Future Perfect
Von Bürgermeistern und Gorillas

Foto (CC BY-NC-ND 3.0): Daniel Delang

Eine Stadt, zwei Teile, fein separiert nach arm und reich. Gentrifizierung, Entmietung, Luxussanierung: Goldgrund Immobilien macht’s möglich!

Wenn man heute in einer deutschen Großstadt lebt, kann einem schwindelig werden angesichts der rasant steigenden Mieten und Immobilienkaufpreise. Noch schwindeliger wird einem, wenn man darüber nachdenkt, dass eine Menge Menschen sich nicht mehr leisten können, in so einer Stadt zu leben, besonders dann nicht, wenn sie ihre Wohnung wechseln müssen. Strafverschärfend kommt dazu, dass das sogenannte untere Ende der Gesellschaft immer größer wird, also immer mehr Menschen von der sich vertiefenden Segregation betroffen werden. Einfacher formuliert: Die Stadt wird einförmiger; die Städte werden über die Mieten sozial entmischt; ärmeren Leuten stehen die Zentren nicht mehr zur Verfügung.

Den Feind gut gelaunt mit seinen eigenen Waffen schlagen

Dass diese Verdrängung gerade in einer Höchstpreisstadt wie München Menschen wütend macht, ist leicht zu verstehen. Auch der Filmemacher Christian Ganzer, der Veranstalter Till Hofmann und der Journalist Alex Rühle, alle drei alteingesessene Münchner, dachten irgendwann: Es reicht! Und sie dachten: Bevor man wieder nur mit drögen Pappschildern demonstriert, sollte man den Feind gut gelaunt mit seinen eigenen Waffen schlagen. Also gründeten sie die Goldgrund Immobilien Organisation, einen »internationalen Premium Bauträger«. Sie verkleideten die Galerie Truk Tschechtarow, die zu Till Hofmanns Lach- und Schießgesellschaft gehört, für einige Wochen als Maklerbüro. Und sie ließen einen Flyer drucken, in dem eine Bebauung der Münchner Freiheit beworben wurde, ein öffentlicher Platz im gentrifizierungsgeplagten Schwabing und gleichzeitig eine Art Wahrzeichen des Stadtteils. In so glattem wie zynischem Maklersprech wurde der »Arche de Munich« angepriesen, ein »Traumobjekt für finanzielle Highperformer«, das seinen Investoren einiges versprach: »In Zeiten sozialer Kälte bieten wir ein behagliches und sicheres Refugium – damit Sie Ihre ganz eigene Münchner Freiheit genießen können.« Auch für den unteren Teil der Gesellschaft würde gesorgt, in Form von Putzjobs: »Jedes unserer edlen Objekte generiert neue Arbeitsplätze.«

5000 Flyer warf Goldgrund in Schwabinger Briefkästen und lud zu »Schnäppchen und Häppchen«. Die empörten Münchner strömten herbei – und bekamen keine Loft-Schnäppchen oder gar Häppchen vorgesetzt, sondern ein Symposium »Wem gehört die Stadt? Den Investoren oder uns?« Kurzum: Ganzer, Hofmann und Rühle machten den Skandal sichtbar, indem sie ihn kopierten. Das war das erste Projekt von Goldgrund Immobilien. Das zweite ging einen Schritt weiter, und zwar direkt in die Praxis.

Doch sanierbar

In unmittelbarer Nähe eines der raren Münchner Zentren der ungeordneten Entfaltung intelligenter Praxis vom Fußballspielen bis zur Kinderbetreuung, der Glockenbachwerkstatt, sollten drei Wohngebäude abgerissen werden, weil sie, so die Begründung der Stadt, nicht sanierbar seien. Dem Münchner Trend der letzten Jahre folgend würde das heißen: Luxusneubau, für Anwohner nicht finanzierbare Wohnungen, steigender Mietspiegel. Das war die Geburtsstunde der ersten Guerilla-Sanierung der Geschichte: Ein Team, bestehend aus den Goldgrund-Aktivisten, versierten Handwerkern und Eltern aus der Glockenbachwerkstatt, lieferte zu belegbaren Sachkosten von 3200 Euro eine nicht luxuriös, aber auf einen anständigen Standard renovierte Wohneinheit. War also nix mit »nicht sanierbar«.

Die Guerilla-Renovierung wurde mit einem Video publik gemacht, in dem auch Sympathisanten wie Fußballer Mehmet Scholl und Kabarettist Dieter Hildebrandt in Gorillakostümen zur Musik der Blechblasband Moop Mama den Pinsel schwangen. Der Clip wurde in einem halben Tag 80.000-mal angesehen und rief schließlich auch den damaligen Oberbürgermeister Christian Ude auf den Plan, der die Wohnung höchst persönlich in Augenschein nahm und sich verwundert zeigte, dass das Parkett tatsächlich echt war: Goldgrund-Standard eben. Das gute Ende dieser Geschichte: Das Kommunalreferat änderte die Planung, und das Gebäude Müllerstraße 6 wurde saniert. Die beiden Nachbargebäude, Müllerstraße 2 und 4, sind inzwischen ebenfalls gerettet. Die Stadt hat zudem beschlossen, die Gebäude der Genossenschaft zuzusprechen, die die Goldgrund-Leute 2014 ins Leben gerufen hatten, unter dem Namen Bellevue di Monaco eG. Nach der Renovierung will sie dort eine Unterbringung für rund 40 Flüchtlinge mit Lernräumen für Beratung und Unterstützung betreiben.

Prima Stimmung, schäumender Oberbürgermeister

Aber Goldgrund diversifiziert: Unter dem Motto »Wir können nur spekulieren« veranstaltete der Premium-Makler im Oktober 2013 eine Stadtrundfahrt zu Orten der Gentrifizierung oder Entmietung. Ziel war ein sehr schönes Gründerzeithaus vis à vis der Staatskanzlei, das zwar 850 Quadratmeter Wohnfläche, aber nur noch eine einzige Bewohnerin aufweist. Das im städtischen Besitz befindliche Haus steht seit dem Jahr 2002 auf der Sanierungsliste, alle anderen Bewohner wurden bis 2011 »entmietet«, aber die Leidenschaftslosigkeit der Verwaltung machte unvorstellbar, dass hier jemals wieder Wohnraum entstehen könnte.

Goldgrund ließ die leeren Etagen des Hauses bespielen: Neben dem Kabarettisten Gerhard Polt richteten sich stadtbekannte Adressen wie der Boxclub von 1860 München oder das Atomic Café ein, die ihre angestammten Häuser hatten verlassen müssen. Für Hunderte Besucher und auch die schnell eingetroffene Polizei (schließlich handelte es sich um eine illegale Hausbesetzung) ergab das alles eine prima Stimmung. Natürlich entstand auch das nächste Goldgrund-Video mit viel Münchner Prominenz. Und die Leerstandspolitik der Stadt bekam die nächste öffentliche Ohrfeige, die wiederum den Oberbürgermeister zum Schäumen brachte. Der machte diejenigen in der Verwaltung ausfindig, die das Gründerzeithaus so nonchalant verkommen ließen. Auch für dieses Haus wurde eine Sanierung beschlossen, die aber noch aussteht.

Der nachhaltigste Erfolg dieser Aktion ist allerdings darin zu sehen, dass Oberbürgermeister Ude mit der SPD und den Grünen veranlasste, dass alle städtischen Dienststellen und Einrichtungen künftig alle Leerstände melden müssen. Sollte der Leerstand länger als ein halbes Jahr andauern, wird der Raum für Zwischennutzungen freigegeben. Und: Solange kein Sanierungskonzept vorliegt, sind Entmietungen verboten.

Man sieht: Wenn Wut, soziale Intelligenz und schlaue Kommunikation zusammenkommen, geht eine Menge – auch dort, wo sonst stoisch behauptet wird, dass nichts gehe. Mal schauen, wo künftig sonst was geht. Inzwischen gibt es eine Goldgrund-Academy, die Bluff-Kurse, aber auch „Yoga für beengtes Wohnen“ anbietet, und wir gehen davon aus, dass diese Firma auch für die Zukunft noch Einiges im Portfolio hat.