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Der Bumerang-Impuls

Erkundungen am Stadtrand von Berlin - um 2016
Erkundungen am Stadtrand von Berlin - um 2016 | ©Isabelle Beyer

Vor ein paar Monaten konnte ich den achten Jahrestag meiner Affäre mit Berlin verbuchen. Abgesehen von dem jährlich wiederkehrenden Schock, wie schnell die Jahre in Deutschlands oh-so-betörender Hauptstadt doch vorbeirasen, löste dieses Jubiläum auch Nostalgie über die Vergangenheit sowie ein Sinnieren über die Zukunft aus.

Acht Jahre. Das ist eine unglaubliche lange Zeit, um sie an einem Ort zu verbringen, an dem man eigentlich nie zu leben geplant hatte. Abgesehen davon, dass das länger ist als mein halbes Erwachsenenleben, hört es sich auch beängstigend nach fast einem Jahrzehnt an – einem dräuenden Meilenstein, der nicht nur den altbekannten Peter-Pan-Komplex wieder zu voller gequälter Blüte erweckt, sondern auch eine gewisse unausweichliche Frage aufwirft: Ist Berlin nun für immer, oder werde ich wie ein Bumerang irgendwann doch wieder nach Australien zurückkehren?

Berlin: PartnersChaft oder Romanze?

Für den durchschnittlichen europäischen Expat mag die Frage unerheblich scheinen, ob Berlin eine ernste Lebenspartnerschaft oder doch nur eine ausgedehnte heiße Romanze ist. Da ein Kurzbesuch immer eine Option ist, wenn einen das Heimweh überfällt, kann die Affäre mehr oder wenig unbegrenzt weitergehen. Aber wenn man von einer Insel kommt, auf der Sommer Winter ist und das Heimfliegen zu seinen Liebsten eine alle zwei Jahre stattfindende Tortur des Aufruhrs und der Planung bedeutet, ist es eben diese Frage, über die nachzudenken man möglichst vermeidet – und genau die, die einem trotzdem ominös im Hinterkopf herumschwirrt.
 
Das Thema ist äußerst delikat, wenn diejenigen darauf zu sprechen kommen, die man für das Experiment eines Lebens in Europa am anderen Ende der Welt zurückgelassen hat. Anfangs kommt die Frage häufig auf; zuerst im Scherz, mit einem leisen Lachen darüber, wie lange denn dieser „Berlinaufenthalt“ noch dauern soll. Aber wenn dann die Jahre vergehen und die Wurzeln, die man schlägt, immer tiefer und verschlungener werden, wird das Thema immer bedeutungsschwerer, bis es schließlich nur noch selten überhaupt erwähnt wird. Bei Besuchen in der Heimat ist es der Elefant im Raum, der peinlich raue Emotionen aufwühlen kann, wenn man zufällig über ihn stolpert.

Die alte Melbourner Umgebung: Brunswick Sydney Road Die alte Melbourner Umgebung: Brunswick Sydney Road | © Nyc Troynar Der Intensität dieser Situationen liegt ein einfacher, unausweichlicher Fakt zugrunde: Man kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein, egal, wie sehr das Herz an beiden hängt. Unsere digital vermittelten Zeiten mögen die Illusion fördern, dass das machbar ist; und natürlich können soziale Medien und Skype-Gespräche die große Entfernung erträglicher machen. Aber ab einem gewissen Punkt verstärkt das ständige Klicken auf das „Gefällt mir“-Feld unter den Gesichtern von Menschen, die man wahnsinnig vermisst, die Distanz nur noch. Und man erreicht eine bestimmte Lebensphase – und zwar anscheinend ungefähr jetzt –, in der man anfängt, seine Entscheidung, diese Distanz überhaupt erst hergestellt zu haben, zu hinterfragen.

Digitale Nähe, Verstärkte Distanz

Wie lange soll das noch so weitergehen? Wie viele wichtige Ereignisse im Leben der Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, werden auch in Zukunft ohne mich stattfinden? Wird es nicht mit jedem Jahr, das vergeht, und jedem Zukunftsplan, den ich hier mache, nur immer schwieriger, überhaupt je zurückzukommen? Werde ich meine Familie jemals wieder regelmäßig sehen und mit den Freunden, die mich in jungen Jahren geprägt haben, je wieder richtig Kontakt haben?
 
Wenn man sein Leben und seine Freunde im Ausland liebt, sind das Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Und acht Jahre in Berlin zu verbringen und genügend prägende Erinnerungen anzusammeln, dass die Stadt sich mit gutem Recht ebenfalls wie ein Zuhause anfühlt, macht alles nur noch komplizierter. Aber der Bumerang-Impuls verschwindet nie ganz, egal, wie sehr ich alles hier genieße oder wie aufregend die Zukunft ist, die ich mir in Berlin aufbaue. Er ist weniger ein Zeugnis für den Ort, von dem ich komme, als für die Menschen, die ich dort zurückgelassen habe.
 

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