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Plurizentrische Landeskunde im DaF-Unterricht
Das Ziel zum Weg erklären

Auf einer Schreibmaschinentastatur stehen die Wörter Hallo, Moin und Servus.
© Adobe Stock

«Moin», «Servus» oder «Grüezi»? «Möhren», «Karotten» oder «Rüebli»? Heißt es die oder das Mail? Alle diese Wörter und Formen sind korrekt und Ausdruck dafür, wie heterogen der deutschsprachige Raum ist, sprachlich wie kulturell – eine Realität, die sich auch im DaF-Unterricht widerspiegeln sollte. Doch wie umsetzen?

Von Claudio Conidi

Das DACH-Prinzip

Landeskunde und interkulturelles Lernen gehören zum DaF-Unterricht, denn sie sind integraler Bestandteil von Fremdsprachunterricht. Landeskunde ist allerdings ein komplexer Begriff mit verschiedenen Ansätzen. Und es gibt in Bezug auf das Deutsche eine weitere Besonderheit zu berücksichtigen – die Plurizentrik: Eine Sprache, «die in mindestens zwei Nationen verwendet wird, in denen sie einen offiziellen Status als Staatssprache, Co-Staatssprache oder regionale Sprache mit ihren eigenen […] Normen hat», wird als ‘plurizentrische Sprache’ bezeichnet. (Shafer, et al., 2020 S. 118) Deutschland, Österreich und die Schweiz werden als die drei Vollzentren der deutschen Sprache betrachtet, aber auch in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol ist Deutsch die bzw. eine der Amtssprache/-n. Daraus lässt sich ableiten, dass es eine plurizentrische Landeskunde gibt, die in den Unterricht einfließen sollte.

Um diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen, wurde 2008 das DACH-Prinzip entwickelt. DACH ist ein Akronym für Deutschland – Österreich (A) – Schweiz (CH) und steht für die Anerkennung der Plurizentrik des Deutschen und somit der plurizentrischen Landeskunde. Im Rahmen dieses Textes wird ‚plurizentrische Landeskunde‘ als Synonym für ‚DACH-Prinzip‘ verstanden.

Im Unterricht wird dieses Prinzip, wie Untersuchungen zeigen, allerdings oft nur halbherzig oder gar nicht umgesetzt. Woran liegt das? Ein Grund dafür ist sicher, dass in der Ausbildung von DaF-Lehrpersonen die Plurizentrik des Deutschen und mit ihr die Landeskunde der unterschiedlichen deutschsprachigen Länder und Regionen nur eine geringe Aufmerksamkeit genießt. Ein weiterer Grund für die mangelnde Umsetzung des DACH-Prinzips im Unterricht liegt meines Erachtens auch darin, dass es oftmals als das Ziel betrachtet wird, eine Betrachtungsweise, die dem Erreichen dieses Zieles tragischerweise eher hinderlich denn förderlich zu sein scheint. Ich schlage stattdessen vor, das Ziel zum Weg zu deklarieren: Das Ziel des Sprachunterrichts ist das Erreichen einer handlungsorientierten Zielaufgabe, die Umsetzung des DACH-Prinzips ein möglicher Weg, diese Zielaufgabe zu erreichen. Wie könnte eine erfolgreiche Umsetzung des Prinzips also aussehen?

Plurizentrische Landeskunde in den Unterricht integrieren

Die Basis des Unterrichts ist die Rückwärtsplanung. Diese sieht vor, dass als erster Schritt der Unterrichtsplanung das globale Lernziel bestimmt wird, das seinerseits handlungsorientiert sein muss! In einem nächsten Schritt werden die Teillernziele bestimmt, also die Zwischenschritte, die für das Erreichen des globalen Lernziels notwendig sind. Auf Basis dieser Teillernziele werden die Unterrichtsaktivitäten und -materialien erstellt bzw. zusammengestellt. Das Vorgehen, nach welchem das DACH-Prinzip nun in den Unterricht eingegliedert werden soll, ist sehr simpel. Von der Zielaufgabe ausgehend stellt man sich als Lehrperson folgende zwei Fragen:
  • Wo/Wie steckt in der Zielaufgabe und/oder den Teillernzielen Landeskunde drin?
  • Wo/Wie kann ich als Lehrperson die in der Zielaufgabe und/oder den Teillernzielen vorhandene Landeskunde durch Unterrichtsmaterial(ien) um das DACH-Prinzip erweitern?

Als Lehrperson soll man also nicht aktiv nach Möglichkeiten suchen, wie das DACH-Prinzip zusätzlich im Unterricht via landeskundliche Materialien aus Österreich, der Schweiz etc. auch noch einfließen kann. Die handlungsorientierte Zielaufgabe und die entsprechenden Teillernziele sind und bleiben die Grundlage der Unterrichtsplanung. Die Umsetzung des DACH-Prinzips erfolgt durch punktuelle Ergänzung und Erweiterung der Unterrichtsmaterialien.

Die Umsetzung des DACH-Prinzips beginnt schon vor dem eigentlichen Unterricht. Im Warm-Up zu Beginn des Unterrichts wird den Lernenden mittels Smalltalk-Fragen die Möglichkeit gegeben, ins Deutsche ‘einzutauchen’. Man kann bereits diese Warm-Up-Phase dazu nutzen, das DACH-Prinzip umzusetzen, z. B. mit folgenden Fragen:
  • Welche Städte und Orte in Deutschland/Österreich/der Schweiz haben Sie schon besucht?
  • Welche haben Ihnen besonders gut gefallen und können Sie für eine Reise empfehlen?
  • Welche Städte und Orte in Deutschland/Österreich/der Schweiz würden Sie gerne besuchen?
Es muss nicht nach allen drei Ländern gleichzeitig gefragt werden, es können auch nur eines oder zwei davon sein. Der springende Punkt ist: Es soll danach gefragt werden!


Zwei Screenshots der App Landeskunde im DaF-Unterricht Das DACH-Prinzip in den Unterricht integrieren | Claudio Conidi (Screenshot) Landeskunde im DaF-Unterricht

Das DACH-Prinzip umsetzen – Beispiele für verschiedene Sprachniveaus

Das erste Beispiel stammt aus einem A1-Kurs. Dort findet eine Sitzung mit folgender Zielaufgabe statt: Am Ende der Stunde gehen Sie shoppen und suchen nach einem neuen Kleidungsstück. Dies erfolgt mittels Webseite eines deutschen Kaufhauses. Ein Vorschlag ist es nun, Kaufhäuser aus verschiedenen Ländern zu nehmen. Das klingt auf den ersten Blick nicht sehr innovativ, zugegebenermaßen, doch bei genauerer Betrachtung steckt noch mehr Landeskunde in der Zielaufgabe: Sie steckt im Preis – und zwar in zweifacher Hinsicht: erstens in der Höhe des Preises und zweitens in der Währung (Euro vs. Schweizer Franken). Die Schweiz wird oft als Hochpreisland betitelt, doch stimmt das? Wird dieses Klischee durch das Online-Shoppen ‘in der Schweiz’ bestätigt oder nicht? Zur Beantwortung dieser Fragen reicht eine kleine Ergänzung der Zielaufgabe:
  • Am Ende der Stunde gehen Sie shoppen und suchen nach einem neuen Kleidungsstück. Sie vergleichen den Preis.
Durch diese kleine Veränderung der Zielaufgabe und das Verwenden einer Schweizer Webseite im Unterricht ist es ohne größeren Aufwand möglich, das DACH-Prinzip umzusetzen.
Im B1-Kurs findet eine Sitzung mit folgender Zielaufgabe und u.a. folgendem Teillernziel statt:
  • Sie sammeln praktische Ideen, wie man "grüner" leben kann.
Die KT können erklären, ob und – falls ja – welche Ratschläge zur Mülltrennung und/oder Müllreduktion sie bereits befolgen.

Auf den ersten Blick sieht es bei dieser Zielaufgabe ebenfalls nicht nach viel Landeskunde aus, bei einem genaueren Blick in die Teillernziele hingegen wird schnell deutlich, dass sehr wohl Landeskunde drinsteckt, welche ihrerseits das Umsetzen des DACH-Prinzips ermöglicht. Die Müll- bzw. Abfalltrennung ist den unterschiedlichen Ländern sicher ähnlich, aber nicht gleich. Das eignet sich hervorragend für Vergleiche zwischen unterschiedlichen DACH-Ländern bzw. Regionen, beispielsweise mittels Graphiken darüber, was, wie und wie gut recycelt wird.

Eine weitere Möglichkeit, die sich besonders gut ab Stufe B2 einsetzen lässt, ist, den Lernenden die Hausaufgabe zu geben, als Vorbereitung für die Warm-Up-Phase Nachrichten auf Deutsch zu lesen. Hierfür gibt die Lehrperson verschiedene Nachrichtenportale aus dem DACH-Raum vor, z.B. ARD/ZDF; ORF; SRF, etc. vor. Im Warm-Up tauschen sich dann die Lernenden über das Gelesene aus. Diese Vorgehensweise lässt sich natürlich auch auf die C1/C2-Stufe übertragen.

Für jedes Sprachniveau gilt: Das Ziel des Sprachunterrichtes ist das Erreichen einer handlungsorientierten Zielaufgabe, auf Basis der Rückwärtsplanung. Plurizentrische Landeskunde bzw. das DACH-Prinzip sind somit nicht das Ziel des Sprachunterrichts, sondern ein möglicher Weg, um es zu erreichen. Sie sind nicht als ein separates Thema zu betrachten, welches es neben dem Vermitteln der Sprachkenntnisse auch noch zu behandeln gilt, sondern immer als integraler Teil des Sprachunterrichts.
 
Literatur:

Demmig, Silvia, Hägi, Sara und Schweiger, Hannes. 2013. DACH-Landeskunde. Theorie - Geschichte - Praxis. München: Iudicium, 2013.

Schweiger, Hannes, Hägi, Sarah und Döll, Marion. 2015. Landeskundliche und (kultur-)reflexive Konzepte. Impulse für die Praxis. Fremdsprache Deutsch 52. 2015, S. 3-10.

Shafer, Naomi, et al. 2020. Weitergedacht. Das DACH-Prinzip in der Praxis. Göttingen: Universitätsverlag, 2020.

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