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Bicultural Urbanite Brianna
Ein denkwürdiger März: COVID-19 erreicht Berlin

Soziale Distanzierung an der Spree
Soziale Distanzierung an der Spree | © Brianna Summers

Berlins erster bestätigter COVID-19-Fall wurde am 1. März 2020 diagnostiziert. Seitdem erlebte die deutsche Hauptstadt einen wahrhaft denkwürdigen Monat. Die Zahl der Infektionen stieg exponentiell, und den Berliner*innen wurde langsam das Ausmaß der Krise bewusst.

Von Brianna Summers

Montag, 2. März – 3 bestätigte Fälle

Ich habe die letzten Wochen in Australien verbracht und fliege heute Abend nach Berlin zurück. Als ich für die erste Etappe meines langen Heimflugs an Bord gehe, setze ich eine FFP3-Feinstaubmaske aus dem Baumarkt auf, die ich im Januar gekauft hatte, um mich vor dem in der Luft hängenden Rauch zu schützen. Es fühlt sich an, als seien Australiens katastrophale Buschfeuer nahtlos in die COVID-19-Krise übergegangen.

Dienstag, 3. März – 6 bestätigte Fälle
Auf dem Flug sehe ich nur zwei andere Passagier*innen mit Masken. Beim Umsteigen am Flughafen Doha tauchen langsam weitere Masken auf und ich fühle mich nicht länger wie eine Hypochonderin. Als ich mir auf der Toilette die Hände wasche, bekomme ich mit, wie zwei junge Putzfrauen über eine Kollegin sprechen, die vor kurzem wegen Fieber nicht in der Arbeit war. Sie witzeln, ob das vielleicht das Coronavirus war, und kichern nervös.
Ich trage die Maske 24 Stunden lang. Die Erleichterung ist groß, als ich endlich vor dem Flughafen Tegel ins Freie trete und das verdammte Ding abnehme. Auf dem Heimweg erwähnt der Taxifahrer die Absage der ITB Berlin, der weltgrößten Tourismusmesse, die am nächsten Tag hätte beginnen sollen. Die Entscheidung wird höchstwahrscheinlich in Loch in seine Einkünfte reißen und hinterlässt bei mir ein Gefühl des Unbehagens.

Sonntag, 8. März – 40 bestätigte Fälle

In Berlin kehre ich zu meiner üblichen Routine zurück, wenn auch mit mehr Händewaschen. Ich arbeite in meiner Bürogemeinschaft, lade Freund*innen zum Abendessen ein und gehe ins Kino. Aber mit jedem Tag, der vergeht, werden die Nachrichten düsterer. Leere Regale in einem DM-Geschäft in Berlin Leere Regale in einem DM-Geschäft in Berlin | © Brianna Summers Mittwoch, 11. März – 81 bestätigte Fälle
Für diesen Samstag hatten mein Mann und ich eigentlich einen Kurztrip nach Polen geplant. Trotz der „Alles wie immer“-Atmosphäre in Berlin wägen wir die Vor- und Nachteile der Reise ab. Was, wenn wir im Hotel krank werden? Was, wenn Deutschland eine Ausgangssperre verhängt, während wir weg sind, und wir dann in Polen festsitzen? Wir entscheiden uns dafür, die Reise abzusagen. Zwei Tage später schließt Polen seine Grenzen für alle Ausländer*innen. Ich forsche im Internet nach weiteren Eilmeldungen und lese, dass Berlins berühmtester Nachtclub, das Berghain, bis mindestens 20. April schließen wird.

ABSCHOTTUNG


Donnerstag, 12. März – 118 bestätigte Fälle
Ich bin jetzt seit einer Woche wieder in Deutschland. In den Geschäften geht es rege zu, Toilettenpapier verkauft sich wie geschnitten Brot, die Leute in meiner Bürogemeinschaft gehen immer noch zur Arbeit und treffen sich mit ihren Freund*innen in der Kneipe. Ich hüte mich zunehmend davor, zu dicht neben anderen Leuten zu sitzen, und beschließe, von daheim zu arbeiten. Mein Mann, wie ich Freiberufler, arbeitet heute ebenfalls von zuhause. Auch wenn uns das jetzt noch nicht klar ist, ist heute der erste Tag unserer Selbst-Isolation.

Samstag, 14. März – 263 bestätigte Fälle
Ich brauche dringend etwas frische Luft und beschließe, dass es ungefährlich ist, mich für eine kurze Radtour nach draußen zu begeben. Ich habe sehr schnell eine Quarantäne-Mentalität entwickelt und bin überrascht, wie viele Leute unterwegs sind, in Gruppen Eis essen und in Cafés sitzen. Ich sehe keine einzige Gesichtsmaske. Überreagiere ich? Heute Abend sind wir bei einem Freund zum Geburtstagsessen eingeladen. Das sollte doch nicht gefährlich sein, oder? Vier Leute, die in jemandes Privatwohnung zu Abend essen? Er sagt schließlich ab, weil einer der Gäste Halsschmerzen hat. Ich bin erleichtert.

Montag, 16. März – 332 bestätigte Fälle
Ich gehe auf nebenan.de, eine Social-Media-Plattform, die Anwohner*innen zusammenbringt, die im selben Stadtviertel wohnen. Die große Freigebigkeit und Solidarität, die hier zu sehen ist, hebt meine Stimmung enorm. Menschen bieten an, ihren älteren Nachbar*innen und anderen in Hochrisikogruppen zu helfen, indem sie für sie den Einkauf erledigen oder mit ihrem Hund Gassi gehen. Ich stoße auch auf eine neue Website namens Coronaport, auf der Menschen mit nur einem Klick Hilfe anbieten oder anfordern können. Allerdings sind nicht alle älteren Menschen im Internet. Eingedenk dieser Tatsache hat die Hilfsorganisation Moabit Hilft ein Formular namens CoronaNachbarn erstellt, das ausgedruckt und im Eingang von Mehrfamilienhäusern ausgehängt werden kann. Nachbar*innen, die helfen möchten, können ihren Namen auf die Liste schreiben, und wer Hilfe benötigt, kann diese anfordern, indem er ihnen einen Zettel in den Briefkasten legt.

Mittwoch, 18. März – 519 bestätigte Fälle
Heute Abend hält die deutsche Kanzlerin Angela Merkel eine emphatische Rede an die Nation. Die Kernbotschaft: Die Sache ist ernst und muss ernst genommen werden. Sie ruft zu Solidarität und Disziplin auf, während sie die neuen Notfallmaßnahmen der Bundesregierung verkündet, die darauf abzielen, das öffentliche Leben auf Eis zu legen und die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Alle Geschäfte, die nicht der Grundversorgung dienen, sowie alle Kultur- und Bildungsinstitutionen werden geschlossen. Es darf keine Sportveranstaltungen, Messen, Konzerte oder religiöse Zusammenkünfte irgendwelcher Art mehr geben. Selbst Spielplätze werden gesperrt. In Berlin fahren nur noch drei S-Bahnlinien. Restaurants sind nun von 6:00 Uhr bis 18:00 Uhr geöffnet. Frischemärkte dürfen offen bleiben, aber die legendären Flohmärkte der Stadt werden für die nächste Zukunft verschwinden. Ganz wesentlich ist, dass für Unternehmen und Selbstständige zudem sofortige finanzielle Unterstützung zur Verfügung steht. Abgesperrter Spielplatz am Görlitzer Park in Kreuzberg Abgesperrter Spielplatz am Görlitzer Park in Kreuzberg | © Jenny Hackney

#StayHomeSavesLives


Donnerstag, 19. März – 688 bestätigte Fälle
Das war vielleicht eine seltsame Woche. Beim Arbeiten wird die Stille vom Zwitschern der Vögel und den Sirenen der Krankenwagen nur noch hervorgehoben, die die Durchgangsstraße nahe meiner Wohnung entlangrasen. 
Ich radle ins Büro, um noch ein paar Sachen abzuholen. Es ist ein wunderschöner Frühlingstag und Familien drängen sich um Eisdielen, ältere Paare trinken in der Sonne Kaffee und die Leute stehen in Gruppen herum und warten auf den Bus. Ich sehe nur zwei maskierte Gesichter. Ich kann mir den Frust der Berliner*innen nur zu gut vorstellen, die den Großteil der letzten vier Monate im Haus verbracht haben, um der Kälte zu entfliehen. Sie haben gerade erst den berüchtigten grauen Winter der Stadt überstanden, nur um jetzt zu hören, dass sie zuhause bleiben sollen. Es muss eine bittere Pille für sie sein.

Samstag, 21. März – 1.025 bestätigte Fälle
Vier Freund*innen und ich verbringen den Samstagabend zusammen auf Skype. Es tut unglaublich gut, ihre Gesichter zu sehen, und wir können alle gar nicht aufhören zu lächeln. Ich habe das Gefühl, dass das das erste von vielen solchen „Treffen“ sein wird.

Mittwoch, 25. März – 1.645 bestätigte Fälle
Die Bundesregierung hat weitere Einschränkungen angekündigt, die für die nächsten zwei Wochen gelten sollen, aber zum Glück gibt es (noch) keine Ausgangssperre. Ansammlungen von mehr als zwei Personen sind verboten. Restaurants müssen schließen oder ausschließlich Essen zum Mitnehmen oder Liefern anbieten. Man darf nach wie vor allein oder mit Personen aus dem eigenen Haushalt zum Sport nach draußen, muss aber seinen Ausweis und einen Nachweis der Wohnadresse bei sich haben. Wer weiß, wie das alles weitergehen wird. Trotz der Unsicherheit beruhigt mich Deutschlands klare und (größtenteils) einheitliche Reaktion auf die Krise. Wollen wir hoffen, dass die räumlichen Distanzierungsmaßnahmen und die Finanzhilfen dazu beitragen, dass sich „die Kurve abflacht“ und sich die Menschen in den nächsten Wochen und Monaten über Wasser halten können.

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