Future Perfect
Unser Land schützen

Seed beim People’s Climate March im November 2015 in Melbourne.
© Flash Mob Photography

Der Klimawandel betrifft jeden – aber längst nicht jeden im gleichen Maße. Wenn den Auswirkungen des Klimawandels nichts entgegen gestellt wird, ist der Fortbestand einiger der ältesten Kulturen der Welt bedroht. Eine rein indigene Gruppe von Jugendaktivisten in Australien stellt sich dieser Herausforderung.

Als Larissa Baldwin zum ersten Mal von Australiens erstem Jugendgipfel für Klimawandel-Aktivisten hörte, dachte sie, sie hätte ihresgleichen gefunden. Sie kaufte ein Ticket, plante, an welchen Vorträgen und Workshops sie teilnehmen wollte, und fuhr dann zu PowerShift 2011 nach Brisbane.„Als ich zur Tür hereinkam und mich im Foyer umsah, wäre ich beinahe direkt wieder gegangen. Ich konnte niemanden wie mich sehen. Es war ein Meer von Weiß.“ Larissa ist eine Aborigine der Bundjalung-Nation, eine von über 500 Nationen, die es heute in Australien gibt. „Ich suchte mir einen Platz ganz hinten. Aber bevor die Eröffnungsrede vorbei war, war ich schon weg.“

Larissas Beitrag zum Klimaaktivismus endete jedoch nicht an jenem Tag. Statt der Australian Youth Climate Coalition (Australische Jugend-Klimakoalition, AYCC), der Organisation, die den Gipfel organisiert hatte, den Rücken zu kehren, wurde sie Mitglied. Larissa half der AYCC ehrenamtlich bei der Koordinierung von PowerShift 2013, um sicherzustellen, dass diesmal mehr ‚Blackfellas’ wie sie im Raum sein würden. Bei diesem Gipfel brachte auch die AYCC zum Asudruck, dass sie mehr als nur eine Handvoll Aborigine-Stimmen brauchte: Sie brauchte eine exklusive Schwester-Organisation, die von und für junge Aborigine-Aktivisten betrieben würde. Und so wurde Australiens erstes rein indigenes Jugend-Klimanetzwerk Seed gegründet und Larissa zur nationalen Co-Direktorin ernannt.

Der Keim einer Bewegung

Larissa, heute 29, absolvierte an der Queensland University of Technology ein Doppelstudium in Medienkommunikation und Gesundheitswissenschaften. Nach dessen Abschluss wurde sie zur Kommunikationsreferentin des Stronger, Smarter Institute ernannt, einer Organisation, die indigene Führungsfähigkeiten in Schulen in ganz Australien fördert.
 
  • Teilnehmende des Seed-Gipfels 2014 in Sydney. © Seed
    Teilnehmende des Seed-Gipfels 2014 in Sydney.
  • Der People’s Climate March (Klimamarsch des Volkes) im November 2015 in Melbourne. © Flash Mob Photography
    Der People’s Climate March (Klimamarsch des Volkes) im November 2015 in Melbourne.
  • Seed beim People’s Climate March im November 2015 in Melbourne. © Flash Mob Photography
    Seed beim People’s Climate March im November 2015 in Melbourne.
  • Larissa Baldwin, eine der zwei Seed-Gründerinnen (Mitte). © Jeff Tan Photography
    Larissa Baldwin, eine der zwei Seed-Gründerinnen (Mitte).
  • Amelia Telford, die andere der zwei Seed-Gründerinnen. © Seed
    Amelia Telford, die andere der zwei Seed-Gründerinnen.
Larissas Co-Direktorin ist die 22-jährige Amelia Telford, die ebenfalls der Bundjalung-Nation angehört. Amelia lehnte einen Studienplatz an der medizinischen Fakultät der Universität von New South Wales ab, um bei Seed die Zügel in die Hand zu nehmen. „Als mir bewusst wurde, dass der Klimawandel nicht nur die Orte in Mitleidenschaft zieht, die mir am Herzen liegen, sondern auch die Menschen und unser kulturelles Erbe, war mir klar, dass ich aktiv werden musste“, erklärt Amelia.

Als die beiden Seed gründeten, machten sie deutlich, dass „Wir möchten, dass Aborigines auch weiterhin auf ihrem Land leben können.“ Aborigines nehmen mit „Land“ auch auf die kulturellen Traditionen der Region Bezug, in der eine indigene Person lebt oder aus der ihre Vorfahren stammen. Der Klimawandel bedroht die uralte Lebensweise der Aborigines. Buschfeuer brechen heutzutage beinahe ganzjährig aus, Dürren sind häufiger und Überflutungen katastrophaler. Und die 7000 Menschen, die auf den zwischen der Nordküste Australiens und dem Süden Papua-Neuguineas gelegenen Torres-Strait-Inseln leben, müssen bereits jetzt mit dem Anstieg des Meeresspiegels rechnen.

„Dass unsere Völker die ersten Umweltaktivisten oder Naturschützer waren, ist kein neues Konzept“, erklärt Amelia. „Das war schon immer Teil unserer Kultur und dessen, was wir sind.“

So blühen Veränderungen auf

Mehr als die Hälfte aller Aborigines und Torres-Strait-Insulaner sind unter 25. Und da junge indigene Aktivisten aus ganz Australien sich dem Netzwerk anschließen, wächst Seed stetig weiter. Heute beschäftigt Seed 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bereichen Spendensammlung, Kampagnenarbeit und einem Bildungsteam, das Sekundarschulen besucht. Aber die wahre Stärke des Netzwerks liegt in den Tausenden Freiwilligen in ganz Australien, darunter auch in entlegenen indigenen Gemeinden. Ein Kern von etwa 100 dieser Ehrenamtlichen engagieren sich regelmäßig und zu festen Zeiten.

Seed bringt jungen Aborigines bei, wie man Demonstrationen organisiert, Kampagnen durchführt, medienwirksame Aktionen inszeniert und Gespräche über die Notwendigkeit anfängt, etwas gegen die Klimakrise zu tun. Die Effekte der Organisation sind allerdings vielschichtiger als nur den Bereich Klimaaktivismus zu betreffen. „Seed hat nicht die nötigen Kapazitäten, um alle Probleme zu bekämpfen, mit denen junge Aborigines heutzutage konfrontiert sind“, sagt Baldwin. „Deshalb stellen wir sicher, dass das Training, das wir durchführen, sich übertragen lässt. Wenn die jungen Menschen die nötigen Fertigkeiten erlernen können, um Veränderungen zu bewirken, können sie diese auch nutzen, um Probleme wie Selbstmord unter indigenen Jugendlichen, Wohnungsfragen, indigene Gesundheit, Landrechte und so weiter anzugehen.“

Aufgrund der vielen abstrakten Zahlen und seiner weit in der Zukunft liegenden Konsequenzen kann der Klimawandel schwer zu verstehen und leicht abzutun sein. „Über die wissenschaftliche Seite des Klimawandels zu sprechen ist eine sehr ‚weiße’ Art, den Klimawandel zu bekämpfen“, erklärt Larissa Baldwin. „Das funktioniert in indigenen Gemeinden nicht wirklich, weil die Bildung im Schnitt niedriger ist und Englisch jemandes vierte oder fünfte Sprache sein kann.“ Larissa spricht ihre Muttersprache, Widjabul, aber in ganz Australien werden etwa 150 indigene Sprachen gesprochen.

„Daher reden wir nicht vom ‚Klimawandel’, wir reden davon, ‚unser Land zu schützen’. Und wenn man mit Aborigines darüber spricht, fangen sie an, lauter Dinge aufzulisten, die eine Folge des Klimawandels sind. Wir müssen sie nicht davon überzeugen, dass der Klimawandel real ist. Sie leben auf ihrem Land. Sie sehen, was die meisten Australierinnen und Australier nicht sehen.“

Ideen, die Früchte tragen

Larissa gibt zu bedenken, dass Seed zwar viel von der AYCC lernt, jedoch viele der Taktiken, die die Australian Youth Climate Coalition einsetzt, in Aborigine-Gemeinden nicht funktionieren. Letztes Jahr versuchte beispielsweise die AYCC-Kampagne Dump Your Bank (Lass deine Bank sitzen) die Bevölkerung davon zu überzeugen, ihre Bank zu wechseln, wenn diese die Ausweitung des Abbaus fossiler Brennstoffe finanzierte.

Viele Menschen in indigenen Gemeinden verfügen jedoch nur über BasicsCards (Sozialhilfe-Geldkarten) und können ihr Geld somit nicht woanders anlegen. Daher wählte Seed einen anderen Ansatz. „Wir schickten eine Email an 5000 Angestellte aller großen Banken. Wir erklärten, was es für indigene Gemeinden bedeuten würde, wenn Bergbauprojekte auf unserem Land vorangetrieben würden – Bergbauprojekte, die ihr Arbeitgeber finanziert. Wir legten eine Umfrage bei, um auszuloten, was Bankangestellten wichtig ist, und die Antworten waren überwältigend: Es gab Menschen, die gewillt waren, ihren Job zu kündigen, wenn ihre Bank nicht aufhörte, den Rohstoffabbau zu fördern. Die Banken konnten ihre eigenen Angestellten nicht ignorieren, also gaben sie Stellungnahmen ab, in denen sie sagten, sie würden die Bergbauprojekte nicht finanzieren. Das war eine sehr erfolgreiche Kampagne.“

Seed finanziert sich ausschließlich aus Spenden, darunter kleine Geldspenden, monatliche Förderer und große Privatspenden. Zu den Gründungsprinzipien der Organisation gehört es, keinerlei Firmen- oder Regierungsgelder anzunehmen. So bewahrt sie sich die Freiheit, Druck auszuüben, wo immer dies notwendig ist.

Uralte Wurzeln statt Löcher im Boden

Australien ist einer der weltweit größten Exporteure fossiler Brennstoffe. Larissa argumentiert, dass Australiens Bergbauindustrie nicht nur Kohlenstoffemissionen verursacht, sondern auch ein Ort des strukturellen Rassismus ist. „Wir lehnen ab, dass der einzige Weg zu wirtschaftlichen Vorteilen der Verkauf unseres Landes an diese Unternehmen ist. Und die einzigen Regierungsinvestitionen für indigene Gemeinden sind für den Bergbau bestimmt. Wir halten das für falsch. Bergbau ist das, was die Leute machen, wenn sie keine anderen Optionen haben.“ Seed hält deshalb die Klimakrise auch für eine Chance, eine gerechtere und nachhaltigere Welt zu verwirklichen.

Larissa sprach kürzlich in Borroloola am Golf von Carpentaria. „Wir führten mit den Leuten vor Ort ein paar Workshops über Beschäftigungsmöglichkeiten durch. Bildung und Ökotourismus waren die größten Interessengebiete, die wir identifizierten.“ Sie fuhr fort: „Der Grund, dass wir in Aborigine-Gemeinden wie Borroloola so gut akzeptiert werden, ist, dass wir nie hinkommen und versuchen, die Leute für unsere Zwecke einzuspannen. Wir halten Aborigines nicht aktiv davon ab, im Bergbau zu arbeiten oder Landnutzungsvereinbarungen zu unterschreiben. Wir versuchen nur sicherzustellen, dass sie das nötige Wissen haben, um die beste Wahl zu treffen. Wir kommen, um zu informieren, um die Menschen in die Lage zu versetzen, eine selbstbestimmte Wahl zu treffen.“