Tracy betont: Den „differenzierten Wortschatz und die Grammatikkenntnisse, die Kinder beim Schulbeginn benötigen, können sie sich nicht in Gesprächen mit Personen aneignen, die das Deutsche selbst nicht beherrschen“.
 
Die Probleme von Kindern mit unzureichenden Kompetenzen in der zweiten Sprache verschärfen sich, wenn sie in die Schule kommen, insbesondere bei der Begegnung mit der Schriftsprache. Diese Kinder sind sehr schnell gegenüber monolingual deutschen Kindern im Nachteil, da sie zusätzlich durch die Alphabetisierung in der zweiten Sprache Deutsch belastet werden. Dies wirkt sich auch auf den Erwerb der ersten Fremdsprache in der Grundschule aus. Grundsätzlich können Kinder auch eine dritte Sprache problemlos lernen, aber in der Regel nur, wenn Erst- und Zweisprachenerwerb erfolgreich verlaufen sind.

Unter den ersten, die angesichts dieser Problematik den Handlungsbedarf zum Thema machten und mit Förderprogrammen begannen, waren Stiftungen. In den Folgejahren setzten zahlreiche Städte und Träger, teilweise mit wissenschaftlicher Begleitung, Förderkonzepte um. Nach einem Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz sowie der Kultusministerkonferenz 2009 sollen zur Sprachförderung beziehungsweise Sprachbildung verbindliche Sprachstandsfeststellungen bereits in den Tageseinrichtungen durchgeführt werden. Im Anschluss soll gezielte Sprachförderung im Elementarbereich und in den Schulen erfolgen. Rahmenrichtlinien, Konzepte und Methoden der einzelnen Länder zur Sprachförderung im Elementar- und Primarbereich sind auf dem Bildungsserver zusammengefasst.
 
Mit dem Bundesprogramm „Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“ förderte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) von März 2011 bis Dezember 2015 etwa 4000 Kitas, die Kinder unter drei Jahren betreuen. Im Fokus standen hierbei Einrichtungen, die überdurchschnittlich häufig von Kindern mit besonderem Sprachförderbedarf besucht werden.

Umfangreiche DaZ-Sprachförderprojekte in den Grundschulen sind teilweise auch auf die Unterstützung durch Dritte angewiesen, wie das Projekt „MitSprache NRW“, eine Kooperation zwischen der WestLB AG, der WestLB Stiftung und dem Schulministerium im Bereich Sprachförderung. Das Projekt unterstützt an 20 Grundschulen Kinder mit nicht deutscher Muttersprache durch Sprachlern- und Förderangebote.

Ermittlung des Sprachstands

Bundesweit gibt es Bestrebungen, Instrumente zur Sprachstandsdiagnostik einzusetzen mit dem Ziel, die Förderung so effektiv wie möglich zu gestalten.

In den meisten Bundesländern wird ein Jahr vor Schulbeginn die Sprachfähigkeit der Kinder mit Hilfe eines Erhebungsbogens festgestellt. Sollte sich zeigen, dass das Kind eine verstärkte Sprachförderung benötigt, wird es in ein gezieltes Förderprogramm während des gesamten letzten Jahres vor Schuleintritt aufgenommen.

Neben quantitativen Screening-Verfahren, wie dem Verfahren KiSS in Hessen, gibt es diagnostische Verfahren, zum Beispiel das von der Hamburger Behörde für Bildung und Sport entwickelte „Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstands“ (HAVAS), das ein Jahr vor der Einschulung eingesetzt wird.
Die Beobachtungsbögen Sismik und Seldak gehören zur alltagsintegrierten Sprachentwicklungsbegleitung im Elementarbereich.
 
Sprachstandserhebungen sind nicht nur wegen ihrer Reduktion auf sprachliche Einzelphänomene umstritten. Auch die Erhebungsmethoden gelten aus Sicht vieler Kritiker als unangemessen im Hinblick auf die komplexen Prozesse kindlicher (Sprach-)Entwicklung, wie hier von Simon Emmerling dargestellt:
 
„Dabei werden gleich einem ökonomischen Marktmodell die Kinder als Konsumenten von Sprachförderung und die Wissenschaft (Psychologen, Pädagogen und Linguisten) als ihr Produzent aufgefasst. Es wird von der Annahme ausgegangen, dass der optimale Abgleich der Sprachförderung (Angebot) mit der Bedürfnisstruktur (Nachfrage) zentral für eine bestmögliche Sprachförderung aller Kinder ist. Mit Hilfe von Sprachstandserfassungsverfahren (SEV) soll die Nachfrage sondiert werden, um ein möglichst genaues Bild von den Bedürfnissen der Kinder / der Konsumenten zu erhalten.“
 
Die ersten Ergebnisse isolierter Sprachfördermaßnahmen auf der Grundlage von Sprachstandserhebungen waren dementsprechend ernüchternd. Gezielte Sprachförderkonzepte mit isolierten Deutschkursen waren auch mit wissenschaftlicher Begleitung nicht automatisch erfolgreich. So machten beispielsweise hessische Vorschüler, die nach dem Heidelberger Spezialprogramm „Deutsch für den Schulstart“ lernten, nicht die erwarteten Fortschritte. Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Evaluation aus Baden Württemberg.

Tiefgreifender und erfolgreicher scheinen Konzepte zu sein, die sich ganzheitlich und bereichsübergreifend in den Kindergartenalltag integrieren lassen. „Sprache soll in all ihren Facetten im Alltag systematisch wahrgenommen und gefördert“ und nicht als „isolierte Trainingseinheit“ verstanden werden, betont die Leiterin eines entsprechenden Forschungsprojekts des Deutschen Jugendinstituts (DJI) Karin Jampert.
 
Mit der umfassenden Studie „Sprachförderung im Elementarbereich“ (2013) wurden in Essen Daten zur Sprachstandsentwicklung von Kindern ausgewertet und eine Befragung von Kindertageseinrichtungen durchgeführt. Eine wesentliche Erkenntnis aus der Studie ist, dass Zusatzprogramme den Erfolg bei der Sprachförderung erhöhen. Welche Programme besonders günstige Effekte auf Kinder haben kann jedoch auch Dr. Sybille Stöbe-Blossey, Leiterin der Forschungsabteilung der Universität Duisburg-Essen, nicht beantworten:
 
„Es gibt keinen Königsweg in der Sprachförderung. Es kommt vielmehr darauf an, wie Kitas zusätzliche Förderstrategien und Programme in ihren Kitaalltag einbauen und nutzen und sich mit Sprachförderung auseinandersetzen. Ich glaube, dass eine Vielfalt von Sprachförderprogrammen gut ist, die situationsangemessen eingesetzt werden.“
 

Quellen

Tracy, Rosemarie (2007): Wie Kinder Sprachen lernen. Tübingen, Narr Francke Attempo Verlag. S. 5.

Elsner, Daniela (2007): Englischunterricht für Kinder mit Migrationshintergrund: Förderung oder Überforderung? In: Böttger, Heiner (Hrsg.) Fortschritte im frühen Fremdsprachenlernen. Nürnberg, S. 300–310.

Kultusministerkonferenz (2009): Den Übergang von der Tageseinrichtung für Kinder in die Grundschule sinnvoll und wirksam gestalten – Das Zusammenwirken von Elementarbereich und Primarstufe optimieren.

Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung: Beobachtungsverfahren Sismik und Seldak, entwickelt von Michaela Ulich und Toni Mayr (Staatsinstitut für Frühpädagogik München)

Emmerling, Simon (2005): Gießkannenprinzip oder gezielte Förderung? – Über die gegenseitige Abstimmung von Sprachstandserhebungen und Sprachförderung im Vorschulbereich. München, Ravensburg, GRIN. 

Jampert, Karin; Leuckefeld, Kerstin; Zehnbauer, Anne; Best, Petra (2006) : Sprachliche  Förderung in der Kita! Wie viel Sprache steckt in Musik, Bewegung, Naturwissenschaften und Medien? Weimar/Berlin, Verlag das Netz. 

Schlaumäuse. Kinder entdecken Sprache. 

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