Das Goethe: Ausgabe 1/2018
Ich verstehe Dich!

Sprachkurse im Internet boomen.
Sprachkurse im Internet boomen. | Illustration: Annelisa Leinbach

​Am 15. März erscheint die fünfte Ausgabe von „das goethe“. Sie widmet sich dem Thema Sprache, dem Sprachenlernen und der Mehrsprachigkeit – in Südafrika, Estland und China. Außerdem fragen wir, ob es mithilfe von Computern jemals gelingen wird, den Traum von der universellen Verständigung aller Menschen zu verwirklichen. Alexander Görlach hat dafür mit dem französischen Linguisten Thierry Poibeau gesprochen.

Alexander Görlach: Kürzlich erschien Ihr Buch „Machine Translation“: Was fasziniert Sie an dieser Verbindung zwischen Mensch und Maschine?
 
Thierry Poibeau: Einerseits lernen wir im Kindesalter mühelos unsere Muttersprache. Andererseits ist die Analyse einer Sprache mithilfe von Computerprogrammen noch immer überaus schwierig. Wir wissen noch zu wenig über die Komplexität der Sprache.

Thierry Poibeau, Leiter des Laboratoire Lattice in Paris Thierry Poibeau, Leiter des Laboratoire Lattice in Paris | Foto: Taavi Sepp

Sprache ist viel zu komplex

Was wissen wir denn nicht über Sprachen?
 
Vieles, sehr vieles! Es gibt zum Beispiel eine hitzige Debatte darüber, ob es ein allen Sprachen zugrunde liegendes System gibt. Auch wissen wir nicht viel darüber, wie Kinder eine Sprache erlernen. Manche Forscher sagen, dass sie viel zu komplex ist, um sie allein durch das Hören aufzunehmen. Die Vertreter dieses „Poverty-of-the-Stimlus“-Arguments gehen davon aus, dass es im Gehirn dafür spezialisierte Areale gibt. Doch dieses „Language-Acquisition-Device“-Modell ist auch höchst spekulativ und umstritten.
 
Sprache ist auch geprägt von kulturellen Zusammenhängen. Tabus sind ein gutes Beispiel dafür. Sind solche Befindlichkeiten technologisch umsetzbar?

 
Maschinen wissen nicht, wenn sie jemanden beleidigen oder in Verlegenheit bringen. Es gibt in diesen Systemen keine kulturelle Adaption – und ich glaube auch nicht, dass Übersetzungssysteme entsprechend programmiert werden sollten. Übersetzungsprogramme sollten übersetzen, mehr nicht.
 
Für das Verständnis von Grammatiken, Doppelbedeutungen und Sinnzusammenhängen müssen Computer große Textmengen analysieren. Dennoch bleibt das Problem, dass die Bedeutung von Wörtern je nach Kontext ganz unterschiedlich sein kann. Wird sich das jemals lösen lassen?
 
Für sich genommen sind viele Wörter von teils ziemlich unterschiedlicher Bedeutung. Im Kontext ist diese Vielfalt aber weit geringer. Deshalb benötigen solche Programme auch eine möglichst große und breite Datenbasis. Auf diese Weise können sie Regeln lernen und die Bedeutungen eines Wortes in unterschiedlichen Kontexten erkennen. Aber Sie stellen natürlich die richtige Frage – letztlich wird die Datenbasis dafür immer zu klein sein. Aus diesem Grund wollen wir Programme entwickeln, die mit möglichst geringen Datenmengen zuverlässig arbeiten.

Wie Menschen in aller Welt Sprachen lernen und warum Computer beim Übersetzen noch immer scheitern Wie Menschen in aller Welt Sprachen lernen und warum Computer beim Übersetzen noch immer scheitern | Illustration: Petya Zapryanova

Sprache ist aber auch etwas sehr Simples

Werden Maschinen überhaupt mit der Entwicklung der Sprache Schritt halten können? Schließlich erfinden wir ja ständig neue Wörter.
 
Sprach-Kreativität und Kreativität im Allgemeinen sind sehr faszinierend, besonders, wenn es um Computer geht. Aber die Herausforderung, der wir bei der maschinellen Übersetzung gegenüberstehen, hat erst einmal nichts mit Kreativität zu tun. Die Herausforderung ist vielmehr, die Programme mit all den neuen Wörtern zu füttern, sobald sie in der Welt sind. Denn sonst wird es verständlicherweise schwierig, sinnvoll zu übersetzen.
 
Ist unsere Art zu sprechen genial?
 
Genau das wissen wir nicht. Einerseits ist Sprache ja etwas sehr Simples – fast jeder Mensch spricht ja wenigstens eine. Wenn es hingegen darum geht, die regelhaften Strukturen dahinter zu entdecken, wird es sehr schwierig. Auch das zeigt, dass wir über das Wesen der Sprache noch viel zu wenig wissen.
 
Bisher gilt Kreativität als urmenschliche Eigenschaft.
 
Gewiss. In vielen Fällen würden Sie aber kaum entscheiden können, ob ein Mensch oder eine Maschine dahintersteckt. Ich kenne da eindrucksvolle Beispiele – aus der Musikwelt etwa. Und bedenken Sie: Auch wir Menschen erlernen unsere kreativen Fähigkeiten durch Nachmachen und Kopieren.
 
Gekürzte Fassung