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Karin Krog
„Ich glaube an die länder­übergreifende Zusammenarbeit“

Karin Krog im Gespräch
„Ich glaube an die länderübergreifenden Zusammenarbeit“: Karin Krog im Gespräch. | Collage (Detail): © privat/TEMPUS CORPORATE

Karin Krog (* 1937) gehört zu den weltweit herausragenden Jazzsängerinnen. Nach ihrem Plattendebüt 1964 trat sie Mitte der 1960er-Jahre bei vielen Festivals in Europa auf und tourte durch die USA und Japan. Sie veröffentlichte mehr als 30 Platten. Das Interview führte die norwegische Journalistin und Literaturkritikerin Erle Marie Sørheim.

Sørheim: Als Sie ein Kind waren, tobte in Europa der Zweite Weltkrieg. Haben Sie Erinnerungen an diese Zeit?

Krog: Ich erinnere mich vage an den 9. April 1940, den Tag des Einmarsches der Deutschen in Norwegen. Ab da warnten immer wieder Sirenen vor Luftangriffen, manchmal auch nachts. Dann mussten wir im Halbschlaf in den Keller gehen, wo es kalt und ungemütlich war.

Sørheim: Das muss für ein Kind eine schreckliche Erfahrung sein.

Krog: Nein, ich hatte keine große Angst. Ich hatte aber auch großes Glück: Als einmal in unmittelbarer Nähe eine Bombe einschlug, habe ich das schlicht verschlafen.

Sørheim: Wie erlebten Sie das Kriegsende?

Krog: Ich erinnere mich an den Tag der Befreiung. Leider ließ meine Mutter uns nicht in die Stadt, um die Ankunft des Königs zu sehen [aus dem Exil in Großbritannien]. Sie hatte Sorge, dass uns etwas passiert.

Sørheim: Können Sie die Atmosphäre im Land beschreiben?

Krog: Viele Menschen waren verbittert – und es herrschte durchaus eine Abneigung gegenüber den Deutschen. Aber ich erinnere mich auch, dass meine Mutter immer rechtfertigend sagte: „Wissen Sie, es waren eben schwierige Zeiten in Deutschland.“ Schließlich hatte mein Vater dort studiert. Wenn man Hans Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ liest, versteht man, warum auch in Deutschland die meisten Menschen nicht viel über das Geschehen im Land wussten.

Sørheim: Ihr Vater lebte Anfang der 1930er-Jahre in Deutschland. Hat er mit Ihnen über diese Zeit gesprochen?

Krog: Ja, sowohl er als auch mein Onkel erzählten von der brodelnden Unruhe im Land. Sie waren Zeugen des Aufstiegs der Nationalsozialisten.

Sørheim: Wie kamen Sie zum Jazz?

Krog: Mein Vater hatte Schlagzeug gespielt, bevor er nach Deutschland zog – in einer Dixieland-Band in Oslo.

Sørheim: Und wann bemerkten Sie Ihr Talent für den Gesang?

Krog: Ich weiß es gar nicht genau. Meine Großmutter mütterlicherseits war aber Sängerin. Sie studierte in Dresden, ihr Vater war Komponist und spielte Violine.

Sørheim: Wussten Sie von Anfang an, welche musikalische Richtung Sie einschlagen?

Krog: Ja, ich hörte Billie Holiday und wusste, dass ich ihr einfach zuhören und von ihr lernen musste.

Sørheim: Wie alt waren Sie da?

Krog: 20.

Sørheim: Wann entschieden Sie sich für die Karriere als professionelle Musikerin?

Krog: Ein paar Jahre später, das muss Anfang der 1960er-Jahre gewesen sein. Ich hatte mein erstes Album herausgebracht, das in Amerika gut ankam und von der Zeitschrift „Downbeat“ mit 3,5 von 5 Sternen bewertet wurde.

Sørheim: Was bedeutete das?

Krog: Die Sterne in dem renommierten Magazin waren ein guter Start. Es folgte eine Einladung nach Schweden – zusammen mit einigen anderen Künstlern, die sehr moderne Musik machten. Das war eine spannende Zeit. Bald traten Jan Garbarek und ich bei Festivals in Prag und Warschau auf: er mit seinem Tenorsaxofon, ich, die Sängerin, und ein schwedischer Bassist, mit dem ich zusammenarbeitete. Viele haben diese Zusammensetzung nicht verstanden und meinten immer, dass ein Klavierspieler fehle. Aber ich sagte: „Nein, nur wir drei!“ Das war neu.

Sørheim: Wann verließen Sie Skandinavien zum ersten Mal?

Krog: Als ich ungefähr 30 Jahre alt war. Der Norddeutsche Rundfunk hatte mich in seine Sendereihe „Jazzworkshop" eingeladen.

Sørheim: Wie war das für Sie, so kurz nach dem Krieg?

Krog: Es war großartig. Die Leute beim NDR waren Profis und hatten eine tolle Ausrüstung.

Sørheim: Wann wurden Sie zu einer Profimusikerin?

Krog: Das war Ende der 1970er-Jahre, als John [John Surman, Krogs Ehemann und britischer Jazzmusiker], ich und einige andere Kollegen in „Downbeat" einen ersten Preis gewannen und uns zu einer Gruppe formierten.

Sørheim: Hatten Sie all das erwartet, als Sie 20 waren?

Krog: Nein, davon hätte ich nicht einmal geträumt. Aber dann nahm ich in Berlin ein Album auf und trat im Rahmen der Berliner Jazztage auf. Das war fantastisch.

Sørheim: Waren Sie auch im Osten der Stadt?

Krog: Ja, wir haben auch Ost-Berlin besucht.

Sørheim: Erinnern Sie sich, ob Sie sich glücklich gefühlt haben über all die Freiheiten, die Sie hatten?

Krog: Ja, absolut. Die Menschen wollten ja die Welt sehen – und konnten es nicht. Ein guter Freund aus dem Osten wollte uns besuchen kommen, doch er durfte nicht. Als die Mauer 1989 fiel, war ich in Ungarn. Also verfolgte ich die Ereignisse von dort aus, von der anderen Seite.

Sørheim: Was empfanden Sie damals?

Krog: Es war so spannend. Wir wussten ja überhaupt nicht, was passiert. Würde Russland jetzt angreifen? Als Gorbatschow im Jahr darauf den Friedensnobelpreis erhielt, waren wir zum ersten Mal auch in Moskau. Dort wurden wir von einem älteren Mann betreut, der uns in der Universität unterbrachte. Das sei der sicherste Ort, sagte er. Denn 1990 war die Kriminalität in der Stadt ein Riesenproblem. Wir spielten dann im Zentralen Haus der Künstler – es war einfach großartig!

Sørheim: Hatten Sie das Gefühl, dass die 1990er-Jahre politisch sehr optimistisch waren?

Krog: Ja, ich glaube, das waren sie. Es war ja beeindruckend, wie die Deutschen die Wiedervereinigung geschafft haben.

Sørheim: Wie war es, in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren in Europa zu reisen? Mit all den Grenzen und den verschiedenen Währungen?

Krog: Ich erinnere mich eigentlich nicht an größere Probleme – abgesehen von Polen, wo man sein Geld in Złoty tauschen musste, später aber nicht wieder zurücktauschen konnte.

Sørheim: Heute wird die Europäische Union von den meisten Norweger*innen überaus skeptisch gesehen. Wie kommt das?

Krog: Ich denke, dass gerade die Fischer und Landwirte um sich und ihr Eigentum fürchten. Und das müssen sie natürlich auch, denn dies sind zerfallende Berufsfelder. Es wurde allerdings geradezu als Hochverrat betrachtet, wenn man für einen Beitritt in die EU stimmte.

Sørheim: Wie sollten Norwegen und Europa weitermachen? Glauben Sie an eine positive Entwicklung, vielleicht in den nächsten 50 Jahren? Was werden die größten Herausforderungen sein?

Krog: Nun ja, da ist Russland. Im Grunde unsere ganze nördliche Hemisphäre. Wenn sie die Finnmark haben wollen, warum haben sie die sich nicht schon 1945 genommen?

Sørheim: Vielleicht hatten sie nicht genügend Soldaten.

Krog: Nun ja, sie hätten sie im Grund einnehmen können, wann immer sie gewollt hätten. Und dann ist da Skandinavien, wo wir die Nation sind, die in der NATO ist, nicht jedoch Schweden. Wir sollten gemeinsam in der NATO sein, wir sind schutzlos.

Sørheim: Gibt es politische Ereignisse, die Ihnen mehr bedeutet haben? Etwas, das Ihnen am Herzen lag?

Krog: Ich halte kulturellen und – musikalischen – Austausch zwischen allen europäischen Ländern für sehr wichtig. Man kann die EU kritisieren wie man möchte, aber dieser Aspekt war der Grund, aus dem ich für den Beitritt Norwegens in die EU gestimmt habe. Ich halte europäische Zusammenarbeit für wichtig.

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