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Bicultural Urbanite Luke
Tschüss Berlin, Hello Strangeness

Die Sonne geht in einem Vorort von Melbourne unter
© Luke Troynar

Nachdem ich nun fast ein Jahrzehnt als Expat in Berlin gelebt habe, lockte mich nun ein interessantes Doktorandenangebot auf unbestimmte Zeit in die Heimat nach Down Under zurück. Kurz nach meiner Rückkehr nach Australien hat jedoch COVID-19 die ganze Welt auf den Kopf gestellt und jeglicher Normalität ein Ende bereitet - nicht nur für mich während meiner eigenen Zeit der Veränderung, sondern für die Gesellschaft, so wie wir sie bisher kannten.

Von Luke Troynar

An einem kalten, grauen Berliner Morgen so gegen Ende November letzten Jahres, erschien in meiner Gmail Inbox eine E-Mail, die sofort mein Herz höherschlagen ließ. Die E-Mail stammte von QUT in Brisbane, einer der Universitäten, an denen ich mich für ein Doktoratsstudium beworben hatte. In einem recht formellen, sachlichen Ton gewährte mir die E-Mail wie beiläufig einen meiner größten Wünsche: drei Jahre lang ein Thema meiner Wahl (die Semiotik der Meme) zu recherchieren. Während das definitiv super Nachrichten waren, waren die Emotionen, die sie in mir hervorriefen, allerdings weniger eindeutig.
 
Mein erster Gedanke war, dass diese Chance zu gut ist um sie abzulehnen. Mein zweiter Gedanke - was ist mit Berlin? Im europäischen Sommer 2010 machte ich mich mit ein paar Highschool-Freunden für einen zweiwöchigen Urlaub auf den Weg in die deutsche Hauptstadt. Ich konnte damals noch nicht ahnen, dass es ein ganzes Jahrzehnt dauern würde, bis ich ein One-Way-Ticket wieder zurück nach Australien kaufen und den Rest meiner zwanziger und frühen dreißiger Jahre damit verbringen würde, mir ein Leben auf der anderen Seite des Planeten zu erschaffen, ein Leben so ganz im europäischen Stil.
 
Der QUT-Campus im sonnigen Brisbane Der QUT-Campus im sonnigen Brisbane | © Luke Troynar Wie sollte ich es nur schaffen, mich jetzt einfach auf zu machen und all die Menschen zurückzulassen, die eine Zeitlang zum Zentrum meines Universums geworden waren? Was ist mit meiner Wohnung, die ich liebevoll zu einem Zuhause gemacht habe? Und was ist mit dem enormen Anteil meiner Identität, den ich allein Berlin zu verdanken habe? Nach einigen turbulenten Wochen voller wenns und abers und einer guten Portion Melodrama, habe ich mich dann doch zusammengerauft und das Angebot angenommen. Ich kam zu dem Entschluss, dass ich eine wunderschöne Zeit in Berlin gehabt hatte und mir jetzt Brisbane zuzwinkert.

Auf dem Weg

 
Und so packte ich eines Morgens Ende Februar mit einem Bauch voller Schmetterlinge meine Koffer, stieg in den Flieger und bereitete mich auf das seltsame Gefühl vor, nach über neun Jahren im Ausland, wieder in die australische Kultur zurückzukehren.  Wie es das Schicksal so wollte, wurde jedoch dieser große Schritt für mich durch den Ausbruch von COVID-19 noch unendlich viel seltsamer. Nach bloß einer Woche an der Universität in Brisbane, fand ich mich auf einmal - schneller als ich gucken konnte - wieder in Melbourne, wo ich vor kurzem erst gelandet war und diesmal in Isolation in meinem alten Kinderzimmer.
 
Meine Erfahrung in den letzten Monaten war wahrscheinlich ähnlich wie die der meisten Menschen, die auf der ganzen Welt zur Isolation gezwungen wurden. So blieb auch mir nicht viel anderes übrig, als mich mit endlosen Zoom-Meetings mit meinen Kollegen und Vorgesetzten abzufinden, an meinem Doktorandenprojekt zu basteln und tagein tagaus meine persönliche Corona-Strecke aufzulaufen, die aus dem Weg entlang des Baches in der Nähe meines Elternhauses besteht (zum Sport), und zum Supermarkt um die Ecke für wichtige Vorräte. Andererseits habe ich mich aber auch währenddessen mit einer anderen, viel persönlicheren Ebene der Entfremdung befasst. Der Merri Creek Trail im Norden von Melbourne Der Merri Creek Trail im Norden von Melbourne | © Luke Troynar In einem Beitrag, den ich vor ungefähr einem Jahr während eines Besuchs in Melbourne geschrieben habe, beschrieb ich das Expat-Phänomen, sich wie ein Fremder in der eigenen Heimatstadt zu fühlen. Aber innerhalb weniger Tage nachdem ich in Australien gelandet war, wurde mir klar, wie unglaublich anders es ist, zum Urlaub nach Hause zurückzukehren als den Schritt auf unbestimmte Zeit zu wagen. Die Essenz des Expat-Phänomens dreht sich darum sich in seiner eigenen Heimatstadt wie ein Fremder zu fühlen, was während eines Urlaubs definitiv seine positiven Seiten hat. Natürlich ist die Fremdheit aller Bräuche und Lebensrhythmen, die einem einst selbst Gewohnheit waren, schon etwas gewöhnungsbedürftig, aber auch irgendwie in Ordnung, wenn man weiß, dass es sich hier nur um eine kurze, befristete Zeit handelt, und am Ende findet man sich dann doch immer relativ gut zurecht.

Wenn man weiß, dass man nur kurzfristig in sein altes Leben zurückkehrt, kann man es schon fast genießen, dass sich die noch so banalsten Dinge etwas seltsam anfühlen oder das Gefühl von gleichzeitig Verbindung und Distanz zu seinen ältesten Freunden entsteht. Um ehrlich zu sein ist es schon fast angenehm bittersüß, nicht so ganz dazu zu gehören, für ein paar Wochen oder Monate als Besucher wie ein König behandelt zu werden und den Ort, an dem man aufgewachsen ist, mit den Augen eines Touristen zu sehen. Es ist irgendwie seltsam, aber gleichzeitig auch aufregend.
 
Moderne Architektur auf dem QUT-Campus in Brisbane Egal, wohin man schaut: immer blauer Himmel | © Luke Troynar Wenn ein Besuch jedoch zu einer unbefristeten Rückkehr wird, ändert sich das gesamte Spiel. Plötzlich ist man gezwungen, sich der seltsamen Herausforderung zu stellen, sich wie ein Außenseiter zu fühlen, der von außen sein altes Leben betrachtet und versucht Wege zu finden, etwas Altes und Vertrautes in dem scheinbar Neuen zu finden. Deine Vergangenheit wird auf einmal zu deiner Zukunft, und man muss jeglichen Dreck, den man noch aus der Vergangenheit am Stecken hat - und ich habe die Vermutung, dass jeder Langzeit-Expat noch so einigen Dreck am Stecken hat – hervorholen und aufräumen.

Die neue Normalität?

 
Nach ungefähr zwei Monaten Quarantäne bei meinen Eltern in North Fitzroy warten wir darauf, dass die Beschränkungen endlich wieder gelockert werden, und es fällt mir schwer, zwischen der COVID-bezogenen Eigenartigkeit und der allgemeinen Eigenartigkeit wieder in Australien zu sein. Beides kombiniert wird lange eines meiner seltsamsten Lebenskapiteln darstellen.
 
Ich habe das Gefühl, dass mein Leben in einer auf den Kopf gestellten Welt auf den Kopf gestellt wurde, und diese doppelte Umkehr macht mich schwindlig. Sie lässt mich nach alten und neuen Dingen gleichzeitig sehnen. Ich freue mich auf neue intellektuelle Herausforderungen und darauf, mich wieder mit Menschen meiner prägenden Jahre zu verbinden, aber gleichzeitig fühle ich auch einen Schmerz, all die Menschen und Gewohnheiten aus meiner Expat-Welt zurückzulassen, was sich anfühlt als wäre mir plötzlich ein Glied entfernt worden. Zwar ist meine Zukunft momentan sehr unklar, aber irgendetwas sagt mir, dass Berlin immer ein Teil davon sein wird.
 

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