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das letzte wort
Marathon der Diskriminierungen

Michaela Dudley
Foto (Detail): Carolin Windel

„Die Entmenschlichung fängt mit dem Wort an, die Emanzipierung aber auch“ – dieses geflügelte Wort ist mir zutiefst vertraut. Es entstammt nämlich meiner eige­nen Feder. Es ist mir auf den Leib geschrieben, es prangt wie ein Tattoo auf der Haut einer entlaufenen Sklavin. Es ist der Einspruch gegen die systemische Unter­drückung, die meinen Schwestern und mir seit Generationen widerfährt. Denn ich bin Schwarz und verdammt strapaziert, Schwarz und verdammt stolz. Schwarz und verdammt halt.
 

Von Michaela Dudley

Es ist auch der Leitsatz meines neuen Buches „Race Relations: Essays über Ras­sismus“. In jener Losung erblicke ich die Lösung. Es handelt sich um das Storytel­ling, die sinnstiftende Erzählung von Geschichte und Geschichten. Dabei geht es vor allem um Überwindung. Indem wir als marginalisierte Menschen unsere Stimmen erheben und uns selbst in den Mittelpunkt rücken, können wir uns unserer selbst bewusst werden. Eine seelische und soziale Standortbestimmung findet statt. An­hand unserer individuellen Schicksale orten wir uns gemeinsam in den Fängen der institutionellen Strukturen. Für mich als „Blacktivistin“ ist diese Methode unerläss­lich. Sie geht aber natürlich über den Antirassismus hinaus, und deshalb mache ich ebenfalls als Feministin sowie als Verfechterin der LGBTQ-Rechte davon Gebrauch. Stichwort: Intersektionalität.

Mein Leben gleicht einem Marathonlauf der Mehrfachdiskriminierung. Das Licht der Welt erblickte ich 1961 in den USA, im Schatten der Freiheitsstatue. Ein Jahrhun­dert nach Ausbruch des Sezessionskrieges, aber inmitten der nach wie vor gnadenlos grassierenden Segregation. Misogyn und queerfeindlich dazu. Dass 1961 übrigens auch das Jahr des Mauerbaus in meiner Wahlheimat an der Spree war, geht nicht spurlos an mir vorbei, zeitlebens muss auch ich Mauern durchbrechen – „grenzen­los und unverschämt“, um die afrodeutsche Dichterin May Ayim zu zitieren. Und wer von uns müsste nicht mit dem Kopf durch die Wand oder durch die gläserne Decke gehen? Frau braucht dafür Aspiration – und wohl auch Aspirin.

Illustration Illustration: Joni Majer Es sind die Schilderungen meiner längst verstorbenen Großmutter, Tochter versklavter Eltern, die mir bis heute Kraft geben. Denn in ihnen leben die Schwarzen Heldin­nen fort. So wie Sojourner Truth und Harriet Tubman, die mit Räson und Revolvern schon etliche Jahrzehnte vor den ersten White Suffragettes ihren Kampf für die Gerechtigkeit führten. Die Geschichten zeigen, dass wir BIPoC-Frauen nicht nur Opfer, sondern auch Tatkräftige sind. So wie Marsha P. Johnson, jene Schwarze trans* Frau, die 1969 den ersten Stein von Stonewall warf, als in Green­wich Village die moderne Gay-Rights-Bewegung ins Rollen kam. Feministinnen jeglicher Couleur sollten sich mit die­sen Vorkämpferinnen beschäftigen. Schwarzer Feminismus bereichert. Alice-Schwarzer-Feminismus dagegen, von Xeno-und Transphobie durchsetzt, hat keine Zukunft.

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