Berlinale Forum @ Brussels

 premieresolitudes © Claire Simon

Mo, 10.09.2018 –
Do, 13.09.2018

BOZAR

Exklusive Auswahl aus dem Forum der Berlinale 2018 und 2017

Im Rahmen der Reihe German Film Festivals on Tour präsentiert das Goethe-Institut sieben Filme aus dem Forum der Berlinale von 2017 und 2018 im BOZAR. Fünf davon sind belgische Premieren. Das Forum ist bekannt dafür, neue Trends des Weltkinos zu zeigen und dabei keine formalen Grenzen zu kennen.

Eröffnet wird das Mikro-Festival am 10. September mit dem Film „Casting“ von Nicolas Wackerbarth. „Casting“ schaut sich die Abgründe eines Filmdrehs aus nächster Nähe an. Künstlerischer Ehrgeiz stößt auf harte Machtverhältnisse, hohe Kunst auf fiese Spielchen. Unbeschadet geht daraus nur einer hervor: Wackerbarths untrüglicher Sinn für Humor.

Am 11. September fragt Marie Wilke mit ihrem Film „Aggregat“ vor dem Hintergrund neuer rechter Bewegungen wie Pegida und der Partei AfD nach dem Zustand der Demokratie in Deutschland. Der ebenfalls an diesem Tag gezeigte Film „Premières Solitudes“ von Claire Simon wendet sich hingegen mit intimen Porträts mehrerer französischer Jugendlicher dem Thema des Erwachsenwerdens zu.

Die beiden anderen Abende haben wir zwei Regisseur*innen gewidmet, die regelmäßig im Forum der Berlinale vertreten sind. Am 12. September sind die beiden Essayfilme „Bickels [Socialism]“ und „Dieste [Uruguay]“ von Heinz Emigholz zu sehen. Beide gehören zu Emigholz‘ vierteiliger Streetscapes-Serie. Am 13. September geben die beiden Filme „Die papierene Brücke“ und „Waldheims Walzer“ von Ruth Beckermann einen Einblick in jüdisches Leben in Europa und in die Aufarbeitung der österreichischen Geschichte.

Die Regisseurinnen und Regisseure Nicolas Wackerbart, Claire Simon, Marie Wilke, Heinz Emigholz und Ruth Beckermann werden anwesend sein und mit dem Publikum über ihre Filme sprechen. Die Gespräche der ersten beiden Abende werden von Birgit Kohler, einer der drei Leiterinnen von Arsenal — Institut für Film und Videokunst e.V. und Mitglied im Auswahlgremium des Forums, moderiert.

 
   © Südwestrunkfunk 10.09.2018. 19:00: CASTING, von Nicolas Wackerbarth (D 2017, 91 min: DE/ UT FR) + Q&A mit Nicolas Wackerbarth & Birgit Kohler
 
Nicolas Wackerbarth lässt in seinem Film „Casting“ die Regisseurin Vera eine Idealbesetzung für ein Remake von Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ suchen. Dabei wird das Casting selbst zur Inszenierung, in welcher manche die Nerven verlieren und andere ihre Chancen wittern. Wackerbarth trifft Fassbinders Vorlage in ihrem vielschichtigen Wesen und schafft gleichzeitig ein ganz eigenes, tiefgründiges Werk. „Casting“ ist ein ebenso kluger wie unterhaltsamer Film, geprägt durch spannende Wendepunkte, Humor – und das atemberaubende Schauspiel eines virtuosen Ensembles.
 



  © Claire Simon 11.09.2018, 19:00 : PREMIERES SOLITUDES, von Claire Simon (FR 2018, 100 min : FR/ UT ENG) + Q&A mit Claire Simon & Birgit Kohler
 
 
„Warst du schon einmal dort?“, „Macht es dir nichts aus?“, „Umarmt sie dich manchmal?“: Die Fragen, die sich Anaïs, Manon, Hugo, Elia, Tessa, Catia oder Clement gegenseitig stellen, scheinen unerschöpflich zu sein. Claire Simon folgt in ihrem Film Teenagern der elften Klasse an einer Schule in Ivry sur Seine, einem Vorort von Paris. In wechselnden Zweier- und Dreierkonstellationen tauschen sie sich, scheinbar unbeeindruckt von der Anwesenheit einer Kamera, über ihre familiären Hintergründe, die Beziehung zu ihren Eltern, erste Verliebtheiten und Zukunftsvorstellungen aus. Kaum jemand hat zuhause ein echtes Gegenüber, und so ist es umso verblüffender, wie reflektiert, beredt und klar hier Gefühle artikuliert werden. An der Schwelle zum Erwachsensein schwanken sie zwischen Abgeklärtheit – dass das Leben hart ist, ist eine achselzuckende Gewissheit – und Romantik; zwischen dem Wunsch nach Aufgehobensein und der Erwartung baldiger Unabhängigkeit.
 



  © Kundschafter Filmproduktion 11.09.2018, 21:00: AGGREGAT, von Marie Wilke (D 2018, 92 min: DE/ UT ENG) + Q&A Marie Wilke & Birgit Kohler
 
Deutschland im Jahr 2017: In ihrem Dokumentarfilm „Aggregat“ schaut Marie Wilke Prozessen politischer Meinungsbildung zu. Die Kamera folgt Besucher*innen im Bundestag, Redakteur*innen der „Welt“ oder der „taz“ bei der Morgenkonferenz genauso wie SPD-Anhängern in der sächsischen Provinz und Demonstrierenden, die ihre Wut nicht zügeln und Angela Merkel niederbrüllen. Die Regisseurin ordnet die Bilder nüchtern an und verzichtet auf jeden Kommentar, so dass sich die Zuschauer*innen selbst zum Gesehenen ins Verhältnis setzen.
 



 © Filmgalerie 451 and Heinz Emigholz

12.09.2018, 19:00 DIESTE [URUGUAY] (D 2017, 95 min: ohne Dialoge) & 21:00 BICKELS [SOCIALISM] (D/ISR 2015-17, 92 min: EN ) , von Heinz Emigholz + Q&A mit Heinz Emigholz
 
 
DIESTE [URUGUAY]
Auch in „Dieste [Uruguay]“, dem letzten Teil der Streetscapes-Serie, stehen Gebäude im Mittelpunkt. 2015 reiste Heinz Emigholz nach Uruguay und Spanien, um Bauten des Architekten Eladio Dieste (1907–2000) zu filmen. Als Prolog dienen Aufnahmen dreier Gebäuden von Julio Vilamajó aus den 1930er Jahren in Montevideo, gefolgt von 29 Bauten Diestes: Elegant geschwungene, unverputzte Ziegelsteindächer, die sich in Natur und Geschichte eingefügt haben.  Emigholz zeigt diese Konstruktionen in ruhigen Standbildern und aus zahlreichen Perspektiven. Wie auch in den anderen Streetscapes-Filmen bleiben die Aufnahmen fast kommentarlos.


BICKELS [SOCIALISM]
In dem zweiten Teil der Streetscapes-Serie widmet sich Heinz Emigholz den Bauten des Architekten Samuel Bickels (1909-1975). Der Film erkundet 22 Gebäude, die Bickels in Israel und São Paulo errichtet hat. Dazu gehören das Kulturhaus „Casa do Povo“, eine Ikone der säkularen jüdischen Arbeiterbewegung, und Essenssäle, Kinderhäuser und Landwirtschaftsgebäude in verschiedenen Kibbuzim. Der gemeinschaftsbildende Charakter der Bauten und der partielle Leerstand verweisen auf die sozialistischen Ideen, die einst ihre Entstehung beeinflussten. In „Bickels [Socialism]“ filmt Emigholz unkommentiert die Konstruktionen Bickels: Räume, Säle, Treppen, Hallen, Durchgänge verweisen auf die Vergangenheit, während die Tonspur subtil auf das Gegenwärtige außerhalb der Bauten verweist. Zu hören sind Bauarbeiten in der Ferne, Geklapper, definierbare und undefinierbare Geräusche.
 


 © Ruth Beckermann and Sixpackfilm 13.09.2018, 19:00 WALDHEIMS WALZER (AT 2018, 93 min: DE, EN, FR/ UT ENG) + Q&A mit Ruth Beckermann, 21:00 DIE PAPIERENE BRÜCKE (D 1987, 95 min: DE/ UT ENG) von Ruth Beckermann
 

WALDHEIMS WALZER
1985. Kurt Waldheim, ehemaliger UN-Generalsekretär, kandidiert für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten. Seine bis dato verleugnete NS-Vergangenheit erregt weltweites Aufsehen. Waldheims Walzer folgt den hitzigen Debatten von damals. Ruth Beckermann dokumentiert und kommentiert unterschiedliche Seiten und Stimmen der Diskussionen. Die Filmemacherin verwendet selbst gedrehtes und zwischenzeitlich verschollenes zeitgenössisches Material ebenso wie TV-Archivmaterial. Man sieht Pressekonferenzen des Jüdischen Weltkongresses, Debatten in der UN-Generalversammlung, Anhörungen im US-Kongress sowie Politiker der Österreichischen Volkspartei, letztlich Waldheim selbst. Er sieht sich verleumdet und verweigert beharrlich jede Form der Einsicht. Zu Beginn des Films hört man Beckermanns Stimme aus dem Off: Vielleicht, sagt sie, sei es kein Zufall, dass das alte, selbst gedrehte Material gerade jetzt wieder aufgetaucht sei.

DIE PAPIERENE BRÜCKE
In „Die papierene Brücke“ setzt sich Ruth Beckermann mit jüdischer Gegenwart und Vergangenheit auseinander. In essayistischer Form geht sie den Spuren ihrer Familiengeschichte nach. Die Suche führt sie von Wien nach Osteuropa, nach Israel und schließlich zurück nach Wien. Dort wird 1986 die NS-Vergangenheit des ÖVP-Politikers und Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim bekannt. Dies löst heftige öffentliche Debatten über den österreichischen Antisemitismus aus. Beckermann erzählt anhand ihrer eigenen Familiengeschichte zugleich die Geschichte mitteleuropäischer Juden und die Geschichte der Bukowina, jener Region, die vor den Verbrechen der Nationalsozialisten so stark von ihrer jüdischen Bevölkerung geprägt war.
 

 
Berlinale Forum
Avantgarde, Experiment, Essay, Langzeitbeobachtungen, politische Reportagen und noch unbekannte Kinematografien: Das Berlinale Forum ist die risikofreudigste Sektion der Berlinale und steht für neue Strömungen des Weltkinos und innovative Erzählformen. Die formalen Beschränkungen bei der Filmauswahl sind gering, die Freiheiten umso größer. Die Filme des Forums bewegen sich im Grenzbereich von Kunst und Kino. Forum Expanded erweitert das Programm seit 2006 um Videokunst sowie installative und performative Arbeiten im Kino und im Ausstellungsraum. Das Berlinale Forum ist eine Veranstaltung des Arsenal – Institut für Film und Videokunst im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin.

 
Die Reihe „German Film Festivals on tour“ ist eine Initiative des Goethe-Instituts Brüssel und BOZAR Cinéma in Zusammenarbeit mit dem Berlinale Forum und Arsenal - Institut für Film und Videokunst e..V.. Mit der Unterstützung der Senatsverwaltung für Kultur und Europa des Landes Berlin, dem österreichischen Kulturforum und der französischen Botschaft in Brüssel.
 

Zurück