Schreibwerkstätten für Jugendliche Schreibwerkstatt Kiew mit Sandra Hoffmann
Ich hätte viel darum gegeben nochmals in Kiew zu unterrichten. Zumal nach dem zweiten Mal, wo ich das Gefühl hatte, die Jugendlichen haben enorme Fortschritte gemacht. Auch weil Natalia Malai regelmässig mit ihnen gearbeitet hat. Wir trafen uns schließlich fünf Mal Online zu Webinaren.
Eigentlich war der Plan, die Gruppe - jeder einzelne für sich, und alle zusammen - erschreiben sich zusammen "Ihr Kiew". Wir wollten an verschiedenen Orten der Stadt schreiben, die Plätze, die Menschen genauer beobachten. Es kam anders. Aber so sehr anders war nicht, was wir gemacht haben.
Wir trafen uns schließlich fünf Mal Online zu Webinaren. Alle schreiben für jedes neue Webinar einen Text, der sich immer auf etwas bezog, was sie - es war Lockdown in Kiew - von zuhause aus erreichen konnten. Einmal bat ich die Jugendlichen über die Straße, in der sie wohnen zu erzählen. Einmal, von einem Ausflug in die nahe Umgebung. Einmal sollten sie eine Geschichte für ein Graffiti schreiben, das sie selbst in der Stadt entdeckt haben. Nur als Beispiel. Immer verbunden mit Fotografien, die sie machten, nicht vordergründig zur Bebilderung, eher gemeint als Erinnerung, die ihnen das Schreiben erleichtert. In den Webinar-Sitzungen haben wir zusätzlich immer eine Schreibübung gemacht, in der sie auch - soloalbumartig - etwas erzählen konnten, was ihre nahe Umgebung ausmacht: der wichtigsten Gegenstand in ihrem Zimmer, etwa. Was ihnen während des Lockdowns geholfen hat….usw. - diese kleinen Texte besprachen wir ausführlich während der Seminare. Die großen Texte liess ich zwar vorlesen, aber versah sie erst zwischen den jeweiligen Sitzungen mit Anmerkungen und Lektorat und schickte sie den Jugendlichen zurück.
Ich fand es bemerkenswert, wie sehr die ganze Gruppe erstens ihre Deutschfähigkeiten erweiterte, konnten die meisten zu Anfang des Projekts kaum sprechen, und nur mit Hilfe des Smartphones und Google-Translate überhaupt etwas schreiben, haben sie im Laufe des Jahres nicht nur besser verstehen können, was ich mit ihnen sprach, sie haben sich auch alle in einer sehr eigenen Weise sprachlich entwickelt. Da wurde einer zum nationalen Märchenerzähler, ein Mädchen nutze alles was Popliteratur kann, ohne sich jemals damit beschäftigt zu haben, und schrieb zeitgenössisch von ihrem Skateboard bis zu Figuren und Stars aus Filmen alles in ihre Texte hinein. Wir hatten plötzlich einen Philosophen in der Gruppe, einen Abenteuerschreiber und ein Mädchen mit großer Begabung zu klassischer Literatur.
Ich hätte das gerne noch mit der Gruppe gefeiert. In Wirklichkeit. Aber wir haben immerhin eine Abschlusslesung im Netz gemacht, ein paar Eltern waren dabei, Frau Garner und Frau Erlenwein aus dem Goethe-Institut und Eva Korb und Yana Osadscha aus Kiew, denen mein allergrößter Dank gilt, weil sie mich in allem wirklich sehr unterstützt haben.
Wir sind noch dabei ein "best off" zu machen: ein kleines Heft zum Abschluss.
Das Beste am Anfang: etwas bewegt sich gut.
Ich bin nach Kiew gefahren mit dem Vorsatz, so wenig wie möglich über Grammatik und über falsche und richtige Sätze zu sprechen. Denn eigentlich ist es das, was alle immer wissen wollen, wenn sie eine Sprache lernen. Ist das so richtig? Aber weil ich letztes Mal die Erfahrung gemacht habe, dass jede Leichtigkeit dabei verloren geht, habe ich die Grammatik soweit möglich mal abgeschafft, denn die Jugendlichen achten eh darauf; die Angst ist groß, etwas falsch zu machen.
So haben wir am ersten Tag mit einem Schreibspiel zum Warmlaufen begonnen, das wir täglich wiederholten, weil alle soviel Spaß daran hatten. Dabei sind sehr lustige kleine Sachen herausgekommen, über die viel gelacht wurde.
Die Gruppe ist um eine Person geschrumpft. Jetzt sind es noch sechs Schüler*innen. Ich hatte Zeitungen aus Deutschland mitgebracht, die ZEIT, SZ, FAS und alle darin liegenden Beilagen, um mit den Schüler*innen Collagen im Stil Herta Müllers zu machen.
Jede/r Jugendliche sollte sich wenigstes 100 Wörter unterschiedlichster Gattungen aus den Zeitungen ausschneiden, die sie/er kennt, um daraus Texte zu Schreiben, also zu kleben. Damit waren wir die ersten beiden Vormittage hauptsächlich beschäftigt.
Außerdem haben wir an beiden Tagen viel über Sprichwörter und ihre Bedeutung gesprochen, ob die ukrainischen Sprichwörtern auch im Deutschen vorkommen, oder andersherum, und wenn ja, ob sie das Gleiche meinen. Für den dritten Tag schrieben alle eine Geschichte zu einem Sprichwort.
Der Höhepunkt meiner zweiten Werkstatt in Kiew war unbedingt der Besuch einer Kunstgalerie. Eigentlich hatte ich vor mit den Schüler*innen ins Museum zu gehen, aber da wir kein geeignetes mit zeitgenössischer abstrakter Kunst finden konnten, besuchten wir eine sehr moderne Galerie, in der solche ausgestellt wurde.
Wir sprachen über Kunst und seine Betrachter, darüber, dass das, was ein Kunstwerk auslöst bei uns, durchaus einen Raum haben darf/soll im Text. Ich habe verschiedene Schreibaufgaben gegeben, die erste, wie immer, um zu einem gewissen Wortschatz zu gelangen, der beim Schreiben hilft, in den nächsten liess ich viel kreativen Spielraum und Raum für eigene Geschichten. Dabei sind bei großer Aufmerksamkeit der ganzen Truppe die bisher wirklich mit Abstand interessantesten Texte entstanden. Vermutlich werden wir in dieser Galerie auch die Abschlusslesung veranstalten, bei meinem dritten Besuch im April.
Wir haben in Kiew eine Ausschreibung für die Werkstatt gemacht: Wer mitmachen wollte, sollte einen kleinen Text schreiben, mit folgendem Anfang: „Mein Held heißt … (z.B. Carola Rakete, weil sie Menschen vor dem Ertrinken rettet)“
Wir haben daraufhin siebzehn Bewerbungen bekommen, manche aber aus so weit entfernten Landesteilen, dass wir sie gar nicht aufnehmen konnten. Wir begannen die Werkstatt im Oktober mit 7 Jugendlichen, wir, das waren, die ukrainische Lehrerin Natalia Malaj, die deutsche Praktikantin Irma, und ich.
Die Teilnehmer*innen der Werkstatt, vier Mädchen und drei Jungs haben es noch nicht leicht mit der deutschen Sprache. Schreiben geht schwerer als Sprechen. Deshalb haben wir die Herangehensweise etwas verändert und viele Übungen und Spiele gemacht, bei denen wir Wörter sammelten und an die Tafel schrieben, bis uns ein gewisser Wortschatz zur Verfügung stand. Wir versuchten wir uns viel in mündlichem Erzählen. Davon ausgehend schrieben wir erste Texte und Gedichte. An der Literarizität können wir noch arbeiten, aber sie gelingt auch mit mehr Übung in der Sprache leichter. Immerhin haben wir aber nach der ersten drei Tagen bereits kleine Texte von allen Teilnehmer*innen.
Die Rückmeldungen der Schüler*innen waren rundum positiv, was mich freut.
Ich habe mir vorgenommen, beim zweiten Mal, (ich fahre drei Mal nach Kiew) noch spielerischer vorzugehen.
In meiner Abwesenheit veranstalten Natalia Malai und Irma den Workshop alle 14 Tage. Wir sind in gutem Kontakt.
von Sandra Hoffmann
Was Schüler*innen und Lehrer*innen am Weltenschreiber-Projekt interessiert
Natalia Malai (lehrerin)
„Dieses Projekt ist für mich eine schöne Möglichkeit, meinen Beruf und meine Leseleidenschaft zusammenzubringen. Kreatives Schreiben ist im Deutschunterricht an unseren Schulen nicht sehr verbreitet. Ich möchte nicht nur Kindern, sondern auch meinen Kolleg*innen zeigen, dass Schreiben auf Deutsch nicht so schwierig und langweilig ist. Was ist mir noch wichtig an diesem internationalen Projekt? Natürlich die Kommunikation unter den Teilnehmenden. Ich hoffe auf neue hervorragende Weltenschreiber!“
Teilnehmer*innen
„Ich mag es, Geschichten zu schreiben. Für mich das ist ein Weg, mich selbst besser zu verstehen und die Welt aus verschiedenen Sichtweisen anzuschauen. Deutsch ist für mich eine neue Möglichkeit. Ich möchte probieren, wie es ist, auf Deutsch zu schreiben.“
Katerina Andriytschuk
„Ich möchte meine Meinung besser äußern können und meine Deutschkenntnisse verbessern.“
Oleksii Frankov, 16 Jahre
„Ich probiere gerne etwas Neues aus“
Albina Ivashchuk, 14 Jahre
„Deutsch ist meine Lieblingssprache. Ich finde, dass Deutsch für mich wichtig ist.“
Khokhuliak Dmytro, 15 Jahre
„Ich möchte gern ein Drehbuch für einen Krimifilm schreiben.“
Konstantinova Anna, 15 Jahre
„Ich möchte ein kreatives Werk über den Winter schreiben, ich bin sehr an dieser Art des Schreibens interessiert. Oder ich werde eine Horrorgeschichte oder eine Fantasiegeschichte schreiben.“
Lytvyn Maria, 14 Jahre
„Ich möchte mein Deutsch verbessern, kreativer werden und andere Leute kennenlernen.“
Iwan Tschub, 14 Jahre