Land der Festivals
Habermas und der äußerst brutale Schlagzeuger

Leiter des MainOFF Festivals Piero Maltese
Leiter des MainOFF Festivals Piero Maltese | Foto: Roman Maruhn, Goethe-Institut Palermo

„Land der Festivals“ in Palermo vernetzt und professionalisiert Festivals. Acht Kulturfestivals aus Süditalien, Sardinien und Sizilien treten in einen produktiven Austausch. Das Goethe-Institut hat mit Piero Maltese, dem künstlerischen Leiter von MainOFF gesprochen, einem Festival für elektronische und experimentelle Musik in Palermo.

Was war die Grundidee von MainOFF?
 
MainOFF ist vor 14 Jahren in einem besetzten Haus entstanden und war anfangs sehr informell und sollte elektronischen und experimentellen Musikern einen Platz geben, die ihre Musik sonst wie Nerds alleine und zu Hause machten. Wir hatten eine Bühne und wollten diese Musik dem Publikum in Palermo vorstellen, das damals elektronische Musik in erster Linie vom Dancefloor kannte.
 
Was war Ihr erster Kontakt mit deutscher Kultur?
 
Das waren „Kollaps“, das erste Album der Einstürzenden Neubauten, und „Decoder“, ein Film von Klaus Maeck, in dem es in einer ziemlich wilden Geschichte um die „Muzak“ geht. In dem Film spielten zwei Exponenten des deutschen Undergrounds mit: Christiane F. und FM Einheit. Später habe ich dann über Jürgen Habermas' „Faktizität und Geltung“ promoviert, während mein erster Kontakt mit dem Goethe-Institut ein Konzert mit einem Präparierten Klavier und einem äußerst brutalen Schlagzeuger war – das war ein sagenhaftes Konzert und wirklich eine prägende Begegnung.

Konzert von „FM Einheit“ auf dem MainOFF Festival Konzert von „FM Einheit“ auf dem MainOFF Festival | Foto: Qmedia

DEUTSCHEN UNDERGROUND DARSTELLEN

Wirkt sich das direkt auf Ihr Programm aus?
 
Unbedingt. Wir stellen uns die Frage, welche Künstler wir einladen und was wir künstlerisch in unserem Festival erzählen möchten. Und mit dem Goethe-Institut versuchen wir dann, einen Teil des deutschen Undergrounds im Festival darzustellen. Gemeinsam haben wir es geschafft, das Label Raster-Noton nach Palermo zu bringen, und letztes Jahr, vor knapp drei Monaten, FM Einheit. Das sind schon starke Marken!
 
Welche Erfahrungen hat MainOFF mit „Land der Festivals“ gemacht?
 
Ich habe viele Menschen kennengelernt, die ähnliche Projekte wie ich machen und sich mit ähnlichen Problemen herumschlagen. Und das ist doch das Wesentliche, dass eine ganze Reihe von Erfahrungen vernetzt wird. Und über „Land der Festivals“ können wir MainOFF vielleicht schon dieses Jahr weiterentwickeln, auch wenn ich dazu konkret noch nichts sagen kann. Darüber hinaus tut es gut, dass ich das, was ich bei unserem letzten Workshop gehört habe, direkt in unsere Arbeit einbringen kann. Da geht es zum Beispiel um die Rolle von ehrenamtlichen Mitarbeitern, also volunteers, die über ihre Netzwerke Publikum generieren können. Das sind wertvolle Informationen.

„Der politischen Krise steht ein unglaublicher Schaffensdrang gegenüber“ 

Was macht aus Ihrer Sicht den Reiz eines Festivals aus?
 
Parteien, soziale Einrichtungen und selbst Hausbesetzungen verlieren nicht nur in Italien, sondern überall an Bedeutung. Seltsamerweise schaffen es die Festivals, immer mehr Menschen zusammenzubringen und die klassischen Funktionen alter sozialer Strukturen zu übernehmen: eine Gemeinschaft zu schaffen, ein Sozialsystem aufzubauen und eben Menschen zu ermöglichen, etwas auf die Beine zu stellen. Selbst wenn wir uns gerade in einer großen politischen Krise befinden, steht dieser ein unglaublicher Schaffensdrang von immer mehr Festivals gegenüber.
 
Was erwarten Sie sich von „Land der Festivals“?
 
Unser nächstes Thema „Audience Development“ ist für uns sehr wichtig. Da können wir sicher eine Menge lernen. Wir wollen und brauchen mehr Publikum, auch wenn unser Programm speziell und vielleicht nicht massentauglich ist. Dennoch möchten wir wachsen, ohne unsere Natürlichkeit, unseren Enthusiasmus zu verlieren.
 
Das Interview führte Roman Maruhn, Goethe-Institut Palermo.