Film Material

„Material“ von Thomas Heise Material © Deckert

Sa, 09.11.2019

20:00 Uhr

Cinematek

R: Thomas Heise, Filmvorführung

„Der Film MATERIAL enthält Beobachtungen, Szenen, Fragmente, Geschichten und Vorgänge. Bilder von den späten achtziger Jahren in der DDR bis in die unmittelbare Gegenwart des Jahres 2008 in Deutschland. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft spiegeln darin einander. Es ist mein Bild.“ (Thomas Heise)
 

Thomas Heises knapp dreistündiger Film Material versammelt Footage aus dem Herbst 1989 und aus der ersten Zeit nach der Wende. "Immer bleibt etwas übrig, ein Rest, der nicht aufgeht. Dann liegen die Bilder herum und warten auf Geschichte", heißt es ganz am Anfang. Die Geschichte, die den Bildern in "Material" eine wenn auch nur sehr zurückhaltende Struktur verleiht, ist die einer sekundenkurzen Selbstermächtigung. In der Umbruchssituation des Herbsts 1989 versammeln sich die Menschen, sie demonstrieren, sie sprechen vor der Menge.

Dieses Sprechen ist das, was Heise interessiert. Es wandert in alle Richtungen. In Berlin-Köpenick tritt eine alte, beherzte Dame vor eine Gemeindeversammlung, um den jüngsten Musikabend zu loben; dafür wird sie von ungeduldigen Zuhörern ausgebuht. In einer Justizvollzugsanstalt in Brandenburg klagen Häftlinge darüber, von den Entwicklungen draußen abgeschnitten zu sein. Sie verlangen nach einer Amnestie. Das Gefängnispersonal wiederum beschwert sich, genauso an den Rand gedrängt zu sein wie die Häftlinge. Die Anfeindungen auf der Straße, sagt ein Uniformierter, hält er nicht mehr aus. Eine andere Sequenz entstand im November 1990, als die Polizei die besetzten Häuser in der Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain räumte. Ein Mann rennt an den Einsatzwagen entlang; neben einem Wasserwerfer geht er auf die Knie, er hebt die Hände wie zum Gebet, seine Stimme ist dabei weniger flehend als drohend. "Hört doch endlich auf!", schreit er, "hört doch endlich auf!" – Obwohl „Material“ knapp 20 Jahre nach dem Fall der Mauer entstanden ist, zeichnet der Film die Situation so offen, so unbestimmt, so wenig als Teil eines etablierten Narrativs wie im historischen Augenblick selber.

Thomas Heise: „Material“  (BRD 2009, 166 Min, D UT/EN)

    
Thomas Heise
, geb. 1955 in Ost-Berlin. Druckerlehre, Studium an der HFF Potsdam-Babelsberg. Beobachtung durch die Stasi. Wegen politischen Drucks führte er das Studium nicht zu Ende. Die frühen Filme - etwa "Wozu denn über diese Leute einen Film?" - konnten bis 1989 nicht öffentlich aufgeführt werden; Heise arbeitete in dieser Zeit viel fürs Theater. 1992 dreht er "Stau - Jetzt geht‘s los", den ersten Film einer Trilogie, in der er sich mit rechten Subkulturen beschäftigt. 1999/2000 folgt "Neustadt (Stau - Der Stand der Dinge)" und 2007 "Kinder. Wie die Zeit vergeht". Zahlreiche weitere Filme sind seither entstanden, unter anderem der im Norden Argentiniens gedrehte „Sonnensystem“ (2011) und der in einem mexikanischen Jugendgefängnis aufgenommene „Städtebewohner“ (2014). Thomas Heise lehrt an der Akademie der bildenden Künste Wien.
 

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