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‘Better Times’ in Berlin

Bella bei Templehof
Bella bei Templehof | @Bella Peacock

Die Pilgerschaft von Australien nach Berlin scheint irgendetwas in Menschen zu entfachen. Jeder zweite Australier, den man hier trifft, hat eine Erweckungsgeschichte zu erzählen: die Flucht vor irgendeiner drögen oder anderweitig unbefriedigenden Existenz Down Under, um in Berlin ein ganz neues Leben zu entdecken und sein volles Potenzial zu verwirklichen.

Für Bella Peacock jedoch ging es nicht wirklich um das Hinter-sich-Lassen eines unbefriedigenden Lebens oder auch nur um eine drastische Richtungsänderung. Ihr Umzug nach Berlin für ein Englisch-Masterprogramm im Jahr 2014 entsprang viel mehr dem Wunsch, ganz bewusst den exorbitanten Gebühren für dieselbe Art von Abschluss in Australien zu entgehen. Im Großen und Ganzen gestaltet sich das Arbeitsleben der 25-Jährigen hier in etwa so wie in Sydney. Sie macht das, was sie die „klassische Studierenden-Barista-Kombo“ nennt, dazu kommt nebenher etwas freiberufliches Schreiben.
 
Bellas Berliner Eureka-Moment hatte eher mit ihrem neuesten Projekt Better Times zu tun, einer Onlineplattform, auf der Frauen von bereichernden sexuellen und Dating-Erfahrungen erzählen. Sie ist überzeugt, dass Männer und Frauen mit der richtigen Aufklärung und Einstellung überall „das schwierige Gelände der Sexualität mit Zärtlichkeit und Rücksichtnahme erfolgreich durchqueren“ können – eine Überzeugung, die durch ihre Erfahrung dessen verstärkt wird, was sie als Berlins einzigartige sexuelle Freiheit betrachtet. „Viele hier behandeln Sexualität mit großer Offenheit,“ sinniert sie. „Das Tabu um Sex ist einfach nicht so präsent wie in vielen anderen Ländern wie beispielsweise Australien.“
 

Eine entscheidende Lücke schließen

Better Times entstand aus einem Gespräch zwischen Bella und Simon Hüsken, dem Mitgründer der Website, und der springende Punkt des Projekts ist einfach, aber wichtig: im Dialog über sexuelle Beziehungen zwischen Männern und Frauen eine entscheidende Lücke zu schließen – nämlich die positive Seite der Angelegenheit aus weiblicher Sicht. In jüngster Zeit haben Bewegungen wie #TimesUp und #MeToo einen entmutigenden, beinahe endlosen Strom öffentlicher Berichte über sexuelles Fehlverhalten ans Licht gebracht – Geschichten über Nötigung, tätliche Übergriffe und Vergewaltigung. Bellas und Simons Absicht ist hierbei nicht, die sich aus diesen Geschichten ergebende Chronik zu diskreditieren, die sie für die Weiterentwicklung eines breiteren Verständnisses sexueller Gewalt für äußert wichtig halten, die sich traurigerweise nach wie vor wie ein roter Faden durch das Leben zahlreicher Frauen zieht.
 
Ihre Hoffnung ist vielmehr, eine komplementäre, positive Chronik davon aufzubauen, wie es sein könnte – eine Möglichkeit, von der Bella glaubt, dass sie in Deutschlands bekanntermaßen aufgeschlossener Hauptstadt bereits im Entstehen begriffen ist. „Da mit Sexualität in Berlin freier umgegangen wird,“ erklärt sie, „denke ich, dass die Leute hier viel besser damit klarkommen, über Themen wie Einverständnis zu sprechen. Ich glaube, einfach nur in Berlin zu leben, hat meine Beschäftigung mit Sexualität vorangetrieben und mir letztlich dabei geholfen, so weit zu kommen, dass ich mich beim Arbeiten an dieser Art von Projekten wohlfühle.“ Während die beiden den Fokus des Projekts keineswegs nur auf Beziehungen zwischen Männern und Frauen beschränken möchten, gehen sie davon aus, dass die Konversation natürlicherweise dahin tendieren wird, einfach weil „Geschlechterrollen so viele heterosexuelle Begegnungen beschädigt haben.“

Bella und ihre Freunde halten das Berliner Partyleben klassisch mit dem Fotoautomaten fest Bella und ihre Freunde halten das Berliner Partyleben klassisch mit dem Fotoautomaten fest | ©Bella Peacock Ein anderer wichtiger Faktor in der Konzeption von Better Times als Berliner Schöpfung ist die Frage der Durchführbarkeit. Weil eine gute Work-Life-Balance in Berlin häufig Realität ist – nach Bellas Dafürhalten ist das Konzept in den meisten anderen Großstädten nichts als ein Modewort –, bleibt letzten Endes wesentlich mehr Zeit für nicht-kommerzielle oder gemeinschaftliche Projekte. Zudem zollt Bella den zahlreichen anderen Kreativen in der ganzen Stadt Anerkennung, einer Gemeinschaft, die ihrer Meinung nach für fruchtbaren Boden für Initiativen dieser Art sorgt. „Kreativität erzeugt Kreativität, und so ist es an sich schon inspirierend, in dieser Stadt und unter anderen Menschen zu leben, die arbeiten und Projekte machen.“
 
Auch wenn ihre Zeit in Berlin positiv und produktiv war, wird Bella wahrscheinlich irgendwann nach Australien und damit an einen Ort zurückkehren, den sie ihrer geplanten beruflichen Entwicklung für zuträglicher hält. Zudem ist sie sich ihrer wachsenden Sehnsucht nach den Landschaften ihrer Heimat nur zu bewusst, einem Element, das in Berlins nüchterner, grauer Stadtlandschaft entschieden fehlt: „Ich vermisse die Schönheit der Landschaft. Ich vermisse ihren Geruch. Ich vermisse das Meer. Ich vermisse die Sonne. Ich spüre ihre Abwesenheit körperlich auf eine Art, die im Lauf der Zeit irgendwie schlimmer statt besser wird.“
 

Ein weiteres Kapitel in Bellas Geschichte

Während dieser Momente, in denen sie über die zentrale Rolle reflektiert, die die Natur für ihr Wohlbefinden spielt, scheint klar, dass Berlin bald nur noch ein frühes Kapitel in Bellas Gesamtbiografie sein wird. Aber in Wirklichkeit ist der tatsächliche Abschied viel schwieriger. Auch wenn sie ihren Rückflug nach Australien derzeit für Ende des Jahres gebucht hat, hat sie ihre Abreise zuvor bereits zweimal verschoben und merkt, dass sie immer unsicherer wird, ob eine Rückkehr tatsächlich die richtige Entscheidung ist. Wie so viele andere, die sich zu einem vorübergehenden Aufenthalt hier eingefunden haben, hat Berlin sie mittlerweile fest im Griff: „Ich liebe die schiere Fülle an Dingen, die in dieser Stadt los sind, und all die verschiedenen Subkulturen. Ich habe hier meine Freunde und bin glücklich.“

Bella und das australische Strandleben in Wombarra Bella und das australische Strandleben in Wombarra | ©Bella Peacock Ob Bella nun bleibt oder geht, und ob man nun an das ganze Berliner Erleuchtungsgefasel glaubt oder eher dazu neigt, das für eine im Nachhinein clever so gedeutete Befürwortung einer glücklichen Fügung zu halten, es lässt sich kaum leugnen, dass Better Times ein inspiriertes und wichtiges Projekt ist. Die Idee, einen Onlineraum ohne Grenzen aufzubauen, um jungen Frauen und Männern ein besseres Verständnis davon zu vermitteln, wie eine respektvolle und liebevolle intime Begegnung aussehen kann, verdient Anerkennung. Bella und Simon werden Better Times am 20. Oktober 2018 in der Ex-Girlfriend Gallery mit Lesungen und Diskussionen offiziell vorstellen.