Dagmar Osterloh
Fächerübergreifender Unterricht und Projekte mit CLIL

Thematische Schülerrallye zum Ersten Weltkrieg
© Goethe-Institut Paris

Der bessere bzw. nachhaltigere Weg zur Wissensaneignung?

Wer träumte nicht davon, dass neues Wissen lustvoll und wie von selbst – quasi per Knopfdruck – gelernt und abrufbar wäre?

Eventuell waren die ersten Lebensjahre so etwas wie das Schlaraffenland der Wissensaneignung. Doch kaum aus den Kinderjahren entwachsen, in denen alles Unbekannte erkrabbelt, erkundet und die Verständigung darüber mit Gesten und gebrabbelten Wörtern glückte, klappte für die meisten das spätere Lernen, insbesondere das formale schulische Lernen, nur selten „wie von Zauberhand“.

Psychologen, Neurobiologen und Lerntheoretiker gingen und gehen der Frage nach, welche Faktoren für ein solch „geniales Lernen“ verantwortlich sind und wie dieses im Schulkontext initiiert und umgesetzt werden kann, so dass junge Menschen in die Lage versetzt werden, Lösungen für aktuelle und zukünftige Herausforderungen in ihrer Komplexität und Interdependenz zu erarbeiten.

Erfolgreiches Lernen in der Schule – aber wie?

Leider gibt es bislang dafür kein magisches Patentrezept, doch verschiedene theoretische Ansätze und Beobachtungen aus der Praxis zeigen, welche Elemente für erfolgreiches Lernen bestimmend sind. So fand die Motivationsforschung heraus, dass Selbsttätigkeit, Sinnhaftigkeit, soziale Einbettung und Kompetenzerfahrung das Interesse am Lernen fördern. Und diese vier stehen im Zentrum von CLIL und fächerübergreifendem Projekt-Unterricht; sie sind sozusagen die pädagogisch-didaktische Leitlinie.

Mehrwert durch den fächerübergreifenden deutschsprachigen CLIL-Unterricht

Deutschsprachiger, fächerübergreifender CLIL-Unterricht oder auch fächerübergreifende CLIL-Projekte ermöglichen Lernenden zugleich sinnvolles und aktives Beschäftigen mit Fachinhalten und Sprachhandeln in der Ziel – wie auch in der Muttersprache. Ein harmonischer Dreiklang aus Kooperation, Fachwissen und Sprachlernen, der die Leistungen im Rahmen des Konzepts des lebenslangen Lernens nachhaltiger fördert. Dies konnte eindrucksvoll durch die inhaltlich wie sprachlich qualitativ über den Durchschnitt liegenden Schülerprodukte wie auch durch die begeisternden Rückmeldungen der Lehrer, die an den vom Goethe-Institut Paris durchgeführten landesweiten, fächerübergreifenden CLIL-Schulprojekten teilgenommen hatten, bestätigt werden.

Alles ist denk- und machbar: Deutsch plus Geschichte, Bio, oder Kunst … oder auch Geschichts-, Bio-, und Matheunterricht auf Deutsch

Zu den unterschiedlichsten Themen wie Wasser, Mathematik, Erster Weltkrieg oder auch Stadterkundung arbeiteten jeweils zwei bis fünf Fachlehrer (Physik-, Geschichts-, Musik-, Mathematik-, Bio-, Kunst-, Erdkunde-, Englisch-, Elektro- oder auch Philosophielehrer) mit den Deutschlehrkräften und ihren Schülern und Schülerinnen inhalts- und sprachorientiert über einen begrenzten Zeitraum zusammen, um ein Thema in seiner Komplexität aus verschiedenen Perspektiven zu durchdringen und kreativ umzusetzen.

Kritik am heutigen Modell des Fachunterrichts

Doch bis heute dominiert in der Schule die starke Ausdifferenzierung der Wissenschaften bei der Entwicklung des Fächerkanons, die wiederspiegeln, wie sich die Wissenschaften im Laufe der Jahrhunderte immer weiter auffächerten und spezialisierten: zunächst in die Bereiche der Geistes-, Natur-und Gesellschaftswissenschaften, dann in einzelne Schulfächer wie zum Beispiel Physik, Biologie und Chemie und diese dann wiederum in „Unterfächer“ wie zum Beispiel in Genetik, Biochemie oder Ökologie im Fach Biologie. So wird aktuell Wissen fast durchweg durch das jeweilige Fach beziehungsweise Sachfach vermittelt; man lernt Geometrie im Mathematik-, Entkolonialisierung im Geschichts- oder Konjugationsregeln im Deutschunterricht.

Abschlussfoto Erinnerungsprojekt

Digitaler Fortschritt und Lebenswelt der Schüler

Es scheint so, dass diese Form von Unterrichtsorganisation zu unserer sich rasant wandelnden Gesellschaft nicht mehr passt. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass digitale Medien einen so schnellen Zugang und Zuwachs an Wissen, immer und überall abrufbar, ermöglichen würden und dass Kinder und Jugendliche sich mit einer immer größer werdenden Informationsflut auseinanderzusetzen haben und sich wahrscheinlich zu Prosumenten weiterentwickeln, die Inhalte im Internet konsumieren, aber auch selber herstellen?

Die Lebenswelt der Schüler ist viel komplexer und kaum vorhersehbar geworden. Auch die Arbeitswelt hat sich durch Globalisierungsprozesse stark verändert und erfordert zukünftig neue berufliche Skills, wie unter anderem Eigenständigkeit und Teamfähigkeit.

Neue Anforderungen an schulische Bildung

Deshalb arbeiten moderne Wissenschaften schon häufig interdisziplinär zusammen, um gemeinsam Lösungen zu finden; hingegen sucht man im Fächerkanon der Schule inhaltliche Verknüpfungen meistens vergeblich. Komplexe Probleme werden normalerweise auf die Sichtweise des eigenen Faches reduziert und führen nicht selten zum bemängelten „Schubladendenken“ oder zum kritisierten „Fachidiotentum“. Nicht alle relevanten neuen Sachverhalte werden durch das aktuelle Fächerangebot abgedeckt; man denke nur an diverse Themen aus Recht, Medizin oder dem Web 02. Und querschnittsorientierte Aufgaben wie zum Beispiel Friedens- oder Umwelterziehung können erst gar nicht im Rahmen eines Faches abgedeckt werden!

So verwundert es nicht, dass die aktuelle Unterrichtsorganisation nach Fächern zunehmend von Wissenschaft und Forschung kritisiert wird. Neue Anforderungen stellt auch die Politik an schulische Bildung und diese heißen „Kompetenzorientierung“, „Orientierungswissen“ und „Vermittlung von Schlüsselqualifikationen“ als Basis für lebenslanges Lernen.

Ein Schlüssel zum Lernerfolg: Das Konzept des Mehrdimensionalen Lernens

Und eines der wichtigsten Bildungsanliegen überhaupt ist es, den jungen Menschen Verständnis für und im Umgang mit komplexen Problemen zu vermitteln. Das anzueignende Wissen sollte, um nachhaltig gelernt werden zu können, in möglichst vielfältigen Kontexten erarbeitet und erprobt werden: zu verschiedenen Zeiten, in veränderten Kontexten, unter veränderter Zielsetzung und aus unterschiedlichen konzeptuellen Perspektiven, so die Erkenntnisse aus der Lehr- und Lernforschung für den Schulunterricht. In den 1970er Jahren führte daher der Didaktiker Siegbert A. Warwitz das Mehrdimensionales Lernen als Lehr- und Lernformat ein, das Struktur und Anspruch des Lernstoffes sowie die individuellen und realen schulischen Gegebenheiten berücksichtigt, weil der weitestgehend einseitig ausgerichtete Fachunterricht, ob theoretisch oder praktisch, zu keinem befriedigenden Unterrichtsergebnis geführt habe und in punkto Lernerfolg und Motivation wenig effizient sei [1].

Ist ein „gymnasial verschultes und verkopftes Menschenbild“ als Leitmodell für Schule heute  noch aktuell?

Noch deutlicher drückte dies der emeritierte Professor für Pädagogik Andreas Flitner 1987 aus, als er schrieb, dass in Schule „(…) alles zu 'Unterricht' und zum Buchwissen [gerate], was doch Erfahrung, Deutung des Lebens oder Ausübung praktischen Könnens sein sollte.“ [2] Es dominiere „ein gymnasial verschultes und verkopftes Menschenbild“ und Schüler würden Erfahrungen tendenziell nur aus zweiter und dritter Hand machen, was nicht ihrer Lernmotivation entspräche. Durch die zeitliche Ausdehnung der Schulzeit könnten Kinder und Jugendliche sich nicht mehr wie früher durch handelndes Tun mit und in ihrem Lebensumfeld auseinandersetzen und Schule ermögliche so nicht die hiermit verknüpften kognitiven, emotionalen und sozialen Lernprozesse.

Das Resultat: Das Schülerinteresse wird durch einen an Fachsystematik orientiertem Unterricht gebremst; und selbst das oft umfangreiche Sachwissen, das Schüler haben, können sie häufig in Situationen, zu deren Bewältigung dieses Wissen notwendig wäre, nicht konstruktiv anwenden, weil es nur als „träges Wissen“ vorhanden ist. Wer kennt nicht die Situation, dass das für eine Prüfung erlernte Vokabular in einer späteren konkreten Kommunikationssituation nicht mehr abrufbar war.

Definition fächerübergreifendem Unterricht nach Peterssen

Eine wirksame Abhilfe bietet der fächerübergreifende (CLIL)-Unterricht. Der renommierte Schulpädagoge Wilhelm Peterßen definierte ihn wie folgt: „Der fächerverbindende Unterricht hebt den Fachunterricht zeitweise in der Art auf, dass er dessen Vorteile zu bewahren, dessen Nachteile zu überwinden trachtet. Er ist als themenzentrierter integrativer Unterricht angelegt, an dem mehrere Fächer gleichwertig beteiligt sind.“ [3] Der fächerübergreifende Unterricht ist also zum einen eine Organisationsform von Unterricht und zum anderen ein Konzept für den Unterricht.

1995 erstellte Prof. Dr. Ludwig Huber eine Systematisierung von existierenden Abstufungen und Formen des fächerübergreifenden Unterrichts, beginnend damit, dass zunächst ein einzelner Lehrer versucht, in seinem eigenen Fachunterricht sein Fachgebiet zu überschreiten und Inhalte anderer Fächer oder verwandte Bezüge mit einzubeziehen. Dann, in der darauffolgenden Stufe, arbeiten zwei oder mehrere Fächer in Bezug auf einen gemeinsamen thematischen Gegenstand zusammen und beziehen sich, wo dies angebracht erscheint, wechselseitig auf das fachliche Wissen des anderen Faches, ohne dass diese Zusammenarbeit eine intensive Koordination benötigt.

Unterschiedliche Formen von fächerübergreifendem Unterricht gemäss Peterssen

Ein fächerkoordinierender beziehungsweise fächerverknüpfender Unterricht bedeutet, dass der Unterricht gemeinsam von zwei oder mehreren Fachlehrern geplant und untereinander zwischendurch koordiniert wird. Konkret heißt dies, dass Unterricht weiterhin noch nach Fächern mit seinen fachlichen Schwerpunkten erteilt wird, aber die kollegiale Kooperation unterschiedlich intensiv sein kann. Als noch intensivere Form der koordinierten Zusammenarbeit kennt man den  fächerergänzenden Unterricht, bei dem themenorientierte Kurse und Projekte parallel und zusätzlich zum eigentlichen Fachunterricht angeboten werden. Last but not least kann in Schulen für einen festgelegten Zeitraum der Fachunterricht ausgesetzt werden und es werden dafür zum Beispiel phasen- beziehungsweise epochenweise Projektwochen angeboten. Dieser fächeraussetzende Unterricht ist also zeitlich und arbeitsmäßig nicht durch einen parallel stattfindenden Fachunterricht belastet und außerschulische Lernorte lassen sich so leichter integrieren. [4]

Additives versus integratives Modell von fächerübergreifendem Unterricht

Fächerübergreifender Unterricht lässt sich aber auch anders differenzieren, nämlich nach ihrer Verfahrensweise, wie es 1997 der Didaktiker Walter Popp getan hat. Beim additiven Verfahren wird versucht, dasselbe Thema zum Beispiel in zwei oder mehreren Fächern fachspezifisch zu unterrichten – Stichwort: „Fächerspezialisierung“. Beim integrativen Verfahren geht es ums Erkunden, Reflektieren, Reproduzieren und Neustrukturieren ausgewählter Handlungsfelder – Stichwort: „Perspektivischer Unterricht“ – und um die aktive Tun bei der Bewältigung lebensweltbezogener Handlungsfelder und Phänomene, – Stichwort „Handlungsorientierter Unterricht“. Für ihn sollten Schüler nicht nur zu Spezialisten für das Fachliche ausgebildet werden, sondern die Schule solle Schüler genauso intensiv zur Spezialisierung auf Zusammenhänge qualifizieren. [5]

Hürden und Hindernisse bei der Einführung/Umsetzung von fächerübergreifendem CLIL-Unterricht

Manch Kritiker wird mit einer gewissen Berechtigung einwenden, dass verschiedene Aspekte die Umsetzung von fächerübergreifendem (CLIL-) Unterricht erschweren, wie unter anderem dass Lehrer an ihre fachlichen wie sprachlichen Grenzen stoßen, sie viel Zeit für die Vorbereitung, für Absprachen unter Kollegen brauchen und viele Lehrer sich immer noch als „Alleinkämpfer“ verstehen. Auch lasse die Fülle von vorgeschriebenen Lehrplaninhalten kaum zeitliche Spielräume für eine solche Zusammenarbeit, insbesondere dann, wenn Schulleiter nicht aufgeschlossen genug seien, um feststehende Organisationsprinzipien aufzubrechen.

Voraussetzungen für erfolgreichen fächerübergreifenden CLIL-Unterricht

Fächerübergreifender CLIL-Unterricht kann immer dann gelingen, „wenn er […] als themenzentrierter integrativer Unterricht angelegt [ist], an dem mehrere Fächer gleichwertig beteiligt sind. Zum Ausgangspunkt wird ein zentrales Thema; die Verbindung wird durch eine übergeordnete pädagogische Zielsetzung erreicht. Die beteiligten Fächer erbringen ihre Beiträge – als integrierende – zum übergeordneten Ziel und zum zentralen Thema auf ihre je fachspezifische Weise und in der gewohnten Solidität. Das Arrangement ist auf die Fächerverbindung und deren besondere Zielsetzung abzustimmen. Fächerverbindender Unterricht kann nur das Resultat von Absprachen und Vereinbarungen der beteiligten Fächer – beziehungsweise deren Lehrern – sein.“ [6] 

Fächerübergreifende Zusammenarbeit zwischen Sprach und Sachfachlehrer: gemeinsam erfolgreicher bei Vermittlung komplexer Themen

Zusammenfassend kann man sagen, dass der fächerübergreifende CLIL-Unterricht pädagogische Aspekte des ganzheitlichen Lernens, die aus der Reformpädagogik stammen, mit Ansätzen des problemorientierten Lernens, wie die des exemplarischen oder des imaginativen und szenischen Lernens oder auch des Lernens über das empirische Forschen miteinander verbindet. Mit entsprechenden Methoden und Strategien können Sachfach- und Fremdsprachenlehrer erfolgreich ein komplexes Thema multiperspektivisch vermitteln. Ein solcher Unterricht fördert auch das reflexive Lernen, weil unterschiedliche, interkulturelle Perspektiven und Zugänge zu verschiedenen Problemen kennengelernt und dadurch wissenschaftspropädeutisches Arbeiten vermittelt werden.

Einfach ausprobieren: ein Plädoyer für „eine Dosis“ fächerübergreifenden CLIL-Unterricht

Die fächerübergreifende Umsetzung kann vielfältig sein, als fächerübergreifender Unterricht, als transdisziplinäre Projekttage oder Projektwochen. Sicher ist, dass diese Form von Wissensvermittlung die Selbsttätigkeit, die Eigenverantwortung und das vernetzte Denken von Schülern fördert und ihre außerschulische Kommunikationsfähigkeit mit verschiedenen Partnern verstärkt.

Und wenn all die genannten Zutaten stimmen, dann scheinen Lust, Motivation und Leistungsbereitschaft von Schülern ohne Grenzen zu sein! Und Lernen kann dann doch „wie von Zauberhand“ gelingen.  
 

Literatur

[1] Vgl. Siegbert A. Warwitz, Vom Sinn des Spielens, Gütersloh 1970.
[2] Wie kann fächerübergreifendes Lernen unterrichtet werden? sowi-online
[3] Wilhelm Peterßen, Fächerverbindender Unterricht: Begriff – Konzept – Planung – Beispiele, Oldenburg 1997, S. 79.
[4] Vgl. Ludwig Huber, Fachübergreifender und fächerverbindender Unterricht in der gymnasialen Oberstufe, hrsg. v. Landesinstitut für Bildung Soest, 1997.
[5] Vgl. Duncker, Ludwig/Popp, Walter (Hrsg.): Über Fachgrenzen hinaus. Chancen und Schwierigkeiten des fächerübergreifenden Lehrens und Lernens. Heinsberg, 1997, S.149 f. 
[6] Wilhelm Peterßen, ebd., S.79.

Über die autorin

Dagmar Osterloh © Fotostudio Schloen Köln Basierend auf ihrer langjährigen Schulpraxiserfahrung als bilinguale Sachfachlehrerin in Geographie und Geschichte in Deutschland und Frankreich, engagiert sich Dagmar Osterloh seit nunmehr über 15 Jahren als Lehrerfortbildnerin für CLIL im Sekundarschulbereich.

Zunächst lag ihr Schwerpunkt primär in der Vermittlung von methodischem und didaktischem Know-How beziehungsweise Handwerkszeug für den bilingualen Sachfachunterricht, später dann – als Referentin in der Bildungskooperation Deutsch des Goethe-Instituts in Frankreich – zunehmend in der Konzeption und Durchführung von fächerübergreifenden Projekten. Dabei integrierte sie Kenntnisse aus ihrer journalistischen Zusatzausbildung und der Kreativitätsforschung.

Sie entwickelte ihre Kompetenzen dahingehend weiter, dass sie Sprach- und Fachlehrkräfte, insbesondere die der Naturwissenschaften, die häufig keine oder geringe Deutschkenntnisse mitbringen, dazu brachte, erfolgreich zusammen zu arbeiten.