Nachhaltige Gesellschaft  Umweltschutz durch Demokratie

Hyloscirtus Antioquia Rana Chocolate
Hyloscirtus Antioquia, Rana Chocolate © Erika Torres, 2019

Die Verhinderung zukünftiger Umweltkrisen ist eine der größten Herausforderungen der aktuellen Weltgemeinschaft. Partizipative Gesellschaftsformen scheinen dafür bessere Voraussetzungen zu bieten als andere.
 

Der Mensch hinterlässt Spuren auf der Erde. Der Abdruck, den wir der Natur aufprägen, nimmt heute kritische Ausmaße an. Unser Einfluss auf den Planeten ist offensichtlicher und unwiderlegbarer denn je. Die Liste ist lang: Meeres- und Bodenverschmutzung, Massenabholzung der Wälder, Temperaturanstieg, extreme Dürren, Raubbau an den Ressourcen, Abschmelzen der Polkappen, Ölverschmutzung, Artensterben, ganze Kontinente von Müll. Dieser Prozess hat sogar eine neue geologische Epoche eingeläutet, die den Einfluss des Menschen auf die Erde erkennbar macht: das sogenannte Anthropozän.
 
Die Umweltkrise, die wir seit mindestens einem halben Jahrhundert erleben – und die sich am dringlichsten im Klimawandel zeigt –, ist zu einem der wichtigsten Themen unserer Zeit geworden. Und es ist zweifellos auch das zukunftsweisendste. Schließlich steht das Überleben des Menschen auf dem Spiel. Diese Veränderung ist zwar nicht die erste, mit der wir in der Menschheitsgeschichte konfrontiert wären, aber es ist bisher die einzige, die uns mit ihren vielfachen Auswirkungen als Spezies in Gefahr bringt. Wenn wir die biophysikalischen Grenzen des Planeten nicht respektieren, wird jedes Sehnen nach einer lebenswerten Zukunft vergeblich sein.

Demokratie als Weg zur Nachhaltigkeit

Was wäre die Lösung für diese Krise und der Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft? Ein vorgeschlagenes Mittel ist die Veränderung der formalen Demokratie: sie zur Trägerin der Nachhaltigkeitsidee zu machen. So würde Gesellschaft dem politischen demokratisch-deliberativen System erlauben, Entscheidungen zugunsten ihrer Interessen zu treffen. Auf diese Weise könnte die Unterscheidung zwischen Demokratie als Prozess und Nachhaltigkeit als Produkt abgeschafft werden.

Eine Gesellschaft mit Nachhaltigkeitsbestrebungen – die also eine umweltbezogene intergenerationelle Gleichberechtigung und ein gesundes Verhältnis zur Umwelt ermuntert – muss von einer inklusiven, synergetischen und proaktiven Partizipation Gebrauch machen. In so einer Gesellschaft könnten alle sozialen Gruppen, die betroffenen Gemeinschaften, die politischen Repräsentanten und die Bürgerschaft gemeinsam ein Ideenensemble erarbeiten, um im Konsens die Probleme, die zugleich Umwelt und Gesellschaft betreffen, zu identifizieren und zu lösen. Es wäre ein Prozess, bei dem die Menschen als Protagonisten der Problemlösung auftreten, ihre eigene Kreativität, Sichtweise, Wissen und Ressourcen mit einbringen und die Verantwortung für Entscheidungen teilen. Ein solches Modell scheint angesichts des Ausmaßes der gegenwärtigen Umweltprobleme und damit der Herausforderungen, denen sich die Gesellschaft stellen muss, unumgänglich.
 
Niemandem käme es heute noch in den Sinn, dass sich die Umweltprobleme auch ohne die Beteiligung der Zivilgesellschaft lösen lassen, also etwa nur der Staat oder die Unternehmen Lösungen zu Umweltkrisen anbieten könnten. Trotzdem wird weiter so gehandelt. Das deutliche Ergebnis: Konflikte nehmen zu. Für die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft gibt es viele Beispiele in Lateinamerika: Mobilisierung gegen Großbergbau, Eintreten für die Rechte der Natur, Auseinandersetzungen über traditionelle Landnutzung, Verteidigung der Biodiversität und vieles mehr zeugt vom Versuch der Zivilgesellschaft, sich mit Hilfe von Protest Raum für Partizipation und Entscheidungsmacht zu erobern, den ihr die traditionellen Institutionen verweigern.
 
Partizipative Prozesse sind also eine Basisstrategie, um gesellschafts- und umweltbezogene Konflikte zu lösen. Sie verleihen öffentlichen Entscheidungen größere Legitimität, da ein Gefühl geteilter Verantwortung unter den Bürgern und den verschiedenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren erzeugt wird. Die Verbindung zwischen Nachhaltigkeit und Demokratie offenbart sich in der Bestätigung, dass Umweltprobleme in der Tat politisch sind, Ursachen haben und – idealerweise – auch politische Lösungen.

Wissenschaft, Technik – und traditionelles Wissen

 Demokratie und Umweltschutz müssen Hand in Hand gehen. Ein in seinen Rechten uneingeschränkter Bürger ist in einer verschmutzten Umwelt, die sich am Rande des Kollapses befindet, nicht denkbar. Wenn wir zur Schaffung einer neuen Umwelt beitragen wollen, müssen wir die Gesellschaften verändern, und zwar so, dass sie selbst der sichtbarste Ausdruck der Umwelt sind. Die Idee von einer neuen Demokratie beinhaltet die Notwendigkeit, Bürger an Umweltthemen zu beteiligen. Und sie bindet, im Falle Lateinamerikas, Wissenschaft und Technik als legitime Fortschrittsinstrumente mit ein, zusätzlich zur Achtung und Einbeziehung überlieferter Kenntnisse, wie zum Beispiel indigenen Wissens.
 
Das Ziel wäre eine Art Umweltbürgerschaft. Das bedeutet, ein neues Entwicklungsparadigma zu finden, das die Bürger ins Zentrum von Entwicklungsprozessen stellt; das Wirtschaftswachstum als einen ökologisch begrenzten Prozess begreift, ein Mittel, um eine höhere Stufe menschlichen Wohlergehens zu erreichen, aber ohne Selbstzweck zu sein; das die existentiellen Möglichkeiten der gegenwärtigen und künftigen Generationen schützt; das letztlich das vollständige Funktionieren der Ökosysteme im Blick hat, die ein Leben auf dem Planeten ermöglichen.
 
Die Herausforderung ist riesig. Denn die Aufgaben sind anspruchsvoll: Orte und Institutionen schaffen, wo Bürger sich äußern können, eine öffentliche Meinung herstellen und aktive gesellschaftliche Akteure gewinnen, Gruppen organisieren, die auf kommunaler Ebene die Regierungspolitik überprüfen, den proaktiven Dialog der Informations- und Wissensproduktionsnetzwerke der organisierten Bürger fördern, öffentliche Räume schaffen zur Verhandlung von Umweltprogrammen. Nur so könnte die Durchsetzung einer öffentlichen Politik gesichert werden, die die Forderungen und Vorschläge der Zivilgesellschaft aufgreift, während zugleich Mechanismen zur Konfliktlösung geschaffen und formalisiert werden.
 
Ein solches Modell ist für Lateinamerika – und im Grunde für den Großteil der Welt – noch wenig mehr als eine Hoffnung. Damit eine „Bürgerschaft für Nachhaltigkeit“ entsteht, muss eine neue öffentliche Politik angegangen werden, wozu im Augenblick jedoch kein eindeutiger Wille vorhanden zu sein scheint. Wenn es ihn gäbe, würde sich der Weg hin zu mehr Demokratie, mehr Partizipation, zunehmender Gleichberechtigung und Realisierbarkeit von Gesellschaften eröffnen, die sich aufmachen, Lösungen für unsere Umweltprobleme zu finden. Für die vielleicht schwerwiegendste Frage, die sich der Menschheit in diesem Jahrhundert stellen wird.

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