Future Perfect
Mit Bienen hoch hinaus

Rooftop Honey
© Wesley Nel

Die Bienen, die auf den Dächern der australischen Stadt Melbourne leben, führen alles andere als ein Hundeleben – frei von der Varroamilbe, die den Rest der Welt heimsucht.

„Willkommen auf dem Dach!“ Nach einer Klettertour kommen wir außer Atem auf dem Alfred-Deakin-Gebäude am berühmten Federation Square mitten im Herzen von Australiens zweitgrößter Stadt Melbourne an. „Wir sind am Anfang der Saison immer total unfit, und dann macht man alle zwei Wochen gleich ein paar von diesen Klettertouren.“

Gekleidet in etwas, das wie ein weißer Raumanzug und ein Helm mit Netz vor dem Gesicht aussieht, könnte Imkerin Vanessa Kwiatkowski einem Science-Fiction-Film entstiegen sein. Vor uns stehen zehn Bienenstöcke auf Kunstrasen, dazu Topfpflanzen, die das Gelände kühl halten sollen – und vor allem Pollen für die Hunderttausenden hier lebenden Bienen liefern.

Bienen sind auch nur Hunde

„Wenn man selbst schön entspannt ist, sind sie das auch“, beruhigt uns Vanessa. „Bienen riechen Angst, genau wie Hunde.“ Es ist die erste einer Reihe von Biene-Hund-Analogien, die wir auf unserem Besuch bei den innerstädtischen Dach-Bienenstöcken hören werden. Diese stellen nur einen Teil der insgesamt 80 dar, die von Vanessa und ihrem Partner Mat Lumalasi versorgt werden. Aber dazu später mehr. Jetzt ist es an der Zeit, die Bienenstöcke zu öffnen.

Mat wedelt Rauch aus einem Smoker mit australischem Teebaumholz über den Bienenstock, der inspiziert werden soll. Es riecht wie die Buschfeuer, die im australischen Sommer nur allzu häufig sind. Entgegen der landläufigen Meinung vermutet Vanessa, dass Rauch die Bienen gar nicht wirklich beruhigt, sondern sie zu einer Art Notfallübung veranlasst. Sie sind dann zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf die Idee zu kommen, den Imker zu stechen. Und es scheint zu funktionieren. Die Bienen machen einen eher sanftmütigen Eindruck. „So sind Bienen im Normalfall“, erklärt Mat. „Nicht die riesigen, wütenden, aggressiven Schwärme, die man in Filmen sieht.“

„Menschen züchten Bienen seit Jahrhunderten selektiv für bestimmte Eigenschaften, und leider haben wir bei Bienen hauptsächlich auf Sanftmut gezüchtet, was für uns Imker ideal ist, die Bienen aber nicht gerade widerstandsfähig gegen Krankheiten gemacht hat“, erzählt Vanessa. „Sie sind wie Labradorhunde. Nichts gegen Labradors…“ Mat bringt ihren Gedanken zu Ende: „…Aber sie sind ein bisschen zu sanftmütig geworden.“

Computersurren ... getauscht gegen Summen!

Die ehemaligen IT-Fachkräfte Vanessa und Mat starteten Melbourne City Rooftop Honey vor fünf Jahren aus Sorge um den weltweiten Rückgang der Bienen. Laut Australiens oberstem Wissenschaftsrat sind Honigbienen für die Bestäubung von etwa einem Drittel unserer Nahrung unverzichtbar, darunter Obst, Gemüse, Öle, Samen und Nüsse. Es beunruhigte Vanessa und Mat, dass die fundamentale Bedeutung der Bestäubung nicht anerkannt oder gewürdigt wurde, und das Risiko für die Nahrungsversorgung machte ihnen Sorgen – solche Sorgen, dass sie sich zu dem dramatischen Schritt entschlossen, ihre Jobs zu kündigen und Vollzeit-Imker zu werden.

Vanessa hatte die Idee, Bienenstöcke auf den Dächern von Cafés, Restaurants und Hotels zu platzieren; nachhaltige Honigerzeugung – und Bienen – zurück in die Stadt zu bringen. Aufgrund der weiten Verbreitung von Blumen in städtischen Gebieten sind Stadtbienen in der Regel produktiver als ländliche. Mat und Vanessa fanden es wichtig, Honigbienen in unsere Städte und urbanen Landschaften einzubeziehen, und sie wollten andere über Bienen und deren Rolle aufklären. Die Platzierung von Bienenstöcken auf unbenutzten Dächern und Balkonen trägt zudem zur Reduzierung von Lebensmittelmeilen bei, da der Honig nur wenige Meter von der Verkaufsstelle entfernt produziert wird.

Als Vanessa ihre Idee googelte, stellte sie fest, dass das Konzept in europäischen Städten schon seit langem existiert. Aber zwischen Dachhonig in Australien und in anderen Ländern der Welt besteht ein wesentlicher Unterschied: die Varroamilbe.

 
  • Rooftop Honey 1 © Wesley Nel

  • Rooftop Honey 2 © Wesley Nel

  • Rooftop Honey 3 © Wesley Nel

  • Rooftop Honey 4 © Wesley Nel

  • Rooftop Honey 5 © Wesley Nel

  • Rooftop Honey © Wesley Nel

  • Rooftop Honey 7 © Wesley Nel

  • Rooftop Honey 8 © Wesley Nel

  • Rooftop Honey 9 © Wesley Nel

  • Rooftop Honey 10 © Wesley Nel

  • Rooftop Honey 11 © Wesley Nel

 

Mensch, was für eine Brut!

Mat zieht behutsam einen der hölzernen Rahmen aus dem Dach-Bienenstock. Er ist begeistert, wie groß und kräftig das Brutmuster ist, das anzeigt, wo die Königin ihre Eier gelegt hat – im Endeffekt die Bienen-Kinderstube. „So kräftige Brutmuster wie dieses gibt es in Europa gar nicht mehr“, erklärt Vanessa.

Die Varroamilbe greift Bienenkolonien seit den 1960er-Jahren an. Seitdem hat sie sich langsam von Japan und der damaligen Sowjetunion in alle anderen Länder ausgebreitet – mit Ausnahme von Australien. Die Milbe saugt das „Blut“ oder die Hämolymphe erwachsener Bienen, was die Tiere anfälliger für Infektionen macht und häufig zum Zusammenbruch der Kolonie führt. In Australien ist der Export gesunder Bienen heute eine wachsende Industrie. Aber wie lange kann das anhalten? „Die Varroamilbe gibt es bereits in Neuseeland, auf den Salomonen, in Neuguinea, überall um uns herum, und wir stehen in Australien höchstwahrscheinlich vor der Frage nach dem Wann, nicht nach dem Ob“, befürchtet Mat. Aber er konstatiert auch, dass die australischen Quarantänebehörden hervorragende Arbeit leisten.

Mat fände es trotzdem wichtig, auch andere Maßnahmen ins Auge zu fassen. „Man nimmt eine 20 Kilometer vor der australischen Küste gelegene Insel, richtet ein Bienenschutzgebiet ein und fängt an, zu züchten. In Skandinavien gibt es schließlich auch einen internationalen Saatguttresor“, argumentiert er. Auf einer entlegenen norwegischen Insel ist ein breites Spektrum von Pflanzensamen eingelagert, um sicherzustellen, dass die Kulturpflanzenvielfalt angesichts natürlicher oder menschengemachter Katastrophen nicht verloren geht. Ein Modell für das Überleben der Bienen?

Arbeitsbienen und Arbeitshunde

Und der Vormarsch der Varroamilbe hat zu einem Umdenken in Bezug auf Bienenzuchtmethoden geführt. „Statt auf Sanftmut achtet man jetzt eher auf hygienische, saubere Bienen, die Parasiten und tote Larven aus ihren Zellen entfernen, bevor sie sie verdeckeln“, erklärt Mat. Also heißt es Tschüss Labrador, willkommen Australischer Treibhund. „Ein arbeitender Australian Cattle Dog sorgt mehr oder weniger für sich selbst. Er wird kaum gehätschelt und arbeitet einfach den ganzen Tag“, sagt Mat.

Und für Arbeitsbienen gibt es in der Tat jede Menge zu tun: Aufzucht, Wachdienst, Nahrungssuche, Leichenbeseitigung, Saubermachen… die Liste ließe sich fortsetzen. Und Arbeit gibt es nicht nur in den Bienenstöcken. Außer der lebenswichtigen Rolle bei der Pflanzenbestäubung hat man Bienen auch darauf trainiert, Landminen zu erschnüffeln, genau wie – richtig geraten – Hunde!

Tausende von Haustieren

Vanessa und Mat betreiben das Wochenendhobby, das zu ihrem Leben geworden ist, mit Leidenschaft. Ihre Idee war es, Geld zu sammeln and lokale Geschäfte als Sponsoren für Bienenstöcke zu gewinnen, um Bienen und Bienenstöcke kostenlos zur Verfügung stellen zu können. Das Echo war so überwältigend, dass die beiden nun darüber nachdenken, Angestellte zu beschäftigen, damit das Projekt weiterwachsen kann.

Restaurants können bei sich einen Bienenstock aufstellen und ihn komplett von Rooftop Honey pflegen lassen. Das sponsernde Restaurant erhält bis zu 20 Prozent oder 6 Kilo des Honigertrags, je nachdem, was zuerst erreicht wird. Für eine jährliche Versorgungsgebühr von 500 australischen Dollar können Melbournerinnen und Melbourner einen Bienenstock mit 40.000 bis 50.000 Bienen sponsern, der im Schnitt 30 bis 50 Kilo Honig pro Jahr erzeugt. Die meisten kommerziellen Betreiber würden von einem Bienenstock ähnlicher Größe 100 bis 150 Kilo erwarten, da sie den Honig extrahieren und die Bienen im Gegenzug mit Zuckersirup füttern. Mat und Vanessa füttern ihre Bienen nicht und belassen zwei Fünftel bei jedem Bienenstock, damit die Bienen ihren eigenen Honig essen können. „Wenn wir mehr nehmen würden und das Wetter schlecht werden sollte, könnte das ganz schnell böse enden“, erklärt Mat.

So bekommen Sponsoren von Rooftop Honey durch die Beteiligung an einem nachhaltigen Unternehmen neben ihrem Honig auch das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Dazu die Gelegenheit, etwas über Bienenhaltung zu lernen, sich zu engagieren und, nicht zuletzt, ein Haustier der etwas anderen Art. Das kann man allerdings im Gegensatz zu einem Hund nicht streicheln!

Top