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Verwaltungssprache
Amtsdeutsch: Noch immer unverständlich

Eine Frau sitzt in einem Büro und zeigt mit einem roten Pfeil auf einen Stapel Aktenordner. Dabei verzieht sie das Gesicht.
Welche Wortungeheuer verbergen sich in diesem Aktenberg? | © Adobe Stock

Handbücher, Beratungen, Analysetools … seit rund zwanzig Jahren setzen sich Expert*innen dafür ein, dass die deutsche Verwaltungssprache verständlicher wird. Doch es ist noch immer viel zu tun.

Von Janna Degener-Storr

„Deutsche Paragrafen und deutsche Grammatik haben etwas gemeinsam: Sie sind zum Heulen“, schreibt der deutsch-irakische Schriftsteller Abbas Khider in seinem Buch „Deutsch für alle“. Und selbst Muttersprachler*innen mit Hochschulabschluss verzweifeln immer mal wieder an Gesetzestexten, Behördenschreiben und Formularen, die sie schlicht und einfach nicht verstehen. In einer Befragung des Statistischen Bundesamts, die alle zwei Jahre durchgeführt wird, bewerten die Deutschen einige Dienstleistungen wie die Formulare zur Beantragung von Ausweisdokumenten zwar als gut. Insgesamt zeigen sich die Bürger*innen aber seit Jahren unzufrieden mit der Art und Weise, wie sie von ihren Behörden informiert werden.

Woher kommt das Behörden-Kauderwelsch?

In anderen Sprachen ist es grammatikalisch überhaupt nicht möglich, Schachtelsätze oder Wortungetüme wie „Umsatzsteuerschlüsselzahlenfestsetzungsverordnung“ oder „SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung“ zu bilden. Und doch zeigt der internationale Vergleich: Die Struktur des Deutschen ist nicht die Wurzel des Problems. „Die Verwaltungen in anderen Ländern haben die gleichen Probleme wie wir: Komplizierte Wörter, lange Sätze, schlecht strukturierte Texte und eine unpersönliche Ansprache“, sagt Dr. Christine Möhrs vom Arbeitsbereich „Verständlichkeit von Verwaltungssprache“ am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (LDS). Sie steht in engem Kontakt zu Kolleg*innen aus dem europäischen Ausland und hat unter anderem den Leitfaden „Klar und deutlich schreiben“ der Europäischen Kommission analysiert, der in 24 Sprachen vorliegt.
Verwaltungssprache basiert auf Gesetzen.

Behördenmitarbeiter*innen müssen rechtssichere Formulierungen wählen und die Bürger*innen an der einen oder anderen Stellen auch auf ihre Pflichten hinweisen. Das ist korrekt und wird in der Verwaltungsausbildung traditionell vermittelt. Doch teilweise orientiert sich der öffentliche Dienst dabei leider unreflektiert noch zu stark an Gepflogenheiten, die sich in den Institutionen etabliert haben und an ein historisch gewachsenes Obrigkeitsdenken anknüpfen. „Das ist ein Überbleibsel aus dem Absolutismus. Schon der Alte Fritz hat die Amtssprache in Preußen beklagt und seine Minister aufgefordert, sich verständlich gegenüber der Bevölkerung auszudrücken“, sagt etwa Lothar Wiegand, der selbst in einem Ministerium tätig ist und Seminare zur Vermeidung von Amtsdeutsch gibt.

Das kann dann sogar dazu führen, dass Sprache als unpersönlich oder herablassend empfunden wird. Der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider beschäftigt sich in seiner Verständlichkeitsforschung mit dem Thema und gibt ein Beispiel: „Behörden fordern ihre Bürger*innen häufig dazu auf, bestimmte Dokumente ‚fristgerecht einzureichen‘. Ein solcher Befehlston ist aber weder zeitgemäß noch zielführend. Freundlicher, sinnvoller und ebenso rechtssicher wäre es zum Beispiel, zu erklären, bis wann die Dokumente benötigt werden und warum sie gebraucht werden.“

Wie lernen Beamte, verständlich zu kommunizieren?

Letztlich hat natürlich auch die Verwaltung ein Interesse daran, von den Bürger*innen verstanden zu werden. Und viele Behördenmitarbeiter*innen haben durchaus ein Interesse daran, auf Augenhöhe mit den Menschen zu kommunizieren. Dass ein Wandel möglich ist, zeigen beispielsweise der Blick in die Finanzbranche, wo sich die Kommunikation seit der Finanzkrise und dem damit verbundenen Vertrauenslust zum Positiven verändert hat. Und Länder wie die Schweiz oder Schweden haben auch in Sachen verständliche Verwaltungssprache schon viel erreicht.

Auch hierzulande gibt es zahlreiche Projekte und Initiativen, die sich für eine Veränderung stark machen – nicht nur im Bereich der Leichten Sprache, die mit dem Ziel der Barrierefreiheit entwickelt wurde und laut Behindertengleichstellungsgesetz von Trägern öffentlicher Gewalt genutzt werden soll.

Frank Brettschneider beispielsweise hat mit seinem Team an der Universität Hohenheim einen Verständlichkeitsindex zur objektiven Bewertung von Texten entwickelt, der sich unter anderem an der durchschnittlichen Satzlänge und am Anteil der Fremdwörter orientiert. Die Baden-Württembergische Landesregierung hat schon angekündigt, die daraus entstandene Textanalyse-Software einsetzen zu wollen. So können Behördenmitarbeiter*innen immerhin schnell erkennen, welche Texte überarbeitet werden müssen. Für die „Übersetzung“ in die verständliche Sprache braucht es dann aber doch noch Menschen.

Eine Frage der Sprache – und der (Verwaltungs-)Kultur

Im Bundesprojekt „Bürgernahe Sprache“ werden Regeln erarbeitet, Verwaltungstexte überarbeitet und ein Schulungskonzept entwickelt. Das LDS kümmert sich um die wissenschaftliche Begleitung und hat dabei auch die Haltung der Behördenmitarbeiter*innen im Blick. „Eine wichtige Voraussetzung für Veränderungen ist, dass Entscheidungsträger*innen überzeugt sind und den unteren Ebenen Rückendeckung geben“, sagt Christine Möhrs. Einen Fokus auf eine Änderung der Arbeitskultur in Behörden legt beispielsweise auch das Projekt „MfG - Mit freundlichen Grüßen“ des Berliner StartUps Flipped Job Market, das davon überzeugt ist: Alle Behördenmitarbeitende können einen Unterschied machen, wenn sie selbst Freude an der Arbeit haben und ihre eigenen Spielräume kennen.

Eine Frau schreibt auf eine große Pappwand, auf der eine Themensammlung zur Vereinfachung von Behördensprache auf Deutsch und Englisch steht. Kreativer Output beim Creative Bureaucracy Festival | Creative Bureaucracy Festival 2018 © Robert Schlesinger Diese Spielräume zeigt das Projekt „MfG“ auch beim alljährlichen Creative Bureaucracy Festival in Berlin auf, wo Beschäftigte des öffentlichen Dienstes mit anderen Menschen zusammenkommen, um zukunftsweisende Ansätze für eine Reform der Verwaltung – unter anderem in Sachen verständliche Kommunikation – zu diskutieren. Hier kommen selbst Designer*innen zu Wort – etwa Daniela Hensel, die sich als Professorin der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin mit bürgerzentrierter Verwaltung beschäftigt und einen Trimm-dich-Pfad für verständlichere Formulare entwickelt hat. Sie sagt: „Wenn ich Prozesse digitalisieren möchte, muss ich vorher erstmal schauen: Ist der Vorgang überhaupt sprachlich klar formuliert? Oder steckt eine Bürokratie dahinter, die noch vereinfacht werden muss?“

Und wenn alles nichts nützt?

Vielleicht gibt diese Debatte der Frage der verständlichen Kommunikation in Behörden einen neuen Dreh. Und sonst muss möglicherweise tatsächliche eine verpflichtende Qualitätskontrolle her, die bereits von Expert*innen diskutiert wird und etwa auf der neuen internationalen Norm für die Verständlichkeit von Texten basieren könnte. Bis es soweit ist, müssen die deutschen Bürger*innen und die Menschen, die es werden möchten, weiterhin ihre eigenen Wege finden, sich durch den deutschen Bürokratiedschungel zu kämpfen. Das bedeutet zum Beispiel: Wenn etwas gut läuft, loben. Wenn etwas unklar ist, nachfragen. Und wenn niemand erreichbar ist, positiv denken. Immerhin zeigt die Befragung des Statistischen Bundesamts beispielsweise auch, dass die deutsche Verwaltung als weitestgehend unbestechlich gilt. Im konkreten Fall helfen dann vielleicht Geduld und – das zeigt Abbas Khider – auch eine Prise Humor.

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