Jugendformate
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kämpft um die Jugend

Für junge Nutzer wird das klassische TV-Programm immer unwichtiger – gerade die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF tun sich schwer, sie zu erreichen. Doch auf ihren Digitalsendern toben sich, fernab von Quotendruck und Format-Schablonen, die kreativsten und spannendsten Talente im deutschen Fernsehen aus.

„Wer schaut denn noch fern?“ „Wer schaut denn noch fern?“ | © stockphoto-graf - Fotolia.com Auf den ersten Blick haben die deutschen Fernsehanbieter wenig Grund zur Sorge: 219 Minuten sahen die Zuschauer in der Bundesrepublik 2013 durchschnittlich pro Tag fern, etwa eine halbe Stunde mehr als noch vor zehn Jahren. Doch nur noch zwei öffentlich-rechtliche Programme haben ein Publikum, das altersmäßig durchschnittlich unter 60 liegt: Der Kinderkanal (25 Jahre) und Phoenix (57 Jahre). Bereits 2008 kritisierte die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) – das Aufsichtsgremium der Rundfunkräte – dass die öffentlich-rechtlichen Sender die Jugend als Zielgruppe nahezu komplett verloren hätten.

Pro Sieben und RTL mit großem Abstand beliebteste Sender

Dabei spielt das Fernsehen bei Jugendlichen – trotz Smartphones und Tablets – noch immer eine überragende Rolle. 88 Prozent der 12- bis 19-Jährigen nutzen laut der Studie Jugend, Information, MultiMedia (JIM) 2013 des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest das Fernsehen und seine Inhalte mehrmals pro Woche. Es liegt damit auf gleichem Niveau wie das Internet (89 Prozent).Allerdings nannten etwa die Hälfte der 12- bis 19-Jährigen in einer repräsentativen Befragung Pro Sieben als ihren Lieblingssender. Es folgten mit RTL und RTL2 zwei weitere Privatsender. Deren Casting-Shows (Germanys next Topmodel) und Doku-Soaps (Berlin Tag und Nacht) hängen klassische Unterhaltungsformate der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wie Wetten, dass..? und Verbotene Liebe inzwischen locker ab. Nur zwei Prozent der Jugendlichen hatten einen öffentlich-rechtlichen Sender als Favoriten.

Innovativ und frisch – aber kaum Zuschauer

Den Öffentlich-Rechtlichen einen allzu laxen Kampf um jüngere Zuschauer vorzuwerfen, wäre auf den ersten Blick naheliegend – aber falsch. Denn gerade auf ihren jungen Digitalkanälen ZDFneo, ZDFkultur oder Einsplus starteten und laufen einige der innovativsten deutschen Formate der letzten Jahre. Das Programm von Einsplus wurde 2012 umgestellt, seither richtet es sich vor allem an ein jüngeres Publikum. Die Ex-Viva-Moderatorin Sarah Kuttner interviewt in ihrem Ausflug mit Kuttner Prominente an Orten ihrer Kindheit, das Reportageformat Klub Konkret beschäftigt sich mit politischen Themen und Philipp Walulis (Jahrgang 1980) parodiert in seiner Show Walulis sieht fern klug und präzise TV-Genres wie die Krimiserie Tatort.

All diese Formate werden von Kritikern hochgelobt, aber sie laufen praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das ZDF ist mit seinen digitalen Spartenkanälen ZDFinfo und ZDFneo im Vergleich zu anderen öffentlich-rechtlichen Angeboten am erfolgreichsten. Dennoch hatte ZDFneo im Jahr 2013 einen durchschnittlichen Marktanteil von nur 1,0 Prozent. Aber umgekehrt gedacht ist gerade dieses Senden „unter dem Radar“ eine große Chance: Ohne großen Erfolgsdruck können neue Talente im gut finanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen Experimente machen, egal wie abseitig sie auf den ersten Blick auch sein mögen.

Auf ZDFkultur erneuerten Charlotte Roche und Jan Böhmermann mit ihrer Sendung Roche & Böhmermann das fade Talkshow-Format. Sie rauchten, tranken und die Gäste wurden mit unverschämt frechen Einspielvideos vorgestellt. Inzwischen hat Böhmermann (Jahrgang 1981) eine eigene Show auf ZDFneo. Im Vorspann reitet er auf einem dreihörnigen Dinosaurier ein, in der Sendung thront er vor einer Art Raumschiff-Enterprise-Kulisse wie ein irrer Filmbösewicht. „Wenn man kontroverse, spannende und ungewöhnliche Sendungen machen möchte, bringen einem Hierarchien, alte Showkonzepte oder die beste Marktforschung nichts, solange der Mut fehlt“, sagte Böhmermann in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit.

Nische ja, Hauptprogramm: lieber nicht

Dieser Mut, kritisieren junge Fernsehmacher wie Böhmermann, fehlt den Öffentlich-Rechtlichen bei aller Experimentierfreude in den Spartensendern vor allem im Hauptprogramm. Was, so der Vorwurf, nutzt alles Lob, wenn ihnen die Verantwortlichen von ARD und ZDF die ganz große Bühne nicht zutrauen? Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt schafften mit ihrer anarchischen Late-Night-Show Neoparadise auf ZDFneo den Durchbruch, zwischenzeitlich waren sie sogar als Moderatoren für Wetten, dass..? im Gespräch. Als das ZDF Heufer-Umlauf und Winterscheidt vorerst keinen Sendeplatz im Hauptprogramm in Aussicht stellte, wechselten die beiden zu Pro Sieben.

Dabei zeigen Erfolgsgeschichten wie die preisgekrönte Heute-Show dass es sich auch im Hauptprogramm lohnen kann, im Kampf um junge Zuschauer etwas zu wagen: Die Satiresendung ist inzwischen am Freitagabend im ZDF etabliert. Sie hat im Schnitt 2,67 Millionen Zuschauer – und besonders bei der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen überdurchschnittlich hohe Marktanteile. Das ist auch daran erkennbar, dass manche Folgen der Heute-Show laut dem ZDF-Intendanten Thomas Bellut mehr als 500.000 Mediathek-Abrufe im Netz erreichen.

Immer wieder ist auch ein gemeinsamer Jugendkanal von ARD und ZDF im Gespräch: 45 Millionen Euro soll er pro Jahr kosten und ZDFkultur, Einsplus und Einsfestival ersetzen. Der englische Fernsehsender BBC gibt im Vergleich doppelt so viel für sein Jugendprogramm aus. Doch bislang konnten sich ARD und ZDF nicht einigen, der Plan liegt auf Eis. Und TV-Talente wie Böhmermann, die auf dem neuen Kanal einen Sendeplatz bekommen könnten, sind nicht einmal unbedingt dafür. Das Hauptargument: Mit einem ausgelagerten Jugendkanal hätten die Öffentlich-Rechtlichen eine Ausrede mehr, das junge Publikum nicht in ihren Hauptprogrammen vorkommen lassen zu müssen.