Anke Stöver-Blahak
Lyrik für Ingenieure

Die Physiker
© Anke Stöver-Blahak, Foto: Privat

Wozu braucht ein Maschinenbauer Gedichte? – Warum ein nicht fachbezogener Unterricht dennoch berufsorientiert sein kann….

Ingenieure, so die allgemeine Auffassung, sind sprachunbegabt, amusisch, an Kunst nicht interessiert. Deshalb steht bei Überlegungen zur sprachlichen Vorbereitung oder Begleitung internationaler Ingenieurstudierender oft ausschließlich fachorientierter oder fachwissenschaftssprachlich orientierter Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht im Fokus.
Sprachkursangebote an der Leibniz Universität Hannover (LUH) zeigen, dass Kurse mit ganz anderen ganzheitlichen Methoden und Inhalten von Ingenieurstudierenden als sinnvoll und hilfreich für ihr Studium wahrgenommen werden.

Ausgangssituation

Während meiner langjährigen Tätigkeit als Deutsch-als-Fremdsprache-Dozentin an der LUH machte ich immer wieder die Beobachtung, dass Studierende Probleme hatten, ganze Sätze gebunden und mit angemessener Intonation zu sprechen. Bei den Überlegungen, wie gerade diese Fertigkeit trainiert werden könnte, dachte ich zunächst nur daran, den Kursteilnehmer/-innen fertige Texte zu geben, um sie von der Generierung von Inhalten und dem Achten auf grammatisch richtiges Sprechen zu entlasten. Doch welche fertigen Texte wären geeignet? Wäre es sinnvoll, zum Beispiel einen Fachtext Maschinenbau herauszusuchen, mit dem die Lernenden über einen längeren Zeitraum wieder und wieder phonetisch und intonatorisch korrektes Sprechen in angemessenem Tempo, mit passender Gestik und Mimik et cetera üben könnten? Und sollte dann jeder Kursteilnehmende seinen Text selbst heraussuchen? Könnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von den Inhalten trennen und sich auf die Sprache konzentrieren? Mir erschien das so nicht umsetzbar. Anders wäre es mit Gedichten oder auch mit Theaterstücken. Das sind schon fertige Texte in „schöner“, verdichteter Sprache.
 

Argumente für einen Unterricht mit Gedichten und Theaterstücken mit Deutsch lernenden Ingenieuren

  • Durch Gedichte oder Theater (=Kunst) werden die Lernenden nicht nur kognitiv, sondern auch emotional und körperlich angesprochen.
  • Kunst  bietet viele Möglichkeiten der Interpretation für die Einzelnen und Anlässe zur Diskussion in der Gruppe.  
    Die Studierenden können so
    - korrektes Sprechen trainieren (Phonetik, Intonation, Prosodie)
    - angemessenes Vortragsverhalten üben (Haltung, Mimik, Gestik, Laustärke, Kontakt zum Publikum)
    - Selbstbewusstsein entwickeln, Ängste abbauen
    - lernen, ein begründetes Feedback zu geben und zu empfangen
    - selbstbestimmt und autonom aber im Austausch mit anderen an selbstgesteckten Zielen arbeiten

Formate

Szene Maria Stuart © Anke Stöver-Blahak, Foto: Privat An der LUH habe ich zwei Kurskonzepte entwickelt, die solchen ganzheitlichen Lehr-/Lernprinzipien folgen.
  • Sprechen und Vortragen üben mit Gedichten
Hier erarbeiten die Teilnehmer/-innen ein Semester lang in einem zweistündigen Kurs die Vortragsfassung eines Gedichtes, das sie am Ende in einer öffentlichen Vorstellung vor einem fremden Publikum vortragen. Im Kursverlauf werden Kriterien für gutes Vortragen erarbeitet und unterschiedliche Aspekte des Vortragens geübt. Die einzelnen Präsentationen werden videografiert und in der Gruppe ausgewertet. Der Vorteil ist, dass die Teilnehmer/-innen sich individuell Ziele setzen und diese mit Hilfe der Dozentin, aber eher noch über die Gruppe eigenständig verfolgen. Es wird sehr genau an definierten Vorhaben gearbeitet, die in Zirkeln immer wieder überprüft und sukzessive erweitert werden. Quasi „nebenbei“ lernen die Sprecher/-innen nicht nur ihr eigenes Gedicht, sondern auch die der anderen kennen. Die Gedichte werden überwiegend durch das Sprechen erarbeitet. Eine literaturwissenschaftliche, theoretische Auseinandersetzung findet im Unterricht nicht statt.
  • Mündliche Kommunikation mit Methoden des Theaters
Dieser Kurs wird in einer Kooperation mit dem Schauspielhaus Hannover durchgeführt. Die Studierenden erarbeiten gemeinsam ein Theaterstück aus dem aktuellen Programm des Schauspielhauses, das wir zunächst auch zusammen ansehen. Im Unterricht wird mit dramapädagogischen Methoden gearbeitet, dabei wird aber die spezifische Situation von DaF-Lerner/-innen besonders berücksichtigt. Im Gegensatz zum Gedichtekurs wird hier weniger präzise an der Sprache gearbeitet, dafür aber kommt das Element der Interaktion auf der Bühne hinzu.
Für beide Kurse gilt, dass die Teilnehmer/-innen durch die Übernahme einer Rolle, durch das Spielen mit „Maske“ ihr „Selbst“ schützen und quasi als ein anderer einen deutschen Text vor Publikum sprechen. Sie verleiben sich dadurch die fremde Sprache ein und gewinnen Sicherheit beim Sprechen und Vortragen. Sie lernen durch eigenes Anwenden und Feedback geben performatives Handeln anzuwenden und zu durchschauen.
 

Argumente für den Erfolg von den Teilnehmer und Teilnehmerinnen

In den Kursevaluationen der Studierenden werden durchgehend folgende Aspekte genannt, in denen die Teilnehmer/-innen bei sich Fortschritte wahrnehmen:
  • Sprache (Sprechen und Wortschatz)
  • Theaterspielen, performatives Lernen
  • Interkulturelles Lernen, Wahrnehmen von kulturellen Unterschieden
  • Arbeiten in der Gruppe, Feedback geben, kooperatives Lernen
  • Entwicklung von Selbstbewusstsein im Auftrittsverhalten, aber auch im Umgang mit der deutschen Sprache
Dass die Teilnehmer/-innen das Gelernte auch durchaus mit ihrer beruflichen Zukunft verbinden, zeigen folgende Zitate:

„Ich weiß nicht, wie viele deutsche Gedichte ich in der Zukunft vortragen werde, aber ich werde immer Konsonanten brauchen... jeden Tag.“  Ryan, im Skype-Interview (Stöver-Blahak 2013)

„Apropos, der Kurs hat mir viel geholfen, besonders, um die Nervosität zu überspielen, um richtig zu begrüßen. Ich hatte viel Erfolg bei meinem Vorstellungsgespräch.“  Pedro, E-Mail vom 4. Juni 2013

Pedro, E-Mail vom 4. Juni 2013
 
Fazit: Deutsch als Fremdsprache-Unterricht für Ingenieur/-innen sollte neben dem sicher notwendigen Unterricht in der Fachwissenschaftssprache auch Unterricht mit Methoden des Theaters, der Poesie oder Musik umfassen, in dem die Teilnehmenden ganzheitlich angesprochen und gefördert werden.
 

Quellen

Stöver-Blahak, Anke (2012), Sprechen und Vortragen Lernen im Fremdsprachenunterricht, Frankfurt, Peter Lang
Was ist ein Ingenieur? (Zugriff:03.03.2016)
Fachsprachenzentrum mit Beispielvideos 
Fachsprachenzentrum: Anke Stöver-Blahak

 

Über die autorin

Anke Stöver-Blahak Foto: Privat, Anke Stoever-Blahak Anke Stöver-Blahak war nach dem Zweiten Staatsexamen ein Jahr Lektorin in China. Seit 1989 arbeitet sie im Bereich Deutsch als Fremdsprache an der Leibniz Universität Hannover.

Sie war im Vorstand des Fachverbands für Deutsch als Fremdsprache und ist zurzeit Koordinatorin des Sprachbereichs Deutsch am Fachsprachenzentrum in Hannover.

Seit 2012 ist sie promoviert mit einer Arbeit zum Sprechen und Vortragen Lernen im Fremdsprachenunterricht.