Future Perfect
Die Rückkehr der Textilindustrie

Sina Trinkwalder, Gründerin und Inhaberin von manomama
Sina Trinkwalder, Gründerin und Inhaberin von manomama | Foto (CC BY-NC-ND 3.0 DE): Michael Schrenk/FUTURZWEI

Sina Trinkwalder hat geschafft, was alle Experten für unmöglich erklärt hatten: eine Textilfabrik in Deutschland aufzubauen und dort anständige Löhne zu zahlen.

Mitten in Augsburg steht eine außergewöhnliche Fabrik. Durch eine Glastür betritt die Besucherin eine lila gestrichene Werkshalle. Der helle Raum ist erfüllt vom Brummen, Surren und Rattern Dutzender Nähmaschinen, an denen Frauen rote und geblümte Stofflagen hurtig zu Baumwolltaschen verarbeiten und diese anschließend auf Holzpaletten stapeln. Zwei Männer spulen Stoff von riesigen Rollen ab und schichten die Bahnen zu handflächenhohen Packen, bevor eine Maschine daraus Stapel millimetergenauer Zuschnitte anfertigt. Weiter hinten steppen Kolleginnen Jeans, Wickel- kleider und Unterhosen.

140 Leute arbeiten bei manomama – überwiegend solche, die jedes Jobcenter als Menschen mit »multiplen Vermittlungshemmnissen« klassifizieren würde oder die auf dem Arbeitsmarkt schlechte Karten haben: Alleinerziehende, Ältere, Migrantinnen, Leute mit Behinderung oder ohne Schulabschluss. Doch hier hat jede und jeder einen unbefristeten Arbeitsvertrag und verdient mindestens zehn Euro pro Stunde; wer das doppelte Pensum schafft, erhält 20 Euro. Verarbeitet werden ausschließlich Biostoffe – schließlich sollen auch in den Zulieferbetrieben anständige Bedingungen herrschen und Umweltbelastungen vermieden werden.

»Der Zusammenhalt unter uns Frauen ist sehr familiär«, berichtet Roswitha Schlotte. Für die 60-Jährige, die früher in der DDR-Textilwirtschaft gearbeitet hat, ist die Stelle bei manomama der erste feste Arbeitsplatz in Augsburg. Vorher hat sie befristet in einer Wäscherei geschuftet und einen vom Arbeitsamt geförderten Computerkurs absolviert, immer wieder war sie arbeitslos. Als sie aus der Zeitung erfuhr, dass die manomama-Chefin Sina Trinkwalder insbesondere ältere Frauen und Alleinerziehende suchte, hat sie sofort eine Bewerbung geschrieben und persönlich vorbeigebracht. »Das war gleich alles so locker hier«, erinnert sich die gelernte Näherin, die es mit einem Sechser im Lotto vergleicht, dass sie in ihren geliebten Beruf zurückkehren konnte.

Wahnsinnig erfolgreich

Als Sina Trinkwalder im Frühjahr 2010 antrat, Textilunternehmerin zu werden, hatten viele sie für verrückt erklärt: Unter den Bedingungen des Weltmarkts sei es rechnerisch unmöglich, Alltagskleidung in Deutschland herzustellen, hieß es allenthalben. Doch die Frau, die mit Werbung in sehr jungen Jahren sehr viel Geld verdient hatte, ließ sich nicht beirren und baute zunächst eine kleine Manufaktur auf. Als sie dann bei einer Festveranstaltung den Geschäftsführer der dm-Drogeriemärkte Erich Harsch kennenlernte, witterte sie ihre Chance, eine große Zahl an Arbeitsplätzen langfristig zu sichern. Und so bekam manomama das Angebot, jährlich eine Million Baumwollbeutel zu produzieren.

Trinkwalder sagte zu, die erste Charge ein halbes Jahr später zu liefern – obwohl sie zum damaligen Zeitpunkt dafür weder Räume noch ausreichend Personal, die geeigneten Stofflieferanten oder den notwendigen Maschinenpark hatte. Doch es gelang ihr, alles rechtzeitig zu organisieren: Sie fand die Halle im Zentrum Augsburgs, ein Gerätehersteller zauberte Nähmaschinen herbei, auf die man unter normalen Umständen drei Monate warten muss, und Trinkwalder stellte reihenweise Leute an. So wurden die knallfarbenen dm-Beutel punktgenau fertig. Und schon rollte der nächste Großauftrag heran. Sofort musste weiteres Personal her. Und so weiter und so fort. Inzwischen gehört neben dm auch Edeka zu manomamas Kundschaft, ebenso die Supermarktkette real, die Unterwäsche und Jeans ordert.

Der Laden läuft – und das wohl gerade deshalb, weil Sina Trinkwalder sich nicht an die branchenüblichen Bedingungen hält. Einen Businessplan hat sie nie geschrieben, denn so etwas hält sie für »Reißbrettscheiße«. Auch hat sie nie einen Bankkredit oder eine staatliche Förderung bekommen, was sie inzwischen freut: »Ich bin völlig unabhängig und kann jedem Banker sagen, er soll sich verpissen.« Sie ist derb, spontan und direkt, schaut ihrem Gegenüber in die Augen, lacht viel und wirkt frei von jedem Stress. Weil sich das auf ihre Umgebung überträgt, kann sie auf Unterstützung zählen, wenn sie welche braucht. Die manomama-Chefin hat schon Maschinen per Crowdfunding finanziert, und als das Geld einmal nicht reichte, erließ ihr ein Lieferant einen Teil der Rechnung, weil er wusste, dass der Fortgang des Unternehmens davon abhing.

Wir sind manomama

Autoritäten qua Position existieren für Sina Trinkwalder nicht. Als sie vor einer Talkshow dem Arbeitgeberpräsidenten Ulrich Grillo begegnete und der es nicht nötig fand, sich vorzustellen, pflaumte sie ihn an. SPD- Kanzlerkandidat Peer Steinbrück durfte die manomama-Fabrik zwar im Wahlkampf besuchen – aber nur ohne Presse. »Ich dachte, Sie seien ein arroganter Sack – aber mit Ihnen kann man ja reden«, verabschiedete Sina Trinkwalder den Politiker schließlich. Ihre Angestellten dagegen nennt sie Ladies und Gentlemen, und in der Werkshalle hängen an jeder Säule auf kleinen Zetteln die Grundregeln des Unternehmens: »Wir sind alle gleich. Wir sind ehrlich zueinander. Wenn mir was nicht gefällt, sage ich es. Wir halten zueinander. Wir sind manomama.« Welt retten muss Spaß machen, ist Sina Trinkwalders Devise: »Niemand hat schließlich Lust, von notorischen Zeigefingerschwingern drangsaliert zu werden.« Einen Langfristplan hat sie nicht, Fehler nimmt sie weder sich selbst noch anderen übel. »Alles wird gut, und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht fertig«, ist ein weiteres Motto, das aus ihrem Mund zu hören ist.

Die Kalkulation bei manomama ist so einfach wie transparent: Trinkwalder zählt Material-, Energie- und Lohnkosten zusammen, addiert den Aufwand für Maschinen und Transport und kommt so auf den Preis, den sie von den Einzelhandelsketten verlangt. Jedem, der bei ihr bestellen will, macht sie unmissverständlich klar, dass sie weder die Stoffhersteller herunterhandeln noch ihre Arbeiterinnen antreiben oder im Lohn drücken werde. Dass ihre Jeans dennoch nicht teurer sind als andere Markenware liegt daran, dass Sina Trinkwalder selbst wenig verdient und auch für Werbung kein Geld ausgibt. manomamas Marketing sind Trinkwalders Talkshowauftritte, bei denen sie Politikern und Wirtschaftsbossen Paroli bietet und überzeugend darlegt, dass es möglich ist, in Deutschland zehn Euro Stundenlohn zu zahlen.

Das alles ist für die Kunden nachvollziehbar – so sind Transparenz und Fairness die schärfsten Waffen der 36-Jährigen. Käuferinnen von manomama-Hosen bei real sollten, so Trinkwalders Vorstellung, mittels eines Anhängers neben dem Preisschild erfahren, wie sich die Summe zusammensetzt, die sie letztlich bezahlen müssen. Die Supermarktkette war zuerst gegen ein solches Infoschildchen. Da hat die manomama- Gründerin die Lieferung zur Disposition gestellt. »Die Leute sollen mit dem Anhänger zu Gucci gehen und fragen können, warum die Hosen da so teuer sind, obwohl die Näherinnen so wenig verdienen«, so ihre Idee. Inzwischen liegen manomama-Hosen deutschlandweit in real-Märkten; mit Anhänger.

Wunder muss man selber machen heißt das Buch, das Sina Trinkwalder geschrieben hat. Das Handelsblatt urteilte, ein Wirtschaftsbuch sei es nicht. Großartig, findet Sina Trinkwalder. Von traditionellen Ökonomen hält sie schließlich eh nichts.