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Russland
Digitaler Druck

Die Meinungsfreiheit wird in Russland immer mehr eingeschränkt. Zugleich gibt es vor allem online eine vielfältige Szene unabhängiger Medien – aber auch neue, restriktive Gesetze.

Von Tamina Kutscher

Sie recherchieren und berichten über die Identität der Attentäter auf den Ex-Agenten Sergej Skripal oder über Korruption auf höchster Staatsebene – unabhängige Medien in Russland. Sie bieten einer kritischen Öffentlichkeit wertvolle Informationen und hochwertigen Journalismus anstelle staatlicher Propaganda. Auch wenn diese Szene gerade im Verhältnis zum Staatsfernsehen, das 98 Prozent aller Haushalte erreicht, klein ist, ist sie doch sehr vielfältig.
 
Grob kann man die nicht-staatlichen Medien des Landes in drei Gruppen gliedern: Einmal sind es jene, die sich inhaltlich kaum von denen in Staatshand unterscheiden. Dann gibt es solche wie den Radiosender Echo Moskwy, der weitgehend unabhängig berichtet – obwohl der Mehrheitseigentümer die staatsnahe Gazprom-Media Holding ist. Nicht zuletzt ist da eine Szene unabhängiger Medien. Sie ist bunt, kritisch – und vor allem online vertreten.
 
Etablierte Medien haben neben der Print- auch eine Onlineausgabe, etwa die 1993 gegründete kritische und investigative Novaya Gazeta. Viele unabhängige Medien jedoch entstanden gleich online, zum Beispiel Batenka. Auch das feuilletonistische Colta.ru, für das vor allem Kulturschaffende schreiben und das sich zunächst über Crowdfunding finanzierte, gibt es von Beginn an nur im Netz. Dort finden sich außerdem auch regionale Medien mit überregionaler Ausstrahlung: wie 7 x 7 in der Republik Komi oder Znak aus Jekaterinburg. Hinzu kommen Portale von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), auf deren akribische Recherche sich viele Journalist*innen stützen – etwa die der OWD-Info nach den Verhaftungen bei den Moskauer Massenprotesten in diesem Jahr.
 
Die Reichweite dieser unabhängigen Medien ist jedoch relativ klein. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Lewada zufolge informieren sich gerade mal sechs Prozent der Bevölkerung regelmäßig in mehreren Medien, die auch kritische Beiträge bringen. „Leider sind die neuen Onlinekanäle längst nicht so einflussreich wie das Fernsehen“, berichtet Damir Gainutdinow. „Deswegen haben sie allerdings auch vergleichsweise viele Freiheiten.“
 
Gainutdinow ist einer von rund 50 Jurist*innen, die sich bei „Agora“ zusammengeschlossen haben. Die Menschenrechtsorganisation leistet juristischen Beistand, etwa wenn Seiten blockiert wurden, aber auch bei physischen Angriffen auf Aktivist*innen, Blogger*innen oder Journalist*innen. Einzelne Fälle bringt die NGO auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. „Auch diese Onlinemedien haben ständig mit Zensur zu tun, sollen Beiträge löschen oder umschreiben“, betont Gainutdinow. „Dabei wird immer wieder damit gedroht, die Seite zu blockieren.“ So habe etwa Batenka im Sommer auf Geheiß der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor Artikel über Drogenmissbrauch und Suizid mehrfach umformulieren müssen.

Schwammig formulierte Paragrafen

Wer sich das russische Internet als Hort der Meinungsfreiheit vorstellt, wird also enttäuscht: Tatsächlich verfügt Roskomnadsor über zahlreiche Instrumente, um Medien unter Druck zu setzen. So hat der Gesetzgeber zwei bestehende Mediengesetze im Frühjahr 2019 auch auf das Internet ausgeweitet: eines gegen sogenannte Fake News und eines, das sich gegen Hate Speech richtet. Solche Paragrafen sind äußerst schwammig formuliert, entsprechend einfach kann ein „Verstoß“ gefunden werden. Dann kann Roskomnadsor das Sperren von Seiten anordnen.
 
Seit 2017 können Medien außerdem als „ausländische Agenten“ stigmatisiert werden. Theoretisch reicht dafür, Geld aus dem Ausland erhalten zu haben. Bislang sind zwar ausschließlich Auslandsmedien betroffen, darunter Radio Svoboda (Radio Liberty) und Golos Ameriki (Voice of America). Für unabhängige Medien bedeutet das Gesetz aber eine große Hürde – gerade, wenn es um die Finanzierung geht. Schließlich kommen viele Fördermittel von ausländischen Organisationen. Gelder, auf die russische Medien verzichten müssen, wenn sie ihre Existenz nicht gefährden wollen.
 
Die Aufregung war groß, als die Duma, die russische Volkskammer, Ende November 2019 beschloss, dass künftig auch einzelne Personen als „ausländische Agenten“ eingestuft werden können. Das Gesetz ist so breit formuliert, dass im Prinzip jeder, der Inhalte von „ausländischen Agenten“-Medien öffentlich repostet und außerdem Geld aus dem Ausland erhält – und sei es von Verwandten –, entsprechend eingestuft werden kann. Duma-Abgeordnete erklärten, dass das Gesetz als Antwort auf US-amerikanische Gesetze zu verstehen sei. Nun müssen sich Mitarbeiter*innen derjenigen Auslandsmedien sorgen, die bereits als „ausländische Agenten“ gelistet sind.
 
Leonid Lewin, einer der Autoren des Gesetzes, erklärte zudem, wer über Sport oder Musik schreibe, habe nichts zu befürchten – und russische Blogger*innen schon gar nicht. Solche Aussagen sind rechtlich nicht bindend und sorgen vielmehr für Unruhe: Es wäre nicht das erste Mediengesetz, das, unklar formuliert, selektiv und willkürlich angewandt wird und gerade so Angst und Selbstzensur steigert. Ende November hat die Duma das Gesetz in dritter Lesung angenommen. Ohne Gegenstimme. Mit der Unterschrift Putins trat es Anfang Dezember in Kraft.
 
Um dem Druck zu entgehen, wandern manche unabhängige Medien auch ins Ausland ab. Galina Timtschenko war Chefredakteurin der erfolgreichen, unabhängigen Website Lenta.ru, als sie 2014 wegen „Verbreitung extremistischer Inhalte“ verwarnt wurde. Hintergrund war ein Interview mit einem Anführer des ukrainischen Rechten Sektors. Nach zwei Verwarnungen kann die Medienaufsichtsbehörde ein Medium schließen. Timtschenko ging ins lettische Riga und mit ihr ein großer Teil der Redaktion, um online wieder neu aufzuerstehen: Meduza ist inzwischen eines der erfolgreichsten russischsprachigen Onlinemedien und leistet sich auch ein Investigativressort – in Moskau, allerdings ohne eigenes Büro dort. „Dass Meduza in Riga sitzt, schützt uns vor potenziellen Durchsuchungen und Verwüstungen der Redaktionsräume“, erklärte Alexej Kowaljow, Leiter des Investigativressorts kürzlich.
 
Internationale soziale Medien und Plattformen wie Telegram und YouTube schienen lange Zeit entfernt genug vom Arm des russischen Gesetzgebers. Sie gewannen schnell an Popularität und dienen als Sprachrohr für eine kritische russische Öffentlichkeit. Der Blogger Juri Dud etwa wurde mit Videos berühmt, in denen er frisch und frech prominente russische Persönlichkeiten interviewt. Millionenfach abgerufen sind auf YouTube aber auch seine kritischen Videoreportagen zu offiziell tabuisierten oder reglementierten Themen wie dem stalinschen Terror in Kolyma (mehr als 17,6 Millionen Aufrufe, Stand Oktober 2019).
 
Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, von manchen als „Russlands bester Investigativjournalist, der gar kein Journalist ist“, bezeichnet, veröffentlicht auf YouTube Recherchen seines Fonds für Korruptionsbekämpfung. 2017 deckte er unter anderem illegale Reichtümer von Ex-Präsident Dmitri Medwedew auf, was landesweite Massenproteste gegen Korruption auslöste.

Kritik an Staat und Kirche werden bestraft

Doch auch gegen diese Plattformen geht der russische Staat vermehrt vor – etwa, indem er ihre User*innen einschüchtert: 2017 wurden 411 Nutzer*innen strafrechtlich verfolgt – oft, weil sie Inhalte geteilt oder mit einem Like versehen hatten, die entweder die russische Ukraine- oder Syrienpolitik oder aber die orthodoxe Kirche kritisierten.
 
Unterdessen beschloss die Duma Ende November 2019 ein Gesetz, das für Internetkonzerne wie Facebook oder Twitter Strafen von bis zu 18 Millionen Rubel (rund 255 000 Euro) vorsieht, sollten sie sich weigern, die Daten ihrer User*innen auf russischen Servern zu speichern. „Der nächste Schritt wird die Einführung hoher Bußgelder für andere „Verstöße“ sein, etwa, wenn verbotene Informationen nicht entfernt oder Benutzerdaten nicht herausgegeben werden“, befürchtet Damir Gainutdinow.
 
Solche Strafen seien außerdem immer auch ein Signal an die Staatsführung, dass die bestehenden Mechanismen nicht ausreichten, um internationale Plattformen zu einer engen Zusammenarbeit zu verpflichten. „Deswegen gibt es jetzt das Gesetz über die Isolierung des RuNet“, so Gainutdinow. Dieses Gesetz trat am 1. November 2019 in Kraft. Im Frühjahr noch gingen Tausende landesweit dagegen auf die Straße. Offiziell heißt es, ein solches Gesetz sei nötig, um vor dem Hintergrund der US-Sanktionen eine Blockade des russischen Internets zu verhindern. Faktisch bringt es den Behörden zahlreiche neue Kontrollund Sperrmöglichkeiten, etwa weil es Provider zur Kooperation mit dem Staat verpflichtet.
 
Die Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“, die jüngst einen Bericht zur Internetzensur veröffentlichte, beobachtet das Vorhaben entsprechend mit Sorge: „Da wird ganz klar eine Drohkulisse aufgebaut“, betont die Pressereferentin Ulrike Gruska, „auch wenn noch nicht klar ist, ob sich die Pläne der Regierung technisch überhaupt umsetzen lassen.“ Unabhängige Medien und Journalist*innen in Russland sehen sich mit diesen Bedrohungsszenarien und Einschränkungen konfrontiert – und loten die Freiräume aus, die es gibt. Noch.
 
Gemeinsam mit dem Portal Colta.ru realisierte das Goethe-Institut das Projekt „The Earth Is Flat – How to Read Media?“. Das Informations- und Bildungsprojekt richtet sich vor allem an Jugendliche, aber auch an Medienfachleute, Lehrkräfte und alle, die Medien besser verstehen wollen:
 www.howtoreadmedia.ru

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