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Gekommen, um zu übernehmen

Cartel Madras
Foto (Detail): Sierra Stone

Hip-Hop ist so sexistisch wie kein anderes Musikgenre. Zeit, dass sich das ändert: Wie Cartel Madras den Hip-Hop neu erfinden und queeren indischen Frauen eine Stimme geben.
 

Von Silvia Silko

Cartel Madras rappen viel darüber, wie sie „Bitches“ flach­legen, Männern zwischen die Beine packen – im übertrage­nen und konkreten Sinn –, einen Haufen Kohle machen und für Letzteres auch mal zu geladenen Waffen greifen. Und man glaubt ihnen das alles sofort: Das Rap-Duo ist so Bad Ass, verströmt so glaubwürdig die Aura der Unantastba­ren – man kann sich ziemlich gut vorstellen, wie sich schon auf dem Schulhof niemand traute, sich mit den Schwestern anzulegen. Sie lachen im Zoom-Gespräch laut in die Ka­mera: „Wir waren in der Schule überhaupt nicht cool oder gefährlich! Wir waren die totalen Nerds“, erklären sie und erzählen, sie seien in ihren Teenagerjahren Außenseiterinnen gewesen, weil sie sich damals schon am liebsten mit Kunst und Musik beschäftigt und irgendwie gar nicht so richtig in ihre pubertierende Peergroup gepasst hätten. Darüber hin­aus seien sie schon als Kinder von Migrant*innen ein biss­chen anders gewesen.

Bhagya „Eboshi“ und Priya „Contra“ Ramesh siedelten mit ihren Eltern im Kleinkindalter aus dem südindischen Chennai nach Calgary um. Kanada ist schon seit den 1960ern für seine offene Einwanderungspolitik bekannt: Menschen aller Nationalitäten werden gerne aufgenommen – voraus­gesetzt, sie bringen die richtigen Qualifikationen mit. Kon­trollierte Migration nennt man das, und diese Art Multikul­turalismus prägt das Selbstverständnis des Landes. 2019 hat etwa ein Fünftel der kanadischen Bevölkerung einen Migra­tionshintergrund, die meisten Migrant*innen kommen aus Großbritannien, China und Indien. Entsprechend findet sich auch in Calgary eine indische Community. „Natürlich teilen Menschen mit Migrationshintergrund gewisse Erfahrun­gen“, sagt Eboshi. „Das bedeutet aber nicht, dass man sich dadurch automatisch aufgehoben fühlt.“ Eboshi und Contra identifizieren sich seit ihrer Jugend beide als queer, Eboshi außerdem als pansexuell. Zwei queere Women of Colour, Minderheiten der Minderheit also, die Anspruch darauf er­heben, den Hip-Hop aus neuer Perspektive zu beleuchten? „Na klar, Mann!“ Contra räumt mit zackiger Handbewegung alle Zweifel aus dem Weg und nickt herausfordernd: „Wir machen das hier ja nicht zum Spaß!“

Die Musikindustrie ist durch und durch männlich domi­niert: Die wichtigsten Player und Labelköpfe sind Männer, die großen Booker einflussreicher Festivals sind Männer, Streaming-Plattformen sind unter der Leitung von Män­nern. Hip-Hop ist hierbei natürlich keine Ausnahme, aber dennoch nur die Spitze des Eisberges: Kaum ein Genre be­kennt sich in allen Facetten so unverhohlen zu seinem Frau­enhass. Im Rap kommen Frauen als austauschbare Massen­ware, als Huren oder Schlampen vor. Sie sind Sexpuppen ohne Wert, ihre Daseinsberechtigung besteht einzig darin, die Bedürfnisse des Mannes zu erfüllen. Entsprechend wer­den Vergewaltigungen in Songtexten oft verharmlost oder direkt verherrlicht, großkotzig besungen, wie viele Frauen man gevögelt oder geschwängert hat, und weibliche Rap­perinnen sind immer noch die erschreckende Minderheit. Es ist anzunehmen, dass der Gender Pay Gap auch im Hip- Hop die Kassen je nach Geschlecht unterschiedlich klin­geln lässt. Männer bekommen die höheren Gagen und auch mehr Unterstützung von der Label- und Managementseite.

Cis-männlich, misogyn, erfolgreich

Struktureller Sexismus herrscht in so ziemlich jeder Branche. Da ist die Musikindustrie natürlich keine Ausnah­me – aber die Schieflage im Hip-Hop in Haltung und Zahlen kann recht stringent dorthin verfolgt werden, wo der Hip- Hop seine Ursprünge hat: Das Musikgenre entsteht in den 1970ern in der New Yorker Bronx. Damals gilt der Stadtteil der Metropole als Slum, in dem vor allem sozial schwache Familien und ethnische Minderheiten leben. New Yorks marode Kassen tun ihr Übriges: Es gibt Kürzungen im Bil­dungs- und Gesundheitswesen, der Etat für die städtische Polizei schrumpft, die Kriminalitätsrate steigt, die Arbeits­losigkeit ist auf einem Hochstand. Die Jugend wächst ohne Perspektive auf und weiß, dass sie von Zukunft und Obrig­keit nicht viel zu erwarten hat. Kriminalität scheint oft als Möglichkeit eines milieuimmanenten Aufstiegs, es bilden sich rivalisierende Gangs, Drogenmissbrauch, Straßen­kämpfe und Gewalt sind an der Tagesordnung. Klar, dass die Kids der Bronx nichts mit der damals vorherrschenden Discokultur mit ihrem Glitzer und Glam anfangen kön­nen – in ihrem Alltag gibt es keinen Boogie, sondern Aus­sichtslosigkeit. Es werden eigene Partys in den Hinterhöfen veranstaltet und Musik gemacht, die dem Alltag der Jugend­lichen näher ist. Harte Beats, rhythmischer Sprechgesang und Samplings bieten eine bessere Möglichkeit, die Ghetto­realität zu spiegeln und mit ihr umzugehen.

Cartel Madras Entschieden furchtlos im Hip-Hop-Game: die Schwestern Bhaghya „Eboshi“ (links) und Priya „Contra“ Ramesh (unten) | Foto: Sierra Stone Akteur*innen der Szene sehen in den Partys, im Rap eine Chance, die Jugend vor sich selbst zu schützen: Rivalisieren­de Gangs sollten sich nicht mehr in den Straßen der Stadt mit Waffen bekämpfen, sondern die Musik als Werkzeug nutzen und so stellvertretende Kämpfe ausfechten – der Battle-Rap als Möglichkeit des Kräftemessens war geboren und die kriminelle Energie der Jugend neu kanalisiert.

Stolz auf die Herkunft

Hip-Hop ist inmitten marginalisierter Gruppierungen entstanden, die sich durch ihre Kunst emanzipierten und Widerstand gegen die weiße Mittel- und Oberschicht übten. In diesem Abseits gelten eigene Werte, Codes und Regeln, auf die man sich permanent beruft und die man als Nor­menkodex beibehält. Vorurteile werden umgekehrt: Hip- Hopper tragen ihre Herkunft, ihren kulturellen Hintergrund plötzlich mit Stolz vor sich her und formulieren ihr Ziel mit Nachdruck: schnell an viel Geld kommen. Gewalt, Kri­minalität und Gefängnisaufenthalte werden entsprechend glorifiziert und auf jahrzehntelangen Rassismus mit Selbst­bewusstsein über das eigene Schwarzsein geantwortet. Das auf der Straße erlernte Recht des Stärkeren wird fortgesetzt und zugespitzt: Es geht darum, zu zeigen, wie sehr man vor Männlichkeit, Potenz und Kraft strotzt – auch indem man diejenigen unterdrückt und diskriminiert, die auf der Ge­sellschaftsstufe unter einem stehen. Der schwarze Mann richtet seine Machtdemonstration also gegen schwarze Frauen, die LGBTQ-Community und Behinderte. Ziemlich basale Beweggründe, wenn man in einem Milieu aufwächst, das einem permanent vor Augen führt, wie weit hinten man selbst in der Nahrungskette angesiedelt ist.

Cartel Madras Foto: Sierra Stone Hip-Hop bedient Stereotype und festigt patriarchale Strukturen, weil sie in seiner DNA liegen und seinen Fort­bestand sichern – nicht dass das den Sexismus besser macht, aber es erklärt ihn ein bisschen. Spannend ist, dass bei aller Berufung auf die Ursprünge und die „Realness“ vieles dem Ziel, nämlich schnell zu Reichtum zu gelangen, untergeord­net wurde und wird: Kaum ein Musikgenre hat sich in so kur­zer Zeit so schnell an aufkommenden und lukrativen Trends orientiert, sie sich einverleibt und es so geschafft, zu einem der weltweit erfolgreichsten Genres zu werden. 2018 erwirt­schaftete der Hip-Hop etwa ein Viertel aller Einnahmen der Musikindustrie. Laut dem IFPI Global Music Report von 2021 sind außerdem fünf der „10 Best Selling Acts“ diesem Musikgenre zuzuordnen. Kurz: Hip-Hop hat die kreatürliche Fähigkeit, sich stets zu erneuern, sich vielleicht sogar neu zu erfinden – wenn der Wille besteht.

Folkloristischer Sound mit Maschinengewehr

„Als wir aufwuchsen, gab es für uns einfach keine Vor­bilder“, sagt Eboshi. Die Schwestern stehen schon früh auf Hip-Hop – finden hier aber kaum Frauen, kaum jemanden mit indischer Herkunft und erst recht keine queeren Künst­ler*innen. Im Prinzip gilt das nicht nur für den Hip-Hop, sondern für die gesamte Popkultur: Randgruppen sind im Mainstream von Film oder Musik einfach wenig vertreten. „Also dachten wir, wir müssen das mal anfangen und selbst für Sichtbarkeit sorgen“, erklärt Eboshi weiter. 2017 grün­den die Schwestern Cartel Madras, 2018 stehen sie das erste Mal als Band auf der Bühne. Das legendäre Label Sub Pop (in den 1990ern vor allem als erstes Label der Grunge-Iko­nen Nirvana bekannt) nimmt die beiden unter Vertrag, 2019 treten sie mit dem ersten Teil einer EP-Trilogie an und läuten direkt ein neues Zeitalter ein: „Age of the Goonda“ heißt die Platte. Die erste Auskopplung, „Goonda Gold“, kombiniert dichten Trap, eine aktuelle Spielart des Hip-Hop, mit Sam­ples folkloristisch-indischer Sounds, das Maschinengewehr ist präsentes Stilmittel, und Eboshi und Contra präsentieren ihre Macho-Attitüde in perfekter Hip-Hop-Manier: „Gold on my neck, I’m a goonda. Got guns in the air like a junta“, rap­pen sie. „Das Wort Goonda ist Slang!“, erklärt Contra. Ihre Musik nennen sie „Goonda Rap“, eine neue Ausprägung des Hip-Hop.

In Südasien wird der Begriff „Goonda“ für Kriminelle, Gauner oder Schläger genutzt, und genau so präsentieren Cartel Madras sich in dem Track und dem dazugehörigen Video: Man sieht Frauen mit traditionellem indischen Haar­schmuck, stahlhartem Gesichtsausdruck, die lackierten Fin­ger am Abzug eines Gewehres. „Das ist das, wo Hip-Hop herkommt – wir wollen dem Tribut zollen“, sagt Eboshi. Es ginge aber eher um Attitüde und Selbstbestimmung: Cartel Madras zeigen indischstämmige Frauen, die die Kontrol­le haben, die nicht mit sich spaßen lassen, die in Militär­montur „wie Junta“ auf einem Truck sitzen und die Dollars zählen, die sie mit ihrem eigenen Geschäft eingenommen haben.

Eboshi und Contra lassen auch keinen Zweifel daran, dass sie die Kontrolle über ihre Körper und ihre Sexualität haben. Sie zeigen sich, sie sind sexy, sie setzen sich sinnlich in Szene – sind dabei aber nie unterwürfig. Damit stellen sie sich neben Rapperinnen wie Cardi B, die in ihren Tracks explizit darüber spricht, dass und wie sie von einem Mann befriedigt werden möchte. Ihr sexueller Hunger wirkt eher aggressiv und fordernd – und verabschiedet sich vor allem von Frauen zugedachten Rollen- und Pornoklischees, in de­nen sie stets die passiv Empfangenden sind. „Frauen werden so oft zum Objekt degradiert, vor allem dunkle Frauen wer­den fetischisiert. Dem treten wir entgegen“, erklärt Eboshi.

Cartel Madras nehmen Platz ein mit ihrer Message der Selbstermächtigung und der weiblichen Kraft – ohne dafür das Sujet des Hip-Hop je zu verlassen. Vielmehr spielen sie mit den Elementen und der Genrekultur und machen sie sich zu eigen, ohne dass die Musik dabei ihren Reiz ver­liert oder verraten wird. Sie machen so eine bisher unterrepräsentierte Perspektive sichtbar und geben denjenigen ein Vorbild und eine Stimme, die keine haben. Sie themati­sieren toxische Männlichkeit, kritisieren überholte Frauen­bilder, sprechen über ihre Migrationsgeschichte und kämp­fen mit ihren Lyrics für die Rechte der LGBTQ-Community. Manchmal rappen sie auch einfach darüber, wie gerne sie sich einen fetten Joint anzünden. Damit sind sie auch wie­der da, wo viele der großen US-Rapper nicht mehr sind: bei den Leuten, mittendrin in der Szene, die sich gerade auf­macht, um gesehen zu werden. Sie rappen aus dem Abseits, das allerdings auch immer größer wird: Queere Rapstars sind langsam, aber sicher im Kommen. Allen voran etwa Lil Nas X oder Princess Nokia. Die Zeiten ändern sich, be­stätigen auch die Ramesh-Schwestern.

„Es ist aktuell gar nicht schlecht, queer und farbig zu sein und dann auch noch Hip-Hop zu machen. Wir haben das Gefühl, dass wir ernst genommen werden und zumin­dest an woken Stellen auch gerne eingeladen und gebucht werden“, sagt Contra. Allerdings gibt sie zu bedenken, dass sie mit ihrem Profil immer auch Gefahr liefen, als Token missbraucht zu werden – dass sie also auf ein Line-up ge­packt würden, nur um eine Quote zu erfüllen und nicht, weil die Veranstalter das Duo unterstützen wollten. „Sollen sie uns nur deshalb buchen, ist uns egal. Wir kommen, und wir treten die Türen ein, die für uns vielleicht noch nicht ge­öffnet wurden“, antwortet Eboshi. Sie spricht davon, dass es darum gehe, authentisch zu bleiben, zu hinterfragen, wa­rum man tut, was man tut. Und wenn man dabei mit er­hobenem Haupt in den Spiegel schauen kann, dann tut man das Richtige. Die Ära der Goonda, sie hat begonnen.

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