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Artscape und das Triangle Lofts Projekt
Rettung für Torontos Boheme

Die Artscape Triangle Lofts
Die Artscape Triangle Lofts | © Garrison McArthur

Kunstschaffende haben es nicht leicht in der kanadischen Millionenstadt Toronto. Zum Glück gibt es Artscape, eine Non-profit-Organisation für städtische Entwicklung, die ihnen bezahlbare Räume zum Leben und Arbeiten zur Verfügung stellt.

Von Alison Lang

Toronto ist ein teures Pflaster. Die monatliche Durchschnittsmiete für ein Einzimmer-Apartment ist in den letzten Jahren auf beinahe 1,900 Dollar gestiegen. Der Kaufpreis für eine Wohnung liegt bei etwa 500.000 Dollar, der Durchschnittpreis eines Hauses beträgt laut offizieller Zahlen der kanadischen Immobilienbehörde rund 800.000 Dollar. Für die meisten Künstler bedeuten diese Summen, dass die Suche nach einer bezahlbaren Unterkunft immer schwieriger wird. Ein eigenes Heim ist kaum mehr als ein unerreichbarer Traum. Wie in vielen anderen stark gentrifizierten Stadtzentren beginnt auch in Toronto die Verdrängung von Künstlerinnen und Künstlern, einkommensschwachen Familien und Randgruppen an die äußeren Ränder der Stadt. Im Stadtkern zurück bleibt eine wohlhabende und homogene Bevölkerungsschicht, der es aber an kultureller Dynamik und Traditionen fehlt. „Nicht jeder Künstler möchte eine Stunde außerhalb der Stadt wohnen und sich von seiner Gemeinschaft abgeschnitten fühlen“, so die in Toronto lebende Schriftstellerin und Autorin Suzanne Alyssa Andrew

Hier kommt Artscape ins Spiel. In den vergangenen zehn Jahren stellte die Non-Profit-Organisation für städtische Entwicklung mit Sitz in Toronto bezahlbare Apartments für Künstler zum Wohnen und Arbeiten zur Verfügung. Auf diese Weise hat Artscape geholfen, die Tradition von kultureller Dynamik zu schützen und zu erhalten, durch die so viele von Torontos Vierteln erst bekannt geworden sind.

Hohe Decken und Betonwände

Zunächst hatte Artscape Mieträume an drei verschiedenen Orten gebaut: Artscape West Queen, Parkdale Arts and Cultural Centre und Artscape Wychwood Barns. Überlegungen für einen ersten Standort mit bezahlbaren Eigentumsoptionen – die Triangle Lofts Projekte – stammen aus dem Jahr 2004. Eine stark von künstlerischem Leben geprägte Gegend Torontos wurde von der Stadt neu definiert und mit dem Namen „Queen West Triangle” (Queen West Dreieck) versehen. Man plante unter anderem, große Fabriklagerhäuser, die Künstlern als nicht genehmigte Arbeits- und Wohnräume dienten, abzureißen, um Platz für zwanzigstöckige Apartmenthäuser zu schaffen. Es kam zu umfangreichen Protesten seitens der Aktivistinnen und Bewohner. Daraufhin ermöglichte Artscape konstruktive Treffen von Wohnungsplanern, Urbancorp und einer Gruppe namens Active 18.

Artscape und Active 18 engagierten schließlich die Firma Urbancorp, um 70 preiswerte Wohn- und Arbeitseinheiten für Kunstschaffende zu bauen. Artscape Triangle Lofts eröffnete offiziell im Oktober 2011 seine Tore für zukünftige Mieter.

Suzanne Alyssa Andrew Suzanne Alyssa Andrew | © Mike Lewis Die Autorin Suzanne Alyssa Andrew lebte als Mieterin in einem überteuerten Apartment irgendwo in der Stadt. Ihren Job als als Redakteurin am Ontario College of Art and Design (OCAD) musste sie mit ihrer Schriftstellerei vereinbaren. Als sie von den neuen, von Artscape geförderten Wohnungen hörte, schrieb sich auf der Warteliste ein. Sie hatte die Möglichkeit, die Wohnungen zu besichtigen, und weil sie ihr so gut gefielen, bewarb sie sich gleich auf drei verschiedene. Einige Jahre später fand sie das Apartment, in dem sie jetzt lebt. Im Dezember 2013 zog sie dort ein – die Wohnungssuche ist für sie nun Geschichte.

Andrew beschreibt ihr Artscape Triangle Apartment als ein „traditionell innenstädtisches Loft“. Es hat 65 Quadratmeter, die Gestaltung ist offen. Der längliche Grundriss umfasst eine Küche und Bar an einem und einen Arbeitsbereich am anderen Ende der Wohnung. Mit seinen hohen Decken, sichtbaren Rohren und Betonwänden wirkt das Apartment wie die einstigen Künstlerwohnungen in den abgerissenene Lagerhallen. Suzanne Andrew genießt die großzügigen Innenräume. „Wenn du am selben Ort lebst und arbeitest, muss er groß genug sein damit es dich nicht wahnsinnig macht, “ sagt sie.

Seit der Gründung von den Triangle Lofts hat Artscape eine Reihe von weiteren Lebens- und Arbeitsräumen für Künstler in der ganzen Stadt geschaffen: Artscape Queen West, Parkdale Arts and Cultural Centre und die Artscape Lofts bei PACE und 210 Simcoe. Kürzlich veröffentlichte die Einrichtung einen Aufruf, sich für 26 neue live/work-Einheiten, die im Artscape Weston Common hergerichtet werden, zu bewerben. Geplant sind zudem die Artscape Lofts beim Wasserwerk und die Artscape Bayside Lofts direkt am Seeufer. Die Gestaltungen dieser Wohneinheiten unterscheiden sich je nach Umgebung und mit welchen Entwicklern Artscape jeweils zusammenarbeitet: „Es gibt keine einheitliche Größe für alle,“ so LoriAnn Girvan, Geschäftsführerin von Artscape. Die Warteliste für all diese Apartments ist, wie man sich vorstellen kann, sehr lang. Vertreter von Artscape schätzen, dass es derzeit etwa 1.500 Bewerber gibt, da kann nicht jeder und jede sofort zum Zug kommen.

Der Bewerbungsprozess ist zudem sehr umfangreich und erfolgt in zwei Stufen – zukünftige Mieter bewerben sich für einen Platz auf der Warteliste und bewerben sich ein weiteres Mal, wenn sie ein Apartment kaufen oder mieten wollen. Diese zweite Bewerbung wird von einem Komitee ausgewertet, bestehend aus gegenwärtigen Mietern, Mitgliedern der Hausgemeinschaft und anderen Artscape Subkomitees. Zusätzlich zur Vorlage eines Lebenslaufs, Steuererklärungen der letzten drei Jahre und von Beispielen ihrer absolvierten künstlerischen Fortbildungen und Trainings, müssen zukünftige Mieter erkennbar über die Umgebung und die neue Wohnsituation reflektieren. „Wir möchten, dass die Leute sich Gedanken machen, ob sie Teil dieser Gemeinschaft sein wollen“, so Girvan. „Es ist ein ziemlich umfassender Prozess, der einiger Überlegung bedarf.“

Die „Artscape-Hypothek"

Zu dem Bewerbungsprozess gehört mittlerweile auch das Value Exchange Programm, das 2016 ins Leben gerufen wurde. Das Programm beinhaltet, dass sich alle Mieter und Eigentümer sämtlicher Artscape-Projekte mindestens fünf Stunden pro Monat in einer Funktion ihrer Wahl engagieren – von freiwilliger Arbeit bei einer Non-profit-Kunstorganisation wie der Regent Park School of Music, bis zur Ausrichtung von Konzerten und Künstlervorträgen, dem Beitritt in eines der vielen von  Artscape betriebenen Freiwilligen-Komitees oder Freiwilligenarbeit in einem Gemeinschaftsgarten. Liam Hanebury, verantwortlich für die kommunalen Dienstleistungen, erklärt, dass das Programm ungefähr wie eine Kooperative gestaltet ist: „Es war maßgeblich im Aufbau einer Gemeinschaft im jeweiligen Gebäude“, sagt er.

Die Bewohnerschaft in den Artscape-Projekten ist sehr bunt: Suzanne Andrews hat Grafikdesigner, Tänzer, Musiker, bildende Künstler und Kunstverwalter als Nachbarn. Sie liebt die Mischung aller künstlerischen Professionen rund um ihre Wohnung, besonders wenn es darum geht, sich zu motivieren. „Vor allem montags, da kommt man nach Hause und jeder probt mit seinem Instrument, man kann es in den Gängen widerhallen hören“, so die Schriftstellerin, die selber Bass spielt. „Das ist echt toll und man denkt – ‚hey, vielleicht werde ich auch üben‘.“

Njo Kong Kie ist ein Komponist und Musiker, der 1991 von Macao nach Toronto migrierte. Während seiner Zeit als Njo Kong Kie Njo Kong Kie | © Ao Ieong Weng Fong Tourkünstler hat Njo an verschiedenen Orten überall in Toronto gewohnt – einige Zeit sogar außerhalb der Stadt, auf einer Farm in der Kommune Owen Sound im südwestlichen Ontario. Während einer Europatournee erhielt er einen Anruf, dass gerade ein Apartment verfügbar sei. Nachdem er die erforderliche Mindestanzahlung geleistet hatte, fand Njo einen Hypothekenmakler, der ihm dabei half, die Hypothek für sein Loft zu sichern. Genau wie Suzanne Andrew und alle anderen Artscape Triangle Eigentümer zahlt Njo 75 Prozent des Marktwertes seines Apartments. Artscape übernimmt die restlichen 25 Prozent als Teil der „Artscape-Hypothek“ – eine zins- und kostenfreie zweite Hypothek. Zusätzlich zahlen Eigentümer Wohngeld, Grundsteuer und Nebenkosten, die gemäß der Quadratmeterzahl ihrer Wohnung und dem individuellen Verbrauch berechnet werden. Die Triangle Lofts umfassen 48 Eigentumswohnungen und 20 Mietwohnungen – die Miete der Artscape Triangle Wohnungen ist auf 80 Prozent der von der Canadian Mortgage and Housing Corporation in Toronto und Umgebung ermittelten Durchschnittsmiete festgelegt. Wenn eine Eigentümerin oder ein Eigentümer eines Artscape-Objektes seine Wohnung verkaufen möchte, stellt eine gemeinsame Wertsteigerungsklausel sicher, dass der neue Eigentümer oder die neue Eigentümerin vor zu starken Schwankungen der Immobilienpreise geschützt bleiben. Dahinter steht die Idee ist, dass diese Wohnräume für Künstler immer erschwinglich bleiben sollten.

„Ich hätte normalerweise niemals eine Wohnung wie diese in Toronto erwerben können“, sagt Njo. „Es ist eine Form der Investition, die ich sonst nicht getätigt hätte. Und ich brauche natürlich einfach einen Platz zum Wohnen.“ Sogar genug Platz für seinen eigenen Tischtennistisch hat er nun.

Obwohl es keine Anzeichen für ein baldiges Platzen der Torontoer Immobilienblase gibt, ist Artscape ein Vorzeigebeispiel für Kapitalgeber und Bauunternehmer geworden, die sich laut Girvan und Hanebury immer mehr für die Idee von kombinierten Lebens- und Arbeitsräumen öffnen. „Wir sind mit Dutzenden von Unternehmern in Kontakt, die Interesse an alternativen Wohnungsmodellen haben, die sie in ihr Portfolio aufnehmen können“, so Girvan. „Nicht jeder Unternehmer denkt so, aber einige eben doch. Auf jeden Bauunternehmer, dem es nur darum geht ein Gebäude abzureißen und schnelles Geld zu machen, kommen viele, die sich selbst als Städtebauer sehen, die mit Non-profits wie Artscape oder anderen in der Stadt zusammenarbeiten wollen.“

„Es stimmt, dass die Stadt immer wieder Künstler vertreibt“, sagt Suzanne Andrews. „Das wird auch weiterhin passieren. Das Gute an dieser Situation ist, dass Artscape enstand und dabei half, Räume für Künstler zu schaffen. Das ist sehr wichtig.“

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