Wolfgang Tillmans in Kinshasa
Ein Bild der Zeit

Wolfgang Tillmans bei der Vernissage am 12. Januar 2018 im Musée d'Art Contemporain et Multimédias in Kinshasa
Wolfgang Tillmans bei der Vernissage am 12. Januar 2018 im Musée d'Art Contemporain et Multimédias in Kinshasa | Foto: CatherineTrautes

Erstmals ist eine Einzelausstellung von Wolfgang Tillmans auf dem afrikanischen Kontinent zu sehen: Am 12. Januar 2018 eröffnete sie unter dem Titel „Fragile“ im Beisein des Künstlers in Kinshasa. Im Interview mit Patrick Mudekereza spricht Tillmans über seine Eindrücke der ersten Station der ifa-Tourneeausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Kinshasa realisiert wird.

Herr Tillmans, Sie haben Ihre Arbeiten bereits in vielen Ländern der Welt gezeigt. Wofür steht nun diese Tournee in Afrika, besonders die Premierenstation Kinshasa?
 
Ich arbeite, um mit Menschen zu kommunizieren. Als Medium habe ich die Fotografie gewählt, weil ich durch sie besser sprechen kann als mit Worten. Fotografie reist einerseits gut; sie reist auf bedruckten Seiten, heute natürlich auch im Internet. Eine Ausstellung in einem Raum, in einer Galerie ist andererseits eine einzigartige Erfahrung. Auf diese Art kann ich in einem Museum eine ganzheitliche Erfahrung kreieren, dreidimensional und zeitlich begrenzt. Die Zeit, die ich mit der Installation verbringe, ist sehr intensiv und ich spüre jeden Quadratmeter der Galerie. Ich habe sieben Tage und Nächte im Museum in Kinshasa und in der Galerie an der Akademie verbracht. Jetzt bin ich dabei, Kinshasa zu verlassen, aber ich hoffe, dass der Geist der Ausstellung bleibt, dass man in die Ausstellung geht und meiner Art, die Ausstellung zu denken, folgen kann.
 

  • Gitte Zschoch, Leiterin des Goethe-Instituts Kinshasa, bei der Ausstellungseröffnung am Turm des Echangeur Foto: CatherineTrautes
    Gitte Zschoch, Leiterin des Goethe-Instituts Kinshasa, bei der Ausstellungseröffnung am Turm des Echangeur
  • In den Ausstellungsräumen des Musée d'Art Contemporain et Multimédias Foto: Catherine Trautes
    In den Ausstellungsräumen des Musée d'Art Contemporain et Multimédias
  • Die strahlenförmige Architektur bietet eine besondere Raumatmosphäre Foto: Catherine Trautes
    Die strahlenförmige Architektur bietet eine besondere Raumatmosphäre
  • In der Mitte des symmetrischen Raumes können die Besucher eine Video-Installation betreten, in der Tillmans eine totale Sonnenfinsternis zeigt Foto: Catherine Trautes
    In der Mitte des symmetrischen Raumes können die Besucher eine Video-Installation betreten, in der Tillmans eine totale Sonnenfinsternis zeigt
  • Wolfgang Tillmans im Gespräch mit Patrick Mudekereza, Leiter des Kunstzentrums WAZA in Lubumbashi Foto: Goethe-Institut Kinshasa
    Wolfgang Tillmans im Gespräch mit Patrick Mudekereza, Leiter des Kunstzentrums WAZA in Lubumbashi
  • Tillmans wählte die Werke in der Akademie als mögliche Anknüpfungspunkte für die Studierenden aus Foto: Michel Katompa
    Tillmans wählte die Werke in der Akademie als mögliche Anknüpfungspunkte für die Studierenden aus
  • In der Galerie der Kunstakademie in Kinshasa sind Tillmans’ Publikationen zu sehen Foto: Michel Katompa
    In der Galerie der Kunstakademie in Kinshasa sind Tillmans’ Publikationen zu sehen

Ich glaube, dass kultureller Austausch sehr wichtig ist. In Europa sehen wir viele Musiker und Künstlerinnen aus Afrika, aber ich habe den Eindruck, dass es nicht sehr viele ambitionierte Ausstellungen europäischer Künstler in Afrika gibt. Ich bin in den letzten Jahren in Nord- und Südamerika getourt, und bin dann darauf gekommen, dass ich gerne einen Kontinent besuchen würde, den ich überhaupt nicht kenne. Dieser Besuch ist also nicht nur dazu da, dass ich den Menschen etwas zeige, sondern auch, damit ich etwas über den Kongo erfahre und ihn besser kennenlerne. Ich habe hier auch Fotos gemacht, die hoffentlich in meine Arbeit eingehen werden und so einen Aspekt des Kongo repräsentieren werden.

Fotografie ist demokratisch

Die Ausstellung findet an zwei Orten statt, im Museum für Zeitgenössische Kunst und Multimedia sowie an der Kunstakademie. Dazu gibt es überall in der Stadt Poster und große Werbeflächen mit Ihren Bildern, außerdem wird die Ausstellung von einer Publikation begleitet. Ist die Fotografie für Sie etwas, das Sie mit den Menschen, die nie in Ausstellungen gehen, teilen wollen?

Die Fotografie hat die Eigenschaft, in verschiedenen Medien gut reproduzierbar zu sein. Ich selbst habe Fotos gerne auch in Magazinen oder auf Album-Covern gefunden, nicht nur in Räumen, in denen Kunst ausgestellt wird. Die Fotografie ist daher demokratisch, was ihr sehr viel Macht verleiht. Daher kann der Katalog, können die Poster und die großen Billboards von Menschen wahrgenommen werden, die sich nicht aktiv dafür entschieden haben, ins Museum zu gehen. Vielleicht findet jemand, der sich nicht für Kunst interessiert, die Publikation bei jemanden zu Hause. Die Verbreitung meiner Arbeiten ist ein wichtiger Aspekt meines Schaffens.

Im Gespräch mit den Studierenden der Akademie haben Sie gesagt, dass man jede Wand, jeden Leerraum im Museum wie einen Teil der Ausstellung verstehen soll. Was ist Ihr Verhältnis zu Oberfläche und Architektur?
 
Für mich ist die Fotografie ein dreidimensionales Medium. Ich denke alles dreidimensional und übersetze dies ins Zweidimensionale. Man denkt häufig nicht über diese Übersetzung nach, aber für mich ist sie zentral, denn ich schaue mit meinen Augen. Derer habe ich zwei, weswegen ich räumlich sehen kann. Ich zeige in meinen Fotos skulpturale Situationen. Es gibt zum Beispiel eine große Arbeit von einem Unkraut, eine unheimlich panoramamäßige Arbeit, die man mit den Augen im Raum bereisen kann, wenn man vor ihr steht. Die Arbeit habe ich auf einer freistehenden Wand installiert, und sofort hat man die Illusion dieses Objektes im dreidimensionalen Raum des Museums. Das Museum am Echangeur hat eine spektakuläre Architektur. Der Raum ist rund, mit Wänden, die sich von der Mitte strahlenförmig wegbewegen. Es gibt viele Perspektiven zu entdecken. Im Zentrum habe ich eine Videoinstallation platziert, sie zeigt eine totale Sonnenfinsternis. Es macht Spaß, jede Ecke dieser Architektur zu nutzen, die aus den 70er-Jahren stammt. Das Goethe-Institut hat die Renovierung des Raumes unterstützt, mit neuen Neonleuchten und zusätzlichen Wänden. Ich freue mich, dass die Räume transformiert wurden und zu neuem Ruhm kommen. Ich hoffe, dass der neue Raum Leben in die Kulturszene Kinshasas bringt, die sehr aktiv ist.
 
In der Ausstellung hat man manchmal das Gefühl, auf Schnitzeljagd zu sein, denn es gibt einige Fotos, die versteckt oder ganz weit oben an der Wand oder den Säulen angebracht sind. Welchen Ratschlag können Sie Besucherinnen und Besuchern geben, die ins Museum kommen?
 
Es gibt nicht nur einen Weg, in die Ausstellung zu gehen, sie ist nicht linear, sondern räumlich. Man kann schnell durchgehen und langsam wieder herausgehen. Die Besucherinnen und Besucher sollen sich nicht fragen, was der Künstler sagen möchte. Es gibt keinen Schlüssel, aber ich möchte gerne dazu ermutigen, die eigenen Augen ohne Vorurteil zu benutzen und ohne einen Sinn für Wichtigkeit, dass zum Beispiel die großen Arbeiten die wichtigsten und die kleinen Arbeiten weniger wichtig sind.

„Es ist wichtiger, sich zu fragen, was nicht repräsentiert ist, was fehlt.“

An der Akademie findet gerade eine mehrteilige Fotografieausbildung statt, durchgeführt von EUNIC-RDC und unterstützt von der Delegation der Europäischen Union. Wenn junge Fotografen Sie bitten, ihnen in wenigen Worten Ratschläge zu geben, was würden Sie ihnen sagen?
 
Junge Künstlerinnen und Künstler denken immer, das wichtigste sei ihr Verlangen, sich auszudrücken. Ich sage dann, dass alle sich ausdrücken wollen, aber dass das an sich nicht interessant ist, denn das Bedürfnis danach ist universell. Es ist wichtiger, sich zu fragen, was nicht repräsentiert ist, was fehlt. Die Welt heute ist so interessant, mit wichtigen und dringenden Anliegen, sie hat sich sehr schnell gewandelt. Es ist daher eine gute Zeit, etwas zu finden, was auf neue Weise gesagt werden muss. Ich bin mir bewusst, dass die wirtschaftliche Situation der Künstlerinnen im Kongo nicht gut ist und es nicht einfach ist, als Künstler zu überleben. Aber der Erfolg in der Kunst hängt nie vom Wert der Materialien ab. Seit meiner Jugend habe ich den Dadaisten Kurt Schwitters geschätzt. Er hat revolutionäre Collagen mit alten Zeitungen gemacht.
 
Eine Frage, die in den bisherigen Interviews und Veranstaltungen mehrmals gestellt wurde, ist die nach den Orten oder Bildern, die Sie in Kinshasa am meisten beeindruckt haben.
 
Ich bin ein Stadtbürger. Ich habe immer die Stadt geliebt. Die Akkumulation von Millionen und Millionen von Entscheidungen, Designs … jedes Haus ist Zeuge des Wunsches der Person, die es gebaut hat. In Städten, in Kinshasa wie in allen anderen Städten auch, gibt es einen unendlichen Prozess, Schicht über Schicht zu legen – layering –, ein immerwährender Prozess der Neuerfindung. In einer kleinen Bar in Bon Marché zum Beispiel habe ich die Oberfläche der Wände und des Bodens in einer Toilette gefunden, es war ein Kontrast verschiedener Materialien und Farben, vielleicht von mehreren Generationen. Ein Farbspiel und gleichzeitig ein Bild der Zeit. Und ich war in Kinshasa sehr beeindruckt vom Streetstyle der Leute, davon, wie die Menschen sich kleiden. Sehr originell und mit sehr interessanten Kombinationen, das hat mich sehr inspiriert.
 
Und was hat es mit dem Müll in den Fotos auf sich, die Sie beim Künstlergespräch an der Akademie gezeigt haben?
 
Eine Sache, die ich an anderen Orten, in anderen Städten gesehen habe und die mich hier sehr erstaunt hat, ist, wie die Grenze von Abfall und wertvollen Materialien interpretiert wird – sie ist sehr diffus. Etwas, was gerade verkauft wird, kann im nächsten Moment schon Müll werden. Und weil der Müll hier nicht eingesammelt, sondern auf der Straße zusammengepresst wird, entstehen interessante Formen. Ich weiß, dass es für Europäer eine Gefahr ist, Armut in Afrika zu ästhetisieren. Ich will nicht sagen, dass aller Abfall in den Straßen schön ist, nein, ganz und gar nicht, denn in meinen Fotos geht es nicht immer um schöne Dinge. Ich denke, die Materialität der Welt ist ein sich ständig fortsetzender Prozess der Dinge, die um mich herum sind.
 
 
Das Interview wurde auf Französisch geführt. Für die Veröffentlichung auf goethe.de wurde es gekürzt.