Bicultural Urbanite
Hält Berlin, was es Künstlern verspricht?

Jota Mombaça tritt am Goethe-Institut in Sydney auf
Jota Mombaça tritt am Goethe-Institut in Sydney auf | © Wesley Nel

Schon vor den kürzlich erfolgten Schließungen der Berliner Theater und Galerien aufgrund des Coronavirus wurde das Leben in der deutschen Hauptstadt für Künstler schwieriger. Im Goethe-Institut in Sydney sprachen drei Künstler darüber, wie sich das Leben in der deutschen Hauptstadt verändert.

Von André Leslie

Nebel strömt um Jota Mombaça's Füße. Hypnotische Verse erklingen über das Lautsprechersystem, während der Raum zunehmend im Nebel verschwindet.

„Das konzeptionelle Problem mit der Idee der Geschlechterfluidität in einem Kontext verallgemeinerter Pluralität ist, dass mein Geschlecht nicht fluide ist. Wie kommt das?" rezitiert Jota Mombaça.

Jalousien blocken die australische Nachmittagssonne in der Konzerthalle des Goethe-Instituts in Sydney, die Spoken-Word Performance verwandelt die Konzerthalle in einen magischen Raum – und für einen Moment konnte das Publikum sich vorstellen, in ein spätabendliches Berliner Theater spaziert zu sein.

Damit begann eine Podiumsdiskussion im Rahmen der Sydney Biennale, an der drei Künstler - Mombaça, Vajiko Chachkhiani und Andrew Rewald - teilnahmen, um von ihren Erfahrungen als Künstler in Berlin zu erzählen.

Verschwinden

„Meine Idee, nach Berlin zu ziehen und dort zu bleiben, begann mit dem Gedanken, unsichtbar sein zu wollen“, erklärt Jota Mombaça. „Ich denke, das ist einer der Gründe, warum ich nach Berlin gegangen bin. Ich habe das Gefühl, mich in all dieser verrückten Atmosphäre verstecken zu können. “

Jota Mombaça arbeitet sowohl als Performer als auch als Schriftsteller und reiste 2015 erstmals nach Berlin, nahm 2017 an der Berliner Biennale teil und hat seitdem mit verschiedenen Kunstinstitutionen in der ganzen Stadt zusammengearbeitet.

„Ich komme immer dann an Orten an, wenn sie gerade anfangen, ihre Coolness verlieren. Immer, wenn ich irgendwo hinkomme, sagen die Leute: „Oh ja, früher war es hier echt cool, aber jetzt ist das vorbei.“ Und ich denke: „Verdammt – und ich komme natürlich jetzt erst.“

Auch wenn die Stadt einen Teil ihres Images verloren hat, bleibt sie zu diesem Zeitpunkt dennoch ein wichtiger Ort, sagt Jota Mombaça.

„Weil Berlin ein so alternativer Ort ist, beeinflusst er auch, wie Institutionen über sich selbst denken – sowohl in Bezug auf künstlerische Praktiken als auch auf politische Diskurse. Die als interessant behandelten Themen sind das, was die Stadt von anderen europäischen Städten unterscheidet.“ 
Jota Mombaça, Andrew Rewald, Sonja Griegoschewski und Vajiko Chachkhiani am Goethe-Institut in Sydney
Vor der Ausgangssperre: Jota Mombaça, Andrew Rewald, Goethe-Institut Australien Institutsleiterin Sonja Griegoschewski und Vajiko Chachkhiani | © Wesley Nel

Zeiten der Gentrifizierung

Der georgische Künstler Vajiko Chachkhiani ist umsichtiger, wenn es darum geht, Berlin zu loben. Er war 2008 im Rahmen seines Studiums zum ersten Mal dort und sagt, dass sich die Dinge seitdem definitiv geändert haben.

„Damals gab es viele Partys. Es war cool, es war schön. Man konnte dort viele Künstler treffen, aber ich glaube, viele ziehen jetzt weg“, sagt er.

„Dank der geringen Kosten gibt es immer noch viele Künstler. Aber mit der heutigen Gentrifizierung wird alles immer teurer.“

Trotz der steigenden Kosten plant Chachkhiani, der auch als Filmemacher arbeitet, dieses Jahr für ein Projekt nach Berlin zurückzukehren. Die Zeit, die in der deutschen Hauptstadt verbracht hat, habe ihm geholfen, bestimmte Aspekte seiner künstlerischen Prozesse zu verbessern.

„Ich habe in Deutschland etwas wirklich Cooles über die Stärken des Images gelernt. Dank meiner Künstlerkollegen lernte ich, die Wichtigkeit eines Bildes selbst zu artikulieren, auch ohne Hintergrundgeschichte.“
"Melde" - ein Werk von Andrew Rewald als Teil seiner Ethnobotanicals-Reihe
"Melde" - ein Werk von Andrew Rewald als Teil seiner Ethnobotanicals-Reihe | © Andrew Rewald

Seinen Stamm finden

Der australische Ökokünstler Andrew Rewald lebt jetzt wieder Down Under, hat aber mehrfach in Berlin gearbeitet. Bei einem Besuch war er an einem einzigartigen botanischen Projekt im verlassenen Berliner Themenpark Spreepark beteiligt.

„Ich hatte meine künstlerische Praxis in Australien weiterentwickelt und ging 2016 nach Berlin, um mich in ein Umfeld zu begeben, in das ich und meine künstlerische Arbeit rein passen würden“, sagt er.

Der Queenslander, der weiterhin stolz auf die deutschen Wurzeln seiner Familie ist, sagte, dass das Publikum zwar von seiner Arbeit begeistert sei, es jedoch immer noch schwierig sei, eine Gruppe von Menschen zu finden, die sich mit seinem speziellen Kunstgebiet befasst.

„Wenn man sich in diesem riesigen kreativen Umfeld aufhält, merkt man, dass es all diese verschiedene Stämme gibt. Ich habe mich gefragt: “Von welchem Stamm, welcher Subkultur, soll ich hier ein Teil sein?“

„Ich fand die Deutschen im Allgemeinen viel empfänglicher für die Art von Arbeit, der ich nachging. Das war zwar fantastisch, aber ich habe nie wirklich meinen eigenen Stamm gefunden. Ich hatte erwartet, einen Stamm exzentrischer Kunst zu finden, aber am Ende fand ich so viel mehr.“
Der australische Künstler Andrew Rewald leitet einen Pflanzen-Workshop im Berliner Spreepark
Der australische Künstler Andrew Rewald leitet einen Pflanzen-Workshop im Berliner Spreepark | © Frank Sperling

Das Urteil

Alle drei Künstler sind sich einig, dass Gentrifizierungs- und Erschwinglichkeitsprobleme Berlin momentan hart treffen – eine Stadt, die dereinst von einem ehemaligen Bürgermeister als „arm, aber sexy“ beschrieben wurde.

„Es ist kompliziert“, sagt Jota Mombaça. „Am Ende ist Berlin nur eine Stadt. Wie alle Städte hat es gute und schlechte Seiten. Es kann gleichzeitig sowohl gut als auch schlecht sein, dort zu leben.“

Jota Mombaça argumentiert jedoch, dass Berlin wegen seiner großen alternativen Szene immer noch ein attraktiver Ort für Künstler ist.

„Hier in Berlin ist die Undergroundkultur Mainstream.“

"Wenn man an einem Ort wohnt, an dem Underground die Hauptkultur ist, muss man den Mainstream nicht kritisieren. Man muss über die Undergroundkultur selbst nachdenken und sie näher erläutern. Das ermöglicht es uns, Werke herzustellen, die nicht nur exzentrisch sind, sondern sich sogar darüber hinaus erheben.“

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