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Petzolds bestechendes Märchen "Undine" hinterlässt Eindruck

Paula Beer und Franz Rogowski in Christian Petzolds Film „Undine“
Paula Beer und Franz Rogowski in Christian Petzolds Film „Undine“ | Foto (Detail): © Hans Fromm/Schramm Film

Berlinale-Liebling Christian Petzold kehrt mit einer als moderne Romanze umgesetzten Version des gleichnamigen deutschen Mythos in den Festival-Wettbewerb zurück.

Von Sarah Ward

Wenige Filmemacher haben Christian Petzolds einzigartigen Blick auf verliebte Frauen. Allerdings weisen auch wenige Filmemacher verliebten Frauen immer wieder eine so herausragende Stellung zu wie der deutsche Drehbuchautor und Regisseur. Zusammen mit Barbara, Phoenix und Transit hat sein sich um Frauen drehendes Werk den Blick intensiv auf eine ganze Reihe in Liebe entbrannter Hauptdarstellerinnen gerichtet. Auch wenn die Liebe jeder seiner Protagonistinnen Wunden geschlagen hat, definiert Romantik nie das Leben seiner Figuren. Und so ist es mehr als passend, dass Drehbuchautor und Regisseur Petzold Undine, seine moderne Version des gleichnamigen deutschen Romantikmythos, damit eröffnet, intensiv seine von Amors Pfeil getroffene Heldin (Paula Beer) in den Blick zu nehmen. Es ist ebenso passend, dass sie, während der Blick des Films auf ihr verweilt, ihrerseits ihren Geliebten ansieht.
 
Die beiden sitzen in einem Café gegenüber dem Berliner Stadtmuseum, aber es handelt sich hier nicht um einen Moment des Glücks. Wenige Minuten, bevor Undine auf der anderen Straßenseite erwartet wird, wo die Historikerin Vorträge über die Vergangenheit der Stadt hält, eröffnet ihr Johannes (Jacob Matschenz), dass er sie verlassen wird. Und so ist ihr sich verzehrender Blick einer des Kummers, nicht der Leidenschaft. Sie weint. Sie appelliert. Sie wirft zornige Blicke, und die Kamera wagt es selten, sich von ihrem Gesicht abzuwenden. Dann erinnert Undine Johannes daran, dass sie gezwungen ist, ihn zu töten, wenn er sie verlässt.

Moderne Version einer Geschichte aus dem 19. Jahrhundert

Denjenigen, die mit Petzolds Inspiration nicht vertraut sind – einer aus dem 19. Jahrhundert stammenden Geschichte über ein Wasserwesen, dem die Liebe menschliche Form verleiht, das jedoch dazu bestimmt ist, seinen Geliebten umzubringen, wenn er es jemals betrügt –, mag diese Proklamation drastisch erscheinen. Aber so will es das Märchen nun mal, auch wenn Petzold für seine in die Moderne versetzte Protagonistin mehr auf Lager hat. Nur eine halbe Stunde später kreuzen sich in derselben Bar die Wege von Undine und Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski). Er hat soeben an ihrer Tour teilgenommen und ist ihr dann gefolgt, was zu einem charmanten ersten Treffen vor einem zerberstenden Aquarium führt. Durchnässt auf dem Boden liegend, treffen sich die Blicke der beiden, ein Lächeln, und Undine hat plötzlich einen neuen Liebhaber. Paula Beer in Christian Petzold's film "Undine" Paula Beer spielte auch im Film "Transit" von Christian Petzold aus dem Jahr 2018 | © Marco Kruger / Schramm Film Von den Transit-Co-Stars Beer und Rogowski mitreißend auf die Leinwand gebracht, blüht die Romanze zwischen Undine und Christoph rasch auf. Er nimmt sie zum Tauchen mit, sie übt vor seinen interessierten Ohren ihre Vorträge. Selbstverständlich bezieht Undine seine dramatische Spannung aus dem Konflikt zwischen dieser glücklichen Beziehung und dem Wissen, dass Undines Worte an Johannes nach wie vor wahr sein könnten. Das ist Petzolds Zusatz zu der Erzählung – und er könnte nicht entscheidender sein. Undine ist nicht einfach eine Frau, die sitzen gelassen wurde, sondern eine, der es gestattet ist, sich wieder zu verlieben. In typischer Petzold-Manier lässt sich ihre Vergangenheit jedoch nicht so einfach abschütteln.

Vergangenheit und Gegenwart

Anders als in Transit spielt Petzold nicht mit seiner Epoche. Undine nach Berlin zu verlegen und seinen Figuren die Aufgabe zu übertragen, über die Ursprünge der Stadt zu sprechen, zeitigt jedoch einen ähnlichen Effekt. In seinen penibel aufgenommenen Bildern hinterfragt der stets genau sondierende Filmemacher auch weiterhin die Macht der Geschichte über die Gegenwart. „Fortschritt ist unmöglich“, ruft Undine bei einem ihrer Vorträge aus.

Es ist ein düsterer Kommentar, aber der Film greift durchgängig auf diesen Satz zurück, während er Undines Geschichte Stück für Stück erzählt. Undine tut dies mit einer Prise Übernatürlichem, das sich in diese vom Schicksal überschattete Romanze mischt, aber der Film ist Petzolds bestechendes, entrückendes, aber trotz allem nüchternes Märchen. Mit anderen Worten, es ist genau der Film, den der Drehbuchautor und Regisseur aus dieser Geschichte immer gemacht hätte

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